13. Jahrgang | Nummer 12 | 21. Juni 2010

Unterhaltungsmedien und Politik

von Wolfgang Brauer

Im Städtchen Buckow treffen sich einmal im Jahr Medienwissenschaftler, Publizisten, Pädagogen und Künstler, die auf irgendeine Weise mit Film, Fernsehen, Internet und was es da inzwischen so alles an speichernden und verbreitenden Dingen gibt, verbandelt sind, um über die sie angehenden Angelegenheiten zu sprechen. Die Veranstaltung nennt sich „Buckower Mediengespräche“ und wird seit vierzehn Jahren vom rührigen Publizisten Klaus-Dieter Felsmann organisiert. Felsmann gibt auch die unter gleichem Titel inzwischen in 13. Folge erschienenen Gesprächsdokumentationen heraus. Befasste sich der 1998 erschienene erste Band noch fast ausschließlich mit der Situation und den Perspektiven der regionalen Bildstellen und Medienzentren, wurde das Themenspektrum der Reihe im Laufe der Jahre erheblich erweitert: Neben der Diskussion von erwünschten Wirkungen und unerwünschten Nebenwirkungen medientechnischen Fortschritts rückten Fragen des Urheberrechts, der Medienpädagogik, der Medienästhetik, des gesellschaftlichen Wertewandels und der sozialen Kontexte und damit verbunden der Rolle der Medien in diesem Prozeß zunehmend in den Fokus der Betrachtungen. Beim Durchblättern der einzelnen Bände hat der Leser ein Kompendium der medienpolitischen Diskussionen der letzten zwei Jahrzehnte in der Hand. Mit Erstaunen muß man feststellen, daß sich eine Vielzahl von Fragen mitnichten erledigt hat.
Ablesbar ist dies am aktuellen Band der Reihe. Der trägt den etwas sperrigen Titel „Die Bedeutung der Unterhaltungsmedien für die Konstruktion des Politikbildes“. Herausgeber und Autoren geht es aber um mehr. Verhandelt wird die Frage, auf welche Weise sich in einer Zeit, in der Menschen sich offenbar zunehmend in ihrer politischen Positionsfindung „vereinzelnen“ – aus vielerlei Gründen geht die Bedeutung von Parteien und Vereinen als Orte politischer Aufklärung und Willensbildung zurück – diese Positionsfindung dennoch stattfindet. Daß alle Autoren des Bandes in dieser Frage den elektronischen Medien eine größere Bedeutung zumessen als bislang öffentlich reflektiert wurde, verwundert nicht. Ihre Sichtweisen sind dennoch recht unterschiedlich. Joachim von Gottberg, der Geschäftsführer der Freiwilligen Selbstkontrolle des Fernsehens (FSK), mahnt zu mehr Gelassenheit im Umgang mit den „Nebenwirkungen“ der Medienfreiheit. Am Beispiel des Fernsehpfarrers Jürgen Fliege weist er darauf hin, „dass die Kontroverse um einen Tabubruch eher zur Bestätigung sozial erwünschter Wertvorstellungen beiträgt als Sendungen, in denen sich die geladenen Gäste ausnahmslos für eine bestimmte Werthaltung einsetzen.“ Nun führte die missionarische Tätigkeit Flieges tatsächlich nicht gerade zur Re-Christianisierung der abgefallenen Deutschen. Der Erziehungswissenschaftler Paul D. Bartsch konstatiert dies in seiner Auseinandersetzung mit Neil Postmans Thesen des Jahres 1985 aus den im Jahre 2010 vorliegenden Erfahrungshorizonten heraus mit einer gewissen Genüsslichkeit und wirft Postman angesichts der von diesem seinerzeit beschworenen Gefahren einer „medialisierten Gesellschaft“ vor, „vornehmlich Apologet“ zu sein. Bartsch räumt allerdings ein, dass Postman Mitte der 1980er Jahre für die USA 35 Fernsehstationen zählte, die sich im Besitz oder unter unmittelbarer Einflussnahme von Religionsgemeinschaften befunden hätten. In Deutschland sähe das anders aus. Hier irrt Bartsch durchaus: Es sei an dieser Stelle nicht das Schicksal des an der eigenen Langeweile eingeschlafenen Berliner Dudelsenders „Radio Paradiso“ diskutiert, aber an den Merseburger Professor Bartsch sei der Hinweis gestattet, er möge doch nur die Zusammensetzung der deutschen Rundfunkräte und ganz konkret das Hör- und TV-Programm seines „Haussenders“, des Mitteldeutschen Rundfunks, hinsichtlich des Einflusses der Kirchen auf die Programmgestaltung untersuchen. Im vorliegenden Bändchen widerspricht die Berliner Politikwissenschaftlerin