13. Jahrgang | Nummer 12 | 21. Juni 2010

Wildsau und Gurkentruppe

von Ulrike Steglich

Man kann sich in diesem Sommer wirklich nicht über mangelnde Unterhaltung beklagen – und das, obwohl es ein WM-Sommer ist, in dem im Fernsehen außer Fußball bekanntlich vor allem Wiederholungen geboten werden.
Fußball-Abstinente, die sich dennoch vor der Mattscheibe amüsieren wollen, müssen gar nicht auf DVDs zurückgreifen. Es genügt derzeit vollauf, die „Tagesschau“ einzuschalten. Kurz vor dem ersten Deutschland-Spiel sorgte sie für so nachhaltiges Familienvergnügen, dass der „running gag“ bis zum nächsten Jahr gesichert ist. Da zeigte die „Tagesschau“ eine etwas entnervte Kanzlerin, die ihre Koalition aus nachvollziehbaren Gründen zur verbalen Abrüstung mahnte. „In der vergangenen Woche waren Begriffe wie ‚Wildsau’ und ‚Gurkentruppe’ gefallen“, sagte die Nachrichtensprecherin würdevoll. Soweit man bei einem solchen Satz noch Würde wahren kann. Das war fast noch besser als „Weihnachten mit Wolfgang und Anneliese“. Man muss das gesehen und gehört haben: Eine ARD-typisch blonde, korrekt gewandete Nachrichtenvorleserin, die so ungewohnte Worte in den Mund nehmen musste: „Wildsau“ und „Gurkentruppe“. Sie sprach sie sehr befremdet und prononciert aus, Buchstabe um Buchstabe, selbst die Gänsefüßchen waren unüberhörbar. Auch wenn das Fassungsvermögen versagt – auf das ordentliche Sprachtraining bei der guten alten Tante Tagesschau ist immer noch Verlass.
Wir fielen vor Lachen fast vom Stuhl. Eine Sache ist es, in den Zeitungen von albernen politischen Verbalschlachten zu lesen. Eine andere, dies von gequälten Nachrichtensprecherinnen zitiert zu bekommen, die selbst bei den komischsten Vokabeln noch um Haltung ringen. Und immer, wenn das Spiel Deutschland-Australien etwas ruhiger wurde, mussten wir nur hochseriös und sehr prononciert die Worte „Wildsau“ und „Gurkentruppe“ fallen lassen, um einen erneuten Lachanfall auszulösen. Unwillkürlich dachte man an Evelyn Hamann, diese größte aller seriösen, ernsthaften Fernsehansagerinnen. Was für eine großartige Vorlage wäre das für sie und Vicco von Bülow, den wunderbaren Loriot gewesen. Man sieht die Hamann in einer Paraderolle vor sich, wie sie sich, sorgfältig onduliert, an ihren Papieren festklammert. Der leicht irritierte Blick, das Ringen um Fassung. Und dann, würdevoll und sorgfältig prononciert: „Wildsau“ und „Gurkentruppe“. Dass man sofort an sie und Loriot denkt, zeigt, wie treffsicher die beiden den die Absurditäten des öffentlichen Betriebs auf den Punkt brachten – völlig zeitlos. Nun, inzwischen erledigen das die „Leistungsträger der Gesellschaft“ ja ganz selbständig. Man kann sie nicht mehr karikieren. Loriot kann sich entspannt schmunzelnd zurücklehnen und die Hamann lacht von ihrer Wolke herunter.
„Mama, was ist eigentlich eine Gurkentruppe“, fragt plötzlich mein neunjähriger Sohn. Tja, gute Frage. Wie würde „Logo“, die Kika-Nachrichtensendung für Kinder, das erklären? Gurkentruppe ist, wenn Horst den Horst macht und der Rest der Mannschaft nur noch grätscht?
Politik ist manchmal nicht einfach zu vermitteln.