von Jochen Bäumel
Hat sich jemals ein Bundesstagsabgeordneter bestechen lassen? Ist jemals ein Abgeordneter (eine Abgeordnete) verurteilt worden, weil er die ihm anvertraute Macht zu seinem persönlichen Vorteil genutzt hat? Die Antwort ist: Jein. Bekannt – und vom Bestochenen zugegeben – ist die Stimmenthaltung des CDU Abgeordneten Julius Steiner beim Misstrauensvotum von Rainer Barzel CDU gegen den damaligen Bundeskanzler Brandt (1972). Es ging um die umstrittenen Ostverträge. Rainer Barzel fehlten 2 Stimmen, um Kanzler Brandt zu stürzen. 50 000 DM sollen damals an Julius Steiner geflossen sein – Gelder die aus der DDR stammten, wie aus Stasiakten Anfang der 90er Jahre bekannt wurde.
Gab es eine Verurteilung von Steiner wegen Vorteilsnahme? Nein, denn der entsprechende Paragraf im Strafgesetzbuch wurde 1953 auf Wahlen und Abstimmungen des Volkes beschränkt. Die Abgeordnetenbestechung war aus den Strafgesetzen bis 1994 getilgt. Damals, nach 40 Jahren, wurde der Paragraf 108 e Abgeordnetenbestechung wieder ins Strafgesetzbuch aufgenommen, gewissermaßen eine „Lightversion“ , denn unter Strafe gestellt wurde lediglich der konkrete Stimmenkauf. Dankeschönspenden darf der Abgeordnete selbstverständlich weiter annehmen, Geschenke an die verehrte Frau Gemahlin natürlich auch, sogar ein entsprechendes Abstimmungsverhalten in den Fraktionen darf man sich kaufen. Der Bundesgerichtshof befand 2006, dass dieser Paragraf den heutigen Vorstellungen nicht mehr entspricht und hat dem Abgeordnetenbestechungsparagraf das Etikett der symbolischen Gesetzgebung verpasst.
Seither hat es drei Gesetzentwürfe der Oppositionsparteien gegeben, die eine Verschärfung des 108 e zum Ziel haben. Hintergrund ist dabei immer, dass sich Deutschland in der peinlichen Lage befindet, die UN-Konvention gegen Korruption zwar 2003 unterzeichnet, aber bis heute immer noch nicht ratifiziert zu haben. 140 Nationen haben die Konvention bisher ratifiziert, darunter fast alle Industrienationen. Deutschland findet sich in der peinlichen Gesellschaft der Verweigerer wie Saudi Arabien, Somalia, Sudan, Syrien.
Freilich gibt es eine ganze Reihe von Staaten, von denen man trotz der Ratifizierung nicht behaupten kann, sie seien Lichtgestalten der Korruptionsbekämpfung. Aber sollte Deutschland nicht als Exportnation ein Vorbild sein, gerade wenn wir weltweit fairen Wettbewerb und „good governance“ bei anderen anmahnen?
