von Wolfram Adolphi
Leistung zählt. Dreihunderttausend Euro, so wusste der Fernsehreporter zu berichten, werde der Sieg in die Vereinskassen spülen. Die Rede ist vom Endspiel der Champions League.
Der Frauen. Nicht der Männer. Bei denen lockt ein solcher Betrag keinen Hund hinter dem Ofen hervor. Franck Ribéry, beim Endspiel der Männer gegen Inter Mailand seinem Club Bayern München, der Null zu Zwei verlor, wegen der Abbüßung eines Platzverweises gar nicht zur Verfügung stehend, setzte kurz nach dieser Niederlage seine Unterschrift unter einen neuen Vertrag, der – so munkelt man – mit einem Jahressalär von zehn Millionen Euro dotiert ist. Männer eben. Bayern München hat einen Jahresetat von einhundert Millionen.
Bei Turbine Potsdam – das ist der Verein mit der oben genannten Geldspülung – muss man mit einem Zweihundertstel (!) des Bayernetats auskommen. Fünfhunderttausend Euro pro Jahr hat hier der Kassenwart in den Fingern. Aber Turbine hat – im Unterschied zu den Bayern – sein Endspiel gewonnen. Zwar war es knapp zugegangen gegen Olympique Lyon: Nach neunzig Minuten Null zu Null, nach Verlängerung immer noch dasselbe, erst im Elfmeterschießen klappte es mit dem Ein-Tore-Vorsprung. Aber Sieg ist Sieg. Und Turbine jubelt über das Double. Deutsche Meisterschaft und Champions League.
Die deutsche Meisterschaft übrigens ist die vierte. Und wäre die Einheit, die deutsche, wirklich eine Einheit und nicht ein Anschluss, müsste sich Turbine auch – den Bayern gleich – mit dem Titel »Rekordmeister« schmücken dürfen. Sechsmal DDR-Meister, viermal deutscher Meister – macht zusammen zehn. Aber so rechnet man in Mainstream-Deutschland nicht. Auch nicht nach zwanzig Jahren. Da gilt nur, was immer schon »deutscher Meister« hieß. Und so wird die Liste angeführt von Bergisch-Gladbach mit neun und Frankfurt am Main und Siegen mit jeweils sechs Titeln. Turbine freilich ist die Mannschaft der Neuzeit. 2004, 2006, 2009 und 2010 wurde die »richtige« deutsche Meisterschaft gewonnen.
Und das alles mit einem Trainer, der seit 1971 (!) der gleiche ist und also auch für alle DDR-Meistertitel verantwortlich zeichnet: Bernd Schröder. Ja, glaubt man das denn. Seine Stars von heute wurden geboren, da war er schon zwanzig Jahre im Geschäft. Fast vierzig Jahre lang führt dieser Mann nun Frauen- und Mädchenmannschaften zum Erfolg, und nie auch nur der Hauch eines Skandals. Aus zwei Metern Körperhöhe verbreitet er eine Aura von Anspruch, Vertrauen und Trostbereitschaft, dass sich der Nachwuchs, den es im Verein reichlich gibt, danach drängelt, in seiner Meistermannschaft spielen zu dürfen, und manche Extra-Könnerin – wie etwa jüngst die in Mönchengladbach aufgewachsene Kosovo-Albanerin Fatmire Bajramaj – von anderswo nach Potsdam strebt.
Wobei solche Vereinswechsel – von Transfers will man gar nicht reden, denn da kommen einem sofort wieder die irrsinnigen Millionensummen der Männer in den Sinn – noch eher selten sind. Liest man Turbines Mannschaftsaufstellung, dann klingt es nachbarschaftlich wie in der DDR-Oberliga: die Kerschowski-Zwillinge Monique und Isabel, Nadine Keßler, Josephine Henning, Corina Schröder, Sandra Wiegand, Tabea Kemme, Jennifer Zietz, Bianca Schmidt, Josephine Schlanke, Carolin Schiewe, Viola Odebrecht, Stefanie Draws, Babett Peter, Jessica Wich, Laura Brosius, Anna Felicitas Sarholz, Desirée Schumann, Lena Hohlfeld, Marie-Louise Bagehorn, Anja Mittag. Nur Yuki Nagasato aus Japan und Fatmire Bajramaj machen eine Ausnahme.
Aber sie haben die Champions-League gewonnen! Und sind fast alle erst um die zwanzig, zweiundzwanzig. Turbine heißt wie schon in der DDR Turbine und spielt im Karl-Liebknecht-Stadion in Babelsberg. Der Eintritt kostet auf den Sitzplätzen sieben, ermäßigt fünf, auf den Stehplätzen vier Euro. Trainiert wird unaufgeregt öffentlich im Olympiastützpunkt Potsdam, wo früher das unter Leichtathleten berühmte Stadion am Luftschiffhafen war. Viele der jungen Frauen gingen oder gehen in die als »Eliteschule des Fußballs« ausgezeichnete Gesamtschule »Sportschule Potsdam Friedrich Ludwig Jahn«. Da lernen sie nicht nur Fußballspielen. Anja Mittag, zum Beispiel, war im Mai auch beim an die Bücherverbrennungen der Nazis erinnernden »Lesen gegen das Vergessen« auf dem Berliner Bebelplatz zu erleben. Und wer die Interviews nach dem Triumph gesehen hat, weiß, wie unprätentiös selbstbewusst viele der Siegerinnen auch zu reden verstehen.
Beim großen europäischen Sportsender Eurosport mit seinem breiten Internetangebot kommt Frauenfußball übrigens nicht vor. Auch die Champions von Turbine interessieren dort nicht. Frauenfußball ist in Deutschland Amateurfußball. Leistung zählt …
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