von Mathias Iven
Landauf, landab wird in diesem Jahr der 150. Geburtstag von Gustav Mahler gefeiert. Ob mit Konzerten, ob mit Neu- und Wiederauflagen von Einspielungen seiner Werke, ob mit Büchern über ihn oder Dokumenten von ihm. In diesem Fall mit einer Ausgabe von Briefen, die den „Kulturmanager“ Mahler in den Mittelpunkt stellt.
Franz Willnauer, der vor ein paar Jahren bereits den lesenswerten Briefwechsel Mahlers mit der Sängerin Anna von Mildenburg veröffentlicht hat, legt jetzt eine Briefsammlung der besonderen Art vor. Die rund 250 Schriftstücke, viele davon sind Erstveröffentlichungen, umspannen den Zeitraum von 1880 bis zu Mahlers Todesjahr 1911 und sind durchweg an Intendanten, Komponisten, Dirigenten, Agenten – und auch Kritiker gerichtet. Unter den Adressaten finden sich heute kaum noch bekannte Persönlichkeiten wie der Komponist Wilhelm Kienzl oder der Dirigent Oscar Fried ebenso, wie die Komponistenkollegen Richard Strauss und Arnold Schönberg. Der Inhalt dieser Briefe und der Facettenreichtum seiner Formulierungen werfen ein bezeichnendes Licht auf die beruflichen und geschäftlichen Fähigkeiten Mahlers.
Schon im ersten, an seinen Agenten Gustav Lewy gerichteten Brief fällt das Selbstvertrauen auf, das der junge Mahler zur Schau trägt. Obwohl nicht zum Dirigenten ausgebildet, erklärt er ohne Umschweife, daß er sich vorbehaltlos „getraue, diese Stelle an jedem Theater auszufüllen“. Doch der „Lehrling“, der er nun einmal noch ist, kennt auch seine Grenzen und sucht nach Vorbildern und Lehrmeistern. 1884, nach einem Konzert unter Hans von Bülows Leitung, bekennt er: „Ich bin ein Musiker, der in der wüsten Nacht des zeitgemäßen Musiktreibens ohne Leitstern wandelt und den Gefahren des Zweifels und der Verirrung ganz anheimgegeben ist.“ Zwölf Monate später tritt er erneut als sein „eigener Lobredner“ auf, der sich in seiner Tätigkeit zwar oftmals unterfordert fühlt, jedoch „über Kenntniß und Routine verfügt und auch nicht ohne Fähigkeit ist, einem Kunstwerk und den mitwirkenden Künstlern Feuer und Begeisterung einzuhauchen“.
Es sind vor allem Mahlers Jahre als „Artistischer Director“ der Wiener Hofoper, die im Zentrum des Buches stehen und das „Schauspiel seiner Direktionsführung“ (Hofmannsthal) vor Augen führen. Hier fällt zuerst der Widerspruch zwischen Mahlers erbittert geführtem Kampf um diese in der damaligen europäischen Musikwelt so wichtige Stelle und seiner gegenüber Kollegen geäußerten Befindlichkeit ins Auge. Die erreichte Position, so schreibt er an Felix Weingartner, wird ihm schon im Vorfeld zum „Gegenstand der Sorgen“, er sieht die Zeit zum Komponieren dahinschwinden und sein Leben, so befürchtet er, wird „für lange hinaus eine – mir höchst unerwünschte – Gestaltung bekommen“.
Tatsächlich widmet sich Mahler in den nächsten Jahren in allererster Linie den Aufgaben des Opernbetriebes. Sein eigenes von der Öffentlichkeit mit Ablehnung bedachtes Werk steht zurück. Ab dem Sommer 1901 verändert sich die Situation grundlegend: Jetzt ist es der Komponist Mahler, der als Interpret seiner Werke in die Öffentlichkeit tritt und zunehmend Beachtung findet. Konzerte werden organisiert, Reisen sind zu planen, Honorare werden ausgehandelt.
Auch bei solcherart Doppelbelastung bleibt der Perfektionist Mahler nicht bei dem Erreichten stehen. Gemeinsam mit dem Bühnenbilder Alfred Roller greift er den Wagnerschen Gedanken der zu festspielartigen Zyklen zusammengefassten „Musteraufführungen“ auf, denen eine radikale, auf szenische Erneuerung gerichtete Neudeutung der Opernstoffe zugrunde gelegt wird. – Mahler wird sein Ziel nicht erreichen, vielerlei Umstände führen schließlich zur „Enthebung“ von seinem Posten. Von den Mitgliedern der Wiener Hofoper verabschiedet er sich im Dezember 1907 mit den Worten: „Statt eines Ganzen, Abgeschlossenen, wie ich geträumt, hinterlasse ich Stückwerk, Unvollendetes: wie es dem Menschen bestimmt ist.“
Selbst wenn der Herausgeber in aller Bescheidenheit den Band lediglich „als ein Lesebuch für alle Mahler-Freunde und -Interessierten“ verstanden wissen möchte, so sind es doch gerade die teils umfangreichen, die Briefe verbindenden, flüssig geschriebenen Texte Willnauers, die es gestatten, diesen Briefband gleichzeitig als eine künstlerische Biographie zu lesen und somit auch dem Uneingeweihten die Möglichkeit für eine anregende Lektüre eröffnen. Etwas irritierend (und nicht nachzuvollziehen!) sind allerdings die zahlreichen Wiederholungen bei den Kommentaren. Für eine Nachauflage wünscht man sich neben der mit weitergehenden Informationen angereicherten Zusammenstellung der Adressaten nicht nur ein Verzeichnis aller im Band enthaltenen Schriftstücke, sondern auch eine Übersicht der für die Anmerkungen verwendeten Literatur.
Doch diese kleinen Schönheitsfehler außer Acht lassend, blicken wir schon auf das nächste Jubiläum: Im kommenden Jahr haben wir Gustav Mahler erneut zu gedenken, dann anläßlich seines 100. Todestages – und hoffentlich wieder mit solch einem faszinierend zu lesenden Buch.
Gustav Mahler, „Verehrter Herr College!“ Briefe an Komponisten, Dirigenten, Intendanten (hrsg. von Franz Willnauer). Paul Zsolnay Verlag, Wien 2010, 422 Seiten, 24,90 Euro
Schlagwörter: Franz Willnauer, Gustav Mahler, Mathias Iven