Paula Diehl Bartsch auf wunderbar indirekte, aber dennoch überzeugende Weise, indem sie aufzeigt, welch grundsätzlichen politischen Diskurs der extreme Minirock der US-Serien-Protagonistin Ally McBeal zumindest in der Serie selbst auszulösen vermochte. Daß solches nie ohne Wirkung auf die Gesellschaft bleiben kann, ist allen Diskutanten des vorliegenden Bandes klar. Über die Antriebe und Mechanismen besteht dagegen Dissens. Gewaltverherrlichende Medien übten sicher Einfluß auf Amokläufer wie den Erfurter Robert Steinhäuser aus – entscheidender war wohl das Empfinden einer ausweglosen gesellschaftlichen Ausgegrenztheit und der extrem leichte Zugang zur scharfen Schußwaffe. Die Diskussion nach solchen Taten macht sich aber immer noch hauptsächlich an der Rolle der Medien fest. Neu ist das nicht. Auch darauf weisen einige Diskutanten hin. Zitiert wird u.a. Gutenbergs Buchdruck, der die alte Gesellschaft zum Einsturz gebracht habe. Allerdings, das wird meist vergessen, war diese durch die Einführung von Schwarzpulver und Geldwirtschaft bereits extrem einsturzgefährdet. Das neue Medium „Buchdruck mit beweglichen Lettern“ übte eine katalytische Wirkung aus.
Die ist nicht zu unterschätzen. Der Grafiker und Philologe Ralf Lankau aus Offenburg, er unterrichtet dort Mediengestaltung, reflektiert in seinem streitbaren Beitrag „Von Peers, Pop und Porn“ das Spannungsfeld von „Neuen Medien“ und gesellschaftlichem Zugewinn. Seine Bilanz ist ernüchternd. Entgegen andersjaulender (medialer!) Gebetsmühlen erklärt Lankau, dass der „demokratische Diskurs“ zum Beispiel durch das Internet eher geschwächt denn gestärkt werde. Das Web diene „als Plattform für Cyber-Mobbing und zur Bekämpfung des politischen Gegners“. Meinungsfreiheit gehe hier leicht mit der Verführung einher, sich der namentlichen Verantwortung für das eigene Tun zu entziehen. Zudem werde die angeblich offene Diskursqualität des Netzes, in den Augen der weltweiten Netz-Gemeinde gleichsam die Inkarnation einer fundamental-demokratischen Gesellschaft, in ihr Gegenteil verkehrt: „Anstatt die Vielfalt der unterschiedlichen Meinungen und Positionen als Gewinn für Diskurs und Kontroverse zu begreifen, neigen Nutzer (die „User“ – Br.) dazu, geschlossene Gruppen zu bilden. Wer anders denkt, wird weggemobbt.“ Ansonsten müsse man, so der Autor, „eine zunehmend umfassende Entertainisierung aller Medien und Formate sowie ihrer Darsteller“ konstatieren.
Bei aller Unterschiedlichkeit der Untersuchungsbefunde scheinen die Autoren in Einem einig zu sein: „Politisches“ Eingreifen in als misslich erkannte Entwicklungen ist grundsätzlich abzulehnen und im Ergebnis nicht zielführend. Stattdessen setzt man auf die vielgescholtene Schule, auf den Ausbau noch immer nur in rudimentären Ansätzen vorhandener Medienpädagogik. Auch der Stuttgarter Medienpädagoge Friedemann Schuchardt („Der Wurm muß dem Fisch schmecken, nicht dem Angler“) stellt resignierend fest, dass allenfalls die Literaturverfilmung am Rande des Unterrichts ein Stiefmütterchendasein fröne. Das hindert ihn aber nicht, zwölf Thesen zum Abhelfen dieses üblen Zustandes quasi an die Pforte des Diskurses zu nageln, weil „Kinder und junge Menschen, die affektgestört bzw. medial affektgebunden, als Einzelwesen mit Fastfood überzuckert aufwachsen und sich weder körperlichen noch geistigen Anstrengungen aussetzen, verfetten … Die geistige Verfettung und damit Unbeweglichkeit ist aber ein genauso ernst zu nehmender Zustand, der wie die körperliche Verfettung gestoppt werden sollte.“ Die aktuelle Fernsehwirklichkeit bestätigt Schuchardts Fastfood-These. Band 13 der „Buckower Mediengespräche“ soll hier allen ans Herz gelegt werden, die am derzeitigen Zustand des wichtigsten Kommunikationsmittels unserer Gesellschaft ein Unbehagen empfinden.

Klaus-Dieter Felsmann (Hrsg.): Die Bedeutung der Unterhaltungsmedien für die Konstruktion des Politikbildes. Erweiterte Dokumentation zu den 13. Buckower Mediengesprächen, kopaed München 2010, 208 Seiten, 13,80 Euro