15. Jahrgang | Nummer 11 | 28. Mai 2012

Geweckte Erwartungen

von Gabriele Muthesius

Der Beitrag von Wilfried Schreiber in der vorangegangenen Ausgabe des Blättchens über das Militärhistorische Museum der Bundeswehr in Dresden, seine ungewöhnliche Architektur und seine völlig neu gestaltete Exposition hat meine Neugier geweckt, das Museum angelegentlich einer künftigen Visite in der Elbmetropole zu besuchen. Dass das Haus auf die Glorifizierung von Krieg und Kriegstaten verzichtet, hatte ich zuvor schon anderen Besprechungen entnommen. Nun vermerkte Schreiber unter anderem, dass die Ausstellung die „NVA als Teil der deutschen Militärgeschichte“ zeige. „Dabei“, so der Autor, „ist zweifellos richtig, wenn die NVA trotz ihrer Eigendefinition als Volksarmee hier als Parteiarmee der SED dargestellt wird und auch alle entsprechenden Indizien dafür präsentiert werden.“
Eine solche Herangehensweise lässt mich erwarten, dass die Ausstellungsmacher im Hinblick auf die Bundeswehr zu einer vergleichbar richtigen Darstellung gefunden haben. Ich bin daher gespannt, was das Museum zur Geschichte, zur Traditionspflege und zum historischen Führungspersonal der westdeutschen Streitkräfte dokumentiert und erläutert. Dazu nur einige Stichworte.
Zur Geschichte der Bundeswehr gehört deren „Gründungsdokument“, die so genannte „Himmeroder Denkschrift“ von 1950 (benannt nach einem Kloster, in dessen Mauern sie entstand). Sie wurde im Auftrag des damaligen Bundeskanzlers Konrad Adenauer von einer seinerzeit streng geheimen Arbeitsgruppe von 15 Mitgliedern verfasst, die allesamt der faschistischen Wehrmacht – davon zehn als Generäle und Admiräle – angehört hatten. Unter ihnen zum Beispiel Hermann Foertsch, im Zweiten Weltkrieg als Generalmajor zeitweise Chef des Generalstabes der Heeresgruppe E, deren Einheiten unter anderem zur Partisanenbekämpfung in Jugoslawien und in Griechenland eingesetzt waren. (Dortige Kriegsgräuel der Wehrmacht sind seit langem gut dokumentiert.)
In Sachen Traditionspflege war es jahrzehntelang Usus bei der Bundeswehr, Standorte und Einheiten oder Großwaffensysteme nach „Kriegshelden“ der Nazi-Wehrmacht zu benennen. Gut in Erinnerung ist die „Generaloberst Dietl“-Kaserne in Füssen – benannt nach dem von der Goebbelsschen Propaganda zum „Helden von Narvik“ (Überfall auf Norwegen, 1940) stilisierten Gebirgsjäger-General Eduard Dietl, der in seinem Zuständigkeitsbereich später den besonders verbrecherischen so genannten Kommissarbefehl exekutieren ließ und für seine – im Wortsinne – mörderische Brutalität in den ihm unterstellten Feldstraflagern der Wehrmacht in Finnland und Nordnorwegen berüchtigt war. Auch die Benennung des Jagdgeschwaders 74 der Bundesluftwaffe und eines Lenkwaffen-Zerstörers der Bundesmarine nach Werner Mölders gehören durchaus in diese Rubrik der unreflektierten Glorifizierung. Mölders war Staffelkommandant in der Legion Condor, mit der das Hitler-Regime seinen Gesinnungsgenossen Franco in Spanien bei seinem faschistischen Putsch gegen die Spanische Republik unterstützte, und trug im Zweiten Weltkrieg den „Lorbeer“ des Kriegshelden für über 100 Abschüsse, für die ihn Hitler als ersten Wehrmachtsoffizier mit dem damals höchsten Militärorden dekorierte.
