von Hannah Lotte Lund und Detlef Kannapin
Berlin, im September 2008. Kino International. Gegenüber findet gerade der Rückbau des Cafés Moskau statt. Erschütterung als Gefühlsäußerung; der Whisky, der uns präsentiert wird, kommt nicht aus dem Land der Urheber.
Alles falsch. Wir wollten einen Film sehen, mit Tiefgang und Herz. Das Ergebnis: Wolke 9 stimmt nicht, weder hinten noch vorne.
Der Mann: Ich bin durchaus gewohnt, bei Filmen von Dresen an seinen Vater zu denken. Witz, Ironie, Geist für die Geschichte, Durchhaltevermögen, dramaturgische Konsequenz. Das alles ist hier nicht vorhanden. Sex über 60, vollkommen in Ordnung. Aber warum bedarf es dafür einer konstruierten und nicht nachvollziehbaren Nicht-Handlung, die sich daran weidet, das Nichts als Tatsache der Realität zu zeigen? Keine Brechung der Figuren, keine ironische Untertitelung des Handhabbaren, nichts, was nicht gesagt werden könnte, ohne einen Voyeurismus zu bedienen, der auch sonst das Gegebene zeitigt.
Die Handlung dürfte bekannt sein. Eine Frau verliebt sich kurz vor ihrem 70. Lebensjahr in einen anderen Mann. Sie liebt noch ihren Ehemann, mit dem sie 30 Jahre zusammen ist. Der versteht den Seitensprung nicht und rastet aus. Sie versteht nicht, daß er sie nicht versteht und zieht zu dem anderen … Und nun? Dresen, sonst klar in der Dramaturgie, mit Witz bei der Sache, verbastelt sich in den Bildern der Langsamkeit, von denen er denkt, daß so das Leben ist. Der Film ist nicht stimmig. Er widerspricht nicht nur Milos Formans Diktum, daß man die Wahrheit sagen soll, nur nicht auf langweilige Art. Er widerspricht dem Credo eines guten, auch dieses Filmemachers, daß man seine erfundenen Figuren nicht bloßstellen darf. Wolke 9 ist, tut uns leid, Bergman ohne Ehe, Antonioni ohne Tiefgang und Tarkowski ohne Philosophie.
Die Frau: Man könnte auch sagen, Dresen ohne Schnittmeister. Warum muß ein verlassener Ehemann in spe Trainspotter sein und das liebevoll Eingefahrene der Ehe in einem »Ostel« inszeniert werden? Daß das Glück dieser Ehe nur einen Kleingarten füllt, ist zu wenig fantasievoll. Der Zug, der den verlassenen (trainspotter!-)Ehemann überfährt, als Mahnung, daß man mit 70 nichts mehr ohne schmerzhafte Konsequenzen tut? Wenn Dresen seinen Figuren – mit allem Recht und der angemessenen Natürlichkeit, die sein großes Talent ist – Leidenschaft im Alter gönnt, warum bestraft er dann den Seitensprung dramaturgisch wie ein Alttestamentarier, untermalt von Beethoven (sic!)? Die Darsteller sind überzeugend, Horst Westphal sehr attraktiv und Sex über 70 eine verlockende Aussicht – aber der Film ist einfach zu lang. Dabei waren tiefere Schlußszenen dabei: Der alsbald verlassene Ehemann am Tisch in nie enden könnendem Schweigen. Oder auch die Szene, in der sich die beiden Glücklicheren sagen: »Ich schlafe gern mit Dir«. Wenn das, wie im Feuilleton gepriesen, die Botschaft dieses Films sein soll, warum nicht? Es wäre eine schöne.
Der Mann: Allerdings habe ich mich oft gefragt, warum die Kritiker das Ding über den grünen Klee loben. Es hat lange gedauert, eine zweifelnde Rezension zu finden. Eine Lobhudelei stand unter anderem im Fachblatt epd Film: Normalität, die der Film nicht zeigt, erscheint als Nische. Er soll sogar klassisch und ein Lehrbeispiel ökonomischen Erzählens sein. Wir finden: der Rest muß dann wirklich Schweigen sein.
Jeder kann mal einen schlechten Film machen. Hoffentlich war das Dresens letzter Fehlgriff. Wir raten zu einer andere Wolke.
Wolke 9; BRD 2008; Regie: Andreas Dresen; Kamera: Michael Hammon; Darsteller: Inge (Ursula Werner), Karl (Horst Westphal), Werner (Horst Rehberg), Tochter (Steffi Kühnert); Länge: 99 Minuten; Farbe; seit Anfang September 2008 im Kino.
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