Wer sich die Debattenbeiträge im Bundestag angehört hat, der konnte den Eindruck gewinnen – und die Vertreter der Union haben sich dabei besonders hervorgetan – dass die UN-Konvention gegen Korruption eher schade, denn nutze, ja dass man sie am besten gar nicht hätte unterzeichnen sollen. In der UN-Konvention werden nämlich Amtsträger und Mandatsträger gleichgesetzt, wenn es um die Annahme von Vorteilen bei der Ausübung des Dienstes (Amt) oder des Mandates geht. Das passt im deutschen Rechtssystem gar nicht zusammen. Interpretationen, Kommentare und Urteile wurden eifrig zitiert, nur um klar zumachen, dass ein Amtsträger nicht mit einem Mandatsträger vergleichbar sei. Der Mandatsträger sei nicht nur frei in der Gestaltung seines Auftrages, er sei auch an Weisungen und Aufträge nicht gebunden. Wohl wahr, aber heißt das auch, dass er dafür, dass er sein Mandat ausübt, Vorteile materieller oder auch immaterieller Art annehmen kann? Ja, sagt die SPD in der Begründung zu ihrem Gesetzentwurf. Der Abgeordnete dürfe entsprechend ihrem Gesetzentwurf nur dann Vorteile nicht annehmen, wenn diese an Aufträge und Weisungen gebunden seien, die seiner eigenen Überzeugung widersprächen. Der Erfindungsgabe beim Aufspüren von Winkelzügen sind offenbar keine Grenzen gesetzt, wenn es dem eigenen Vorteil dient. Nähme man diese Argumentation ernst, dann widerspräche bereits das Abgeordnetengesetz dem Grundgesetz. Im Abgeordnetengesetz heißt es nämlich: „Für die Ausübung des Mandats darf ein Mitglied des Bundestages keine anderen als die gesetzlich vorgesehenen Zuwendungen oder andere Vermögensvorteile annehmen.“ Was im Grundgesetz nicht ausdrücklich verboten ist, ist deshalb noch lange nicht erlaubt. Ein Verstoß gegen diese Vorschrift ist allerdings bislang nicht strafbar.
Vorteile, die den „parlamentarischen Gepflogenheiten“ entsprächen, sollten auch in Zukunft nicht strafbewehrt sein, weil, so heißt es in der Begründung weiter, „sich der Mandatsträger hierdurch regelmäßig nicht motivieren lässt, später im Auftrag oder nach Weisung zu handeln.“ Was „parlamentarische Gepflogenheiten“ sind wird äußerst großzügig umschrieben. „Der unentgeltliche Transport zu einer Veranstaltung ist in diesem Zusammenhang ebenso zu nennen wie die Übernahme der mit der Teilnahme verbundenen Übernachtungskosten. In gleicher Weise ist die Durchführung von Informationsreisen zulässig, bei denen die Erkundigung über wirtschaftliche, soziale oder politische Umstände im Vordergrund steht.“ Wenn das alles zulässig sein soll, ist die Frage, warum es eine angemessene Entschädigung der Abgeordneten gibt, warum sie das Recht der freien Nutzung aller staatlichen Verkehrsmittel haben, warum es eine Kostenerstattung für Dienstreisen gibt, einschließlich der Übernahme der Kosten für Kost und Logis. Wer den Gesetzentwurf liest, muss das Gefühl bekommen, es soll sich am besten nichts ändern. Das aber kann nicht das Anliegen dieses Gesetzes sein. Was „parlamentarische Gepflogenheiten“ sind sollte in den Verhaltensregeln der Abgeordneten festgelegt werden, wobei zu berücksichtigen ist, dass sehr wohl die Erstattung von Reisekosten bereits gesetzlich geregelt ist. Verhaltensregeln könnten die klare Richtschnur vorgeben – was ist erlaubt und was nicht. Das würde die oft zitierten wilden Ermittlungen von Staatsanwälten an klare Vorschriften binden.
Abgeordnete regeln unser Zusammenleben, sie vertreten dabei die verschiedensten Interessen. Für diese verantwortungsvolle und mit Sicherheit nicht immer leichte Aufgabe werden sie auch entlohnt. Es ist schwer verständlich, dass das einfache Prinzip, keine außergesetzlichen Zuwendungen für die Ausübung des Mandats zu erlauben, juristisch so ungeheuer schwer zu fassen sein soll, wie uns das die Redner der Union weismachen wollen. Nach dem Grundgesetz darf es keine Privilegierung durch Geld geben beim Zugang zu Politik, Behörden und Abgeordneten. Das Egalitätsprinzip ist ein hohes Gut der Demokratie. Wer es zu unterlaufen versucht, schadet der Demokratie, zerstört das Vertrauen und die Glaubwürdigkeit in Politik und Politiker.
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