Besonders interessant, weil die Aufbauphase der Bundeswehr prägend, ist das Führungspersonal der frühen Jahre. Erster Inspekteur der Bundesluftwaffe zum Beispiel war Josef Kammhuber, der sich bereits als Reichswehroffizier am 9. November 1923 – ebenso wie „Kamerad“ Eduard Dietl – geweigert hatte, gegen den Münchner Hitler-Putsch vorzugehen. Im Zweiten Weltkrieg – Generalmajor und Ritterkreuzträger. Die Art und Weise seiner Vergangenheitsbewältigung demonstrierte Kammhuber unter anderem, als er in seiner Zeit als Inspekteur 1960 die Laudatio auf einen verstorbenen Nazi-General und -Kriegsverbrecher hielt. Zu Grabe getragen wurde Albert Kesselring, den ein britisches Militärgericht 1947 als Verantwortlichen für die Erschießung von 335 Geiseln in den Fosse Ardeatine in Rom zum Tode verurteilt hatte, der allerdings 1952 begnadigt worden war. Zum historischen Führungspersonal der Bundeswehr gehörte auch Heinz Trettner, der sogar als deren Generalinspekteur. Als Staffelkommandant der Legion Condor war Trettner am Terrorangriff gegen Guernica beteiligt. Über seine spätere Tätigkeit hieß es in einem 1964 erschienenen Weißbuch des Nationalrates der Nationalen Front der DDR: „Trettner war sowohl an der Vorbereitung und Planung von Hitlers Aggressionen, Invasionen und der Überfälle auf neutrale Staaten (zum Beispiel als Stabschef beim Überfall auf die Niederlande 1940 – Anm. G.M.) maßgeblich beteiligt, wie er auch an ihrer militärisch-brutalen Durchsetzung führenden Anteil hatte.“
Neugierig, wie mich Wilfried Schreibers Beitrag gemacht hatte, und weil ich in den nächsten Tagen wohl nicht gleich nach Dresden kommen werde, begab ich mich auf die Homepage des Museums und gab folgende Stichworte in die Suchmaske ein:
– Himmeroder Denkschrift
– Generaloberst-Dietl-Kaserne
– Kommissarbefehl
– Lenkwaffen-Zerstörer Mölders
– Jagdgeschwader 74 Werner Mölders
– Josef Kammhuber
– Heinz Trettner
– Legion Condor
– Guernica
Das Suchergebnis lautete jedes Mal „0“. Als ich darüber mit einem der Blättchen-Redakteure sprach, richtete dieser eine entsprechende Anfrage an die Pressestelle des Museums. Geantwortet wurde prompt – unter anderem: Die Suchmaske der Homepage beziehe „sich lediglich auf die Inhalte der Homepage. Wir beschreiben […] unsere Sachgebiete […], nicht aber einzelne Exponate oder konkrete Themen. Bei allein über 10.500 in der Dauerausstellung gezeigten Exponaten, allein das deutlich weniger als 1 Promille des Gesamtbestandes, ist das auch schlechterdings nicht möglich. Aus diesem Grund finden Sie auf der Homepage keine ‚Treffer’ zu Ihrer speziellen Suche.“ Und weiter: „Das Militärhistorische Museum der Bundeswehr liefert zu allen von Ihnen abgefragten Stichworten – direkt oder indirekt – Informationen und/oder Exponate. Indirekt meint, dass wir beispielsweise statt des Kommissarbefehls andere aussagekräftige Exponate gewählt haben, die wesentliche Aspekte dieses Befehls aufgreifen, den juristischen und den ideologischen: Wir stellen einerseits den Kriegsgerichtsbarkeitserlaß aus, der pars pro toto für die verbrecherische Wehrmachtsjustiz steht, andererseits thematisieren wir die Rasseideologie durch die Darstellung der ,Untermenschen’-Propaganda. Wie Sie sehen, ist unser Museum schwer über Stichwortsuche aus der Ferne zu recherchieren. Daher lade ich Sie und/oder einen Kollegen aus der Redaktion von DAS BLÄTTCHEN ein, sich ein eigenes und umfassendes Bild vom Militärhistorischen Museum der Bundeswehr hier vor Ort in Dresden zu machen.“
Weiteres also nach einem Ortstermin.