13. Jahrgang | Nummer 9 | 10. Mai 2010

Alice, Amendt und die Abtreibung

von Ines Fritz

Man mag es kaum glauben, aber bei allen Differenzen die es zwischen einem der populärsten Antifeministen und einer populären Feministin gemeinhin geben kann, sind sich die beiden Prototypen des polemischen Extremismus doch in einem einig: Abtreibung geht schon irgendwie in Ordnung. Zwar ist die Diskussion darum leider nicht sehr aktuell, aber die Argumente werden auch nach Jahren nicht ergiebiger.

Die Lösungen der Protagonisten variieren in Kleinigkeiten, aber die moralische Legitimität eines Schwangerschaftsabbruchs stellen sie beide nicht in Frage. Für Gerhard Amendt steht dabei die Unerwünschtheit des Kindes an zentraler Stelle der Argumentation, wie in der „Stellungnahme zum § 218 und der Stiftung Mutter und Kind“ vom 19.01.1984 zu lesen ist. Frauenrechte gehen ihn als klassischen Männerrechtler eher weniger an. Dafür argumentiert er zur Abtreibung mindestens so robust wie die NPD zum „Ausländerproblem“: Wer unerwünscht ist, sollte besser gar nicht erst geboren werden. Für Alice geht es vor allem um das „Recht auf Selbstbestimmung“, ergo: Abtreibung. Ob es ein Frauenrecht ist, darf bezweifelt werden. Wem nun die eine und/oder Argumentation nicht gefällt, der läuft Gefahr, als Feind des jeweils anderen Lagers zu gelten: Simple Modelle bedeuten simple Reaktionen auf Kritik.

Aber ohne juristische Legitimation werden einmal gezeugte Kinder geboren. Einer formalrechtlichen Absicherung des Rechts auf Leben – ab oder vor der Geburt – bedarf es da nicht. Eine solche schützt nur jene, die damit gemeint sind. Den Beginn des Lebens, definieren zu wollen, bedeutet, sich auf sehr dünnem Eis zu bewegen.

Das Leben aber bahnt sich seinen Weg ganz unabhängig der Rechtsposition, die wir ihm nun beimessen oder absprechen wollen. Ob das für Definitionen so gilt, ist unsicher. In keiner Phase des Lebens wird diese Gewißheit so deutlich wie bei einer Betrachtung von Geburt und Tod. Die Entscheidung über den Beginn des Lebens der subjektiven Lebenserfahrung und kulturellen Einbettungen zu überlassen, wie Amendt es will, finde ich gefährlich. Denn gerade die Definition über das menschliche Leben im Allgemeinen unterscheidet sich in totalitären Regimen und anderen antiegalitären Systemen recht deutlich und somit auch von humanistischen Weltbildern. Auch die eigene Lebenserfahrung ist nicht unbedingt Garantie für eine ethisch vernünftige Entscheidung. Und das betrifft Männer wie Frauen, Mütter wie Väter. Allgemeingültige, nachvollziehbare und ethisch vertretbare Normen zu setzen, kann in diesem Fall schon allein darin aufgehen, den natürlichen Vorgang der Zeugung und Geburt juristisch nicht zu normieren. Das heißt aber auch, auf ein sogenanntes „Recht auf Abtreibung“ zu verzichten.

Ich bin für Straffreiheit von Abtreibung und für eine Streichung des § 218 a StGB. Ich bin aber gegen „Recht auf Abtreibung“. Was wie ein Widerspruch aussieht, ist keiner, sondern logisch und ethisch konsequent: Selbstbestimmung setzt Mündigkeit voraus. Eine mündige Frau entscheidet selbst, mit allen Konsequenzen, ob sie Mutter werden will oder nicht. Auch wenn diese Entscheidung nicht gefällt, so bedarf sie keines weiteren Rechtes als eben jenem der Selbstbestimmung.

Für ein „Recht auf Abtreibung“ einzutreten, wie es Alice Schwarzer offen (Emma, Dossier Nov/Dez. 2006) und Gerhard Amendt indirekt vorführen, ist darum schon starker Tobak. Als mündige Frau kann ich damit nicht umgehen, weder mit der einen noch der anderen Begründung. Denn selbst wenn man einem ungeborenen Kind noch keine eigene Rechtspersönlichkeit zuweisen möchte, weil das „menschliche Leben“ noch nicht begonnen habe, so ergibt sich daraus noch lange kein Recht das Leben des quasi vormenschlichen Wesens zu beenden.

Hinzukommt, dass Mutter- und Elternschaft das Recht auf Selbstbestimmung nicht zwangsläufig angreift, sondern entscheidend ausbauen kann: Nämlich als durchaus begrüßenswerten Fortschritt in der Selbstverwirklichung und Persönlichkeitsentwicklung. Anzunehmen, Selbstbestimmung beweise sich in Nichtelternschaft, setzt die Parameter nur in eine Richtung. Mir sind solche Argumentationen als denkende Frau und Mutter peinlich.

Ebenfalls nicht nachvollziehbar scheint daneben die Begründung zu sein, die Unerwünschtheit des Kindes, wäre akzeptables Argument, eine Abtreibung zu rechtfertigen. Die Instrumentalisierung subjektiver Erfahrungen ungewollter Kinder, um ihr Leben zu beenden, ist zu hinterfragen. Mit dieser Argumentation ließe sich locker jedes menschliche (und anderes) Leben durch Verweigerung einer Rechtspersönlichkeit in Frage stellen. Das Leben gestaltet sich nicht immer und nicht für jeden glücklich, trotzdem sollte man es führen dürfen.

Ich mahne auf diesem Wege eine differenzierte Argumentation für die Selbstbestimmung der Frau an. Auch um den politischen Bedeutungszuwachs feministischer Theorie nicht durch berechtigte Kritik zu beschädigen. Ich wünsche mir eine geradlinige, logisch konsequente Argumentation, die berücksichtigt, dass Frauen am liebsten kerngesunde und rosige Kinder gebären oder diese verhüten. Abtreibung ist dabei kein Recht der Frauen, sondern eine tragische Notlösung.

Es ist ein Privileg, gesund und bestens medizinisch versorgt, Kinder bekommen zu dürfen. Jedes Jahr sterben mehr als eine halbe Million Frauen an den Folgen von Schwangerschaft oder Geburt – 99 Prozent von ihnen in Entwicklungsländern. Die meisten dieser Todesfälle wären vermeidbar. An die Verpflichtung, die Gesundheit und Lebenssituation von Müttern weltweit zu verbessern und dadurch die Armut zu verringern, haben auch dieses Jahr wieder Frauen und Männer aus aller Welt erinnert und am 06.05.2010 die Mutternacht begangen.