von Uri Avnery, Tel Aviv
In Israel herrschte bedrückte Stimmung. Das offizielle Israel war wegen des neuen Mannes beunruhigt. Wenn es auf dem zentralen Platz in Tel Aviv ein Fest gegeben hätte, wäre ich sicher dabei, aber meine Freude nicht ungetrübt gewesen; weil ich mich an das erinnert hätte, was auf demselben Platz neun Jahre zuvor geschehen war. Zu dieser Zeit hatte Israels Barak – Ehud Barak – die Wahlen gerade gewonnen. Das Land tat einen Seufzer der Erleichterung, so wie jetzt in den USA. Es schien wie ein Tag der Erlösung. Binyamin Netanyahus Amtszeit war eine vollkommene Katastrophe gewesen, ein Alptraum aus Korruption, Polarisierung und schlimmstem Versagen. Barak erschien wie ein Retter. Hunderttausende jubelnder Menschen strömten zum Rabinplatz, ohne daß jemand dazu aufgerufen hatte. Sie tanzten, sangen, freuten sich und hörten der Rede des »Erlösers« zu. Jeder weiß, was danach geschah. Innerhalb weniger Monate brachte Barak die Bevölkerung dazu, ihn zu verabscheuen. Er versagte auf der ganzen Linie und begrub alles, was Yitzhak Rabin aufgebaut hatte. In drei Monaten werden in Israel allgemeine Wahlen stattfinden. Einen Barack Obama wird es bei uns nicht geben. Der Mann, der sich bei uns gute Chancen auf den Sieg ausrechnen kann – Binyamin Netanyahu – ist genau das Gegenteil. Aus jeder Pore strömt schäbige Politik. Während seiner letzten Amtszeit als Ministerpräsident war er ein hoffnungsloser Mißerfolg. Falls er gewinnen sollte, wird sich nichts zum Besseren verändern.
Ehud Barak ist die Antithese zum amerikanischen Barack. Wie Netanyahu und Zipi Livni gehört er zur »weißen« Ashkenazi-Elite. Er hat keine emotionale oder andere Verbindungen zu den Minderheiten. Er ist durch und durch ein Militarist und nützte die Nacht von Obamas Wahl dazu aus, die Waffenruhe zu verletzen und eine provokative Militäraktion im Gazastreifen durchzuführen.
Bleibt noch Zipi Livni. Ist etwas von Obamas Ausstrahlung an ihr hängengeblieben? Schwer zu sagen. Sie ist keine große Rednerin. Sie ist überhaupt keine Rednerin, und manche Israelis sehen darin einen Vorteil. Aber sie verspricht »neue Politik«. Sie war anders als ihre Vorgänger nie in Korruptionsskandale verwickelt, und sie hat keine militärische Aura. Ihre Amtszeit als Außenministerin brachte ihr einige Glaubwürdigkeit als Diplomatin ein.
Welche Politik wird Obama gegenüber Israel einschlagen? Was das Gleichgewicht der Kräfte betrifft, ist der neue Kongreß zwar anders als der letzte zusammengesetzt, aber seine Furcht vor der Pro-Israel-Lobby wird unverändert sein, obwohl der Einfluß zionistischer Evangelikaler viel geringer ist. Die AIPAC ist »alive and kicking«, und ihre Tritte werden auch künftig schmerzhaft sein.
Chancen für Fortschritt in Richtung eines israelisch-palästinensischen Friedens wird es ohne amerikanischen Druck auf die israelische Regierung nicht geben. Das hat Jahrzehnte lang gegolten und gilt auch heute noch. Alle amerikanischen Präsidenten nach Dwight Eisenhower fürchteten sich, solch einen Druck auszuüben. Diejenigen, die es versuchten wie Richard Nixon zu Beginn seiner Amtszeit, zuckten schnell wieder zurück. Die einzige Ausnahme war Bush Senior oder vielmehr sein Staatssekretär James Baker; aber dessen Druck (auf den Geldbeutel) dauerte auch nicht lange. Wenn sich die neue amerikanische Regierung entscheiden sollte, die amerikanischen Interessen im Nahen Osten neu zu überdenken und zu dem Schluß käme, daß der israelisch-arabische Friede ein wesentliches Erfordernis der Nach-Bush-Ära sei, dann müßte Amerikas neuer Präsident Israels neuen Ministerpräsidenten darüber in Kenntnis setzen und eindeutig anmahnen, den Siedlungsbau einzufrieren und mit neuen Verhandlungen zu beginnen. Viele Israelis würden ihm dafür danken. Es ist nicht einmal ausgeschlossen, daß auch unser nächster Ministerpräsident/unsere nächste Ministerpräsidentin ihm in einem verborgenen Winkel seines/ihres Herzens danken würde.
Aus dem Englischen von Ellen Rohlfs und Christoph Glanz; von der Redaktion gekürzt
Schlagwörter: Barack Obama, Israel, Uri Avnery