von Wladislaw Hedeler
Alexej Georgijewitsch Tepljakow stellt seinem neuen Buch „Die Maschine des Terrors“ ein Motto voran, in dem von der „wichtigsten Erfahrung“ der eigentlichen „Helden“ des 20. Jahrhunderts in der UdSSR, der Henker, die Rede ist. Über ihr Tun, über das in Russland so gut wie nichts publiziert wird, wissen wir nur aus den Erzählungen der Opfer, notiert der Historiker, der in Nowosibirsk arbeitet und lebt. Der erste Teil seiner Studie über die Tätigkeit der Tscheka/OGPU in Sibirien von 1918 bis 1929 erschien 2007 in Moskau. Die Kapitel über die Vollstreckung von Todesurteilen in den 1920er und 1930er Jahren in Sowjetrussland sind als gesonderte Broschüre erschienen. Das Blättchen berichtete darüber unter der Überschrift „Doppelmord“ (Das Blättchen. 11(2008), Nr. 1, 7.1.2008, S. 17-18).
Tepljakow untersucht in fünf Kapiteln Struktur, Funktionen und Kader des NKWD, die operative Arbeit, die Massenoperationen, die Wechselbeziehungen zum Parteiapparat und den Alltag der Mitarbeiter der politischen Polizei in Sibirien. Sein Buch sei auch allen jenen empfohlen, die die einschlägigen Arbeiten über die Tätigkeit der Sicherheitsorgane in der UdSSR und die Dokumenteneditionen, die in den letzten Jahren zur Tätigkeit der politischen Polizei in Russland erschienen sind, nutzen. Zusammen mit anderen Kollegen war er an der Erarbeitung der Erschießungslisten für das Gebiet Nowosibirsk beteiligt und in das von Marc Junge und Rolf Binner auf den Weg gebrachte Forschungsprojekt über den NKWD-Befehl 00447 (der die Massenoperation gegen die Kulaken zum Inhalt hat) einbezogen.
Tepljakow, der Zugang zu den örtlichen Archiven des FSB hatte, benennt die in der russischen Fachliteratur vorhandenen Leerstellen, offenen Fragen und nachweisbaren Fälschungen von Statistiken und Biografien sowie den hierauf fußenden manipulierten Auslegungen. Neben wertvollen, neue Forschungsergebnisse präsentierenden Publikationen gibt es eine Fülle von Schriften, die die alten Mythen am Leben zu halten zu suchen. Von besonderem Interesse sind die Ausführungen über die sich beständig ändernden Zugangsmöglichkeiten zu den in den Behördenarchiven überlieferten Aktenbeständen. Zahlreiche Materialien der Parteiorganisation des NKWD in Westsibirien, die der Rezensent während seiner Studienaufenthalte in Nowosibirsk einsehen konnte, sind inzwischen wieder für die Forschung gesperrt.
Schon deswegen wäre zu wünschen, dass ein dritter Band, der die Entwicklung nach 1941 zum Gegenstand hat und die in dieser Region (dazu gehörten die Gebiete Ost- und Westsibirien, Altaj, Krasnojarsk sowie die Verwaltungsgebiete Nowosibirsk, Omsk, Irkutsk und Tschita) wuchernden Gulags in die Untersuchung einbezieht, bald folgen kann. Die im regionalen Apparat auf den Wechsel in der Leitung des Volkskommissariats von Jagoda zu Jeshow und von Jeshow zu Berija folgenden Umbesetzungen beschreibt Tepljakow als Ablösung von Clans und Interessengruppen innerhalb des NKWD.
Sibirien war jene Region, die die Moskauer Zentrale für die Erprobung von Massenrepressalien ausgewählt hatte. Im Kapitel über die Massenoperationen werden deshalb nicht nur die aus den Jahren des Großen Terrors skizziert, sondern auch die Konfiszierung der Valuta 1930-34, die Zwangskollektivierung 1929 oder die Verhaftung russischer Emigranten in der Mongolei 1932. Die Besonderheiten der nationalen Operationen im Gebiet hängen nicht zuletzt mit der Existenz des deutschen und des japanischen Konsulats in Nowosibirsk zusammen. Beide wurden 1937 geschlossen.
Der Mythos von den Tschekisten mit den sauberen Händen, heißen Herzen und kühlen Köpfen, die gegen die von oben verordneten Repressalien waren und nur widerwillig den Befehlen folgten, wird bis heute gepflegt. In Wirklichkeit handelt es sich bei ihnen um ein konformistisch eingestelltes Kollektiv, in dem für Andersdenkende kein Platz war. Was zählte, war die Quantität der entlarvten Verschwörungen und Verhaftungen. „Das Ziel heiligt die Mittel“, lautete das Leitmotiv der Kaste von Anfang an. Mit den Aktivisten aus Partei, Jugendverband, Gewerkschaften und bewaffneten Organen bildeten sie jene Schicht, die der Gesellschaft ein totalitäres Modell diktierte. Ihre Organisation war ein Staat im Staate bis auf den heutigen Tag hat sich daran wenig geändert, lautet das von Tepljakow formulierte Resümee. Solange sich der russische Sicherheitsdienst in der Tradition der sowjetischen Tscheka sieht, wird ein ehrliches und aufrichtiges Gespräch über die Vergangenheit unmöglich sein.
Alexej Georgijewitsch Tepljakow: Maschina Terrora. OGPU-NKWD Sibiri w 1929-1941 gg. [Die Maschine des Terrors. OGPU-NKWD Sibiriens von 1929 bis 1941]. Moskwa, Nowyj Chronograf 2008, 627 Seiten
Schlagwörter: Alexej Georgijewitsch Tepljakow, Gulag, Sibirien, Sowjetunion, Stalinismus, Tscheka, Wladislaw Hedeler