15. Jahrgang | Nummer 9 | 30. April 2012

Kleiner Trost

von Matthias Käther

Wir Linken, hört man von nicht ganz so rotgefärbten, aber toleranten Freunden, wirken in letzter Zeit immer so traurig. Das kann einen, so geduldige Bisschen-Andersdenkende, zuweilen ganz schön deprimieren. Liegt wohl daran, mutmaßen sie, dass die Welt in unseren Augen so düster ist und uns keiner so recht liebhat, nicht einmal – glaubt man Berichten über interne Flügelkämpfe der Partei „Die Linken“ – wir uns selbst.
Stimmt alles! Schuldig im Sinne der Anklage! Kommt noch hinzu, dass ihr, die Linkssein günstigenfalls für infantil haltet, mit uns immer ein fieses Spiel spielt, bei denen ihr stets die Gewinner bleibt. Ihr setzt eine verständnisvolle Miene auf und fragt: „Euch passt sie also nicht, diese Gesellschaftsordnung. Na gut, aber dann erzählt uns doch mal, wie sie funktionieren könnte? Und – wie ihr das alles bezahlen wollt?“
Meiner Erfahrung nach verlieren wir das Spiel, weil der konservative Gesprächspartner immer verlangt, man möge ihm die Zukunftsvisionen auch recht hübsch in seine Welt übersetzen. Das Dilemma dieser Debatten ist erschöpfend von Oscar Wilde im seinem Essay „Der Sozialismus und die Seele des Menschen“ dargestellt worden. Nie wieder, nicht einmal bei Marx oder Mühsam, ist so schrecklich schön mit konservativem Denken abgerechnet worden.
„Es wird natürlich gesagt werden, ein solcher Plan, wie er hier vorgebracht ist, sei ganz unpraktisch und gegen die Natur des Menschen. Das ist völlig wahr. Er ist unpraktisch und er geht gegen die Natur des Menschen. Darum verdient er es, durchgeführt zu werden, und darum schlägt man ihn vor. Denn was ist ein praktischer Plan? Ein praktischer Plan ist entweder ein Plan, der bereits besteht, oder ein Plan, der unter den bestehenden Verhältnissen durchgeführt werden könnte. Aber grade gegen die bestehenden Verhältnisse wendet man sich; und jeder Plan, der sich in diese Verhältnisse fügen könnte, ist schlecht und töricht.“
Ich betone, dass dies Oscar Wilde gesagt hat und nicht ich. Ich möchte ungern der Liste der Individuen hinzugefügt werden, die verfassungswidriges Gedankengut produzieren. Leider tun das manche Klassiker – was kann ich dafür.
Aber ich komme vom Thema ab – bisher habe ich noch nichts Tröstliches verkündet. Aber jetzt kommt es. Das alte Spiel „doofer Linker – weiser Konservativer“ wird nicht mehr gespielt. Naja, vielleicht noch manchmal in Bayern. Es kann nicht mehr gespielt werden, weil es den schneidigen Konservativen alter Schule nicht mehr gibt.
Könnt ihr euch noch an diese Sorte erinnern? Die war der felsenfesten Überzeugung, dass die schwarzgelbe Regierung schon wisse, was sie tue.
Ein bisschen hab ich sie immer gemocht, diese Leute, die dachten, die Welt wäre in Ordnung, solange man CDU und FDP nur hübsch in Ruhe ihre Arbeit machen ließe. Sie hatten etwas Rührendes. Mein alter Onkel, Gott hab ihn selig, gehörte zu dieser Kategorie. Er hatte dies sardonische Überlegenheitsgrinsen, dies schwachsinnige Gottvertrauen, das uns in den Romanen von Wodehouse und Hasek so entzückt und uns in der Realität so auf die Nerven fällt. „Matthias“, pflegte er zu sagen, während er sich den Mund mit einer Serviette abtupfte, „diese Marxismus-Sache – ich hab da kein Problem mit. Du bist jung, aufschäumend, unerfahren. Wir haben alle mal links angefangen. Im Alter gibt sich das. Da wird man solider.“
Wenn ich ihn dann diskret darauf hinwies, dass Marx höchstselbst im Alter mitnichten solide wurde und auch immer noch systemkritisch dachte, wandte er sich kommentarlos dem Stachelbeerkompott zu, wechselte das Thema und sprach von christlichen Werten.
Dieser Typus liebte Helmut Kohl. Er zweifelte selten an der Weisheit des Mannes, der es schon richten würde. Er sah zu ihm auf, wie man einst zum Kaiser aufsah.
Dieser Typus ist ausgestorben. Es ist nun an uns, ironisch zu lächeln. Dieser unstete, nervöse Blick, den die Linken nach 1989 hatten, er findet sich jetzt auch in den Augen der Konservativen wieder. Ein Wunder ist geschehen, eine Anomalie fürs Kuriositätenkabinett – unsere alten Gegner glauben nicht mehr, dass die Welt so funktioniert, wie sie sie bisher gesehen haben. Mehr noch, sie wissen nicht mehr, wie sie sie sehen sollen. In den Berliner Restaurants, in denen die Konservativen verkehren, hört man immer öfter Leute in Anzügen laut diskutieren, mit einer Vehemenz und Dezibelzahl, die eigentlich früher den chaotischen Linken vorbehalten war. Konservative Politiker mutieren in ihrer Unsicherheit zu Hanswursten, vom Hinterbänkler bis hinunter zum (Ex-)Präsidenten, der kläglich damit endet, dass sich sogar Filmsternchen zu schade sind, ihm während der Berlinale die Hand zu drücken. Das einst so selbstgefällige Lager gleicht einem Ameisenbau, in den man einen Stein geworfen hat. Ihre Konzepte greifen nicht, und sie ahnen das. Und schlafen schlecht.
Bezeichnenderweise lebte eine Partei wie die FDP stets davon, den Bürgern zu erzählen, sie wüsste genau, wie die Welt funktioniert. Diesem Verein glänzender politischer Houdinis gelang es immer wieder dank charismatischer Persönlichkeiten, sich auch der besten Argumentationsfessel zu entwinden. Und schaut euch an, was aus ihnen geworden ist. Ein Haufen von schlechten Taschenspielern, die nicht mal mehr auf Kindergeburtstage eingeladen werden. Und warum passiert das? Weil ihnen das Publikum weg gebrochen ist – eben jener Typus selbstgerechter gelb angestrichener pseudotoleranter schneidiger Konservativer, der ganz genau weiß, wie die Rädchen des Universums abschnurren. Dass die FDP untergeht, ist das markanteste Symptom dafür, dass die Konservativen nicht mehr weiterwissen.
Freilich – wir auch nicht. Aber wir müssen uns dafür nicht mehr auslachen lassen. Und das ist doch ein kleiner Trost, oder?