13. Jahrgang | Nummer 4 | 1. März 2010

Fit für die Volksgemeinschaft

von Wolfgang Brauer

Am 12. Februar 2010 war die Sicht von den „Linden“ auf das Brandenburger Tor wieder einmal versperrt. Diesmal von einer überdimensionalen Kinoleinwand, eingerahmt von einer Art Vorhang aus diversem Medienmüll um die adäquate Kulisse für die vermeintliche Wiedergeburt eines mit überdimensionalem Aufwand produzierten Filmwunders zu bieten, das es immerhin geschafft hat, Bestandteil der Unesco-Liste „Memory of the World“ (des „Weltdokumentenerbes“) zu werden. Gute drei Stunden harrten dort  2000 Cineasten in Eis und Schnee aus, um das „public viewing“ der zeitgleichen Berlinale-Veranstaltung im Friedrichstadtpalast mitzuverfolgen. Dort wurde „die Wiederauferstehung von Fritz Langs epochalem Meisterwerk ‚Metropolis’“ gefeiert, wie selbst das Neue Deutschland in ungewohnt unkritischer Weise textete. Die Frankfurter Rundschau verstieg sich sogar dahin, eine „Uraufführung“ zu vermelden, und arte – der Sender übertrug das EVENT live – schwadronierte von einer „Weltpremiere“.

Nun ist mit  Wiederauferstehung hauptsächlich das Einfügen von 25 Minuten dauerndem Filmmaterial gemeint, das einer erst im Jahre 2008 in Buenos Aires aufgefundenen 16-mm-Kopie der Premierenfassung entstammt. Die ging erstmals am 10. Januar 1927 im Berliner Zoopalast über die Leinwand und fiel bei Publikum und Rezensenten gnadenlos durch: „Ein sachliches Thema grausam verkitscht. Effekte, nicht weil Weltanschauungen zu Explosionen drängen, sondern weil der Film seine Tricks will. Der Schluß, die tränenreiche Versöhnung von Arbeitgeber und Arbeitnehmer – entsetzlich.“ So Herbert Ihering am 11.1.1027 im  Berliner Börsen-Courier.

Vier Monate lang kämpfte die Ufa noch halbherzig in ihrem Kino am Berliner Nollendorfplatz um den Film, dann kapituliert sie und läßt ihn rabiat um ein Fünftel seiner Länge kürzen. Man versuchte, so wenigstens einen Teil der Produktionskosten wieder einzuspielen. Aber die vorsichtig geschätzten 5 Millionen Reichsmark Aufwand spielten magere 75 000 RM Erlös ein. Fritz Lang und sein Produzent Erich Pommer lieferten einen gigantischen Flop, der die Ufa zwar nicht allein, wie oft behauptet wird, in den Ruin trieb, aber doch Entscheidendes dazu beitrug, daß Alfred Hugenberg den maroden Konzern seinem Medienimperium einverleiben konnte. Der Film allerdings verschwand zu Recht in der Versenkung.

Hinsichtlich seiner handwerklichen Qualitäten, seiner filmästhetischen Innovationen eine großartige, oft zitierte und kopierte Arbeit bietet er eine „story, die sich an den Romanen von Lieschen Müller orientierte“, wie Michael Töteberg 1992 bemerkte. Derselbe Autor klassifizierte denn auch die so großartig verpackte politische Utopie als „mehr als dürftig“. Damit bleibt er noch hinter Fritz Lang zurück, der sich nach den Jahren des Exils vom „wichtigsten deutschen Film aller Zeiten“, wie die Apologeten des Mainstreams lobhudeln, durchaus distanziert hat. Die banale Gut-gegen-Böse-Geschichte des durch Ingenieursgenie konstruierten Gegensatzes zwischen Ober- und Unterwelt einer Stadt der Zukunft, garniert mit der üblichen Aschenputtel-Lovestory und dem Rachfeldzug des erfinderischen Schuftes Rotwang mündet natürlich in der Beinahe-Katastrophe, herbeigeführt durch eine rach- und tobsüchtige blindwütig alles zertrümmernde Masse. Wenn denn nicht Maria ihren Liebsten Freder Fredersen behutsam an die Hand genommen hätte, um ihm klarzumachen, daß er der lange erwartete „Mittler“  sei zwischen den groben Proleten der „Unterwelt“ und den Geistesarbeitern der „Oberwelt“. Denn – so der Schlußtitel des Films: „Der Mittler zwischen Hand und Hirn muß das Herz sein.“ Friede, Freude, Eierkuchen – Klappe!

Man könnte das Ganze wie das arte-magazin mit der Bewertung genug sein lassen, daß dieses „architektonisch-kühne Filmmärchen“ nunmehr eine Seele habe. Wenn, ja wenn diese völkisch getönte Billiggeschichte der Thea von Harbou nicht wenige Jahre später blutige Realität geworden wäre. Da ernannte sich dann der Führer zum Mittler zwischen den „Arbeitern der Stirn und der Faust“, und das Ganze hieß fortan „nationalsozialistische Volksgemeinschaft“ und das Ganze wurde erstmals am „Tag der deutschen Arbeit“ am 1. Mai 1933 zelebriert, und die von da ab in Mode gekommenen Aufmarschbauten sehen dem Stadion des „Klubs der Jugend“ in „Metropolis“ so teuflisch ähnlich. In der bundesdeutschen „Oberstadt“ Frankfurt am Main erlebte der Film zur selben Zeit in der Alten Oper seine Parallelpremiere. Hessens CDU-Koch begrüßte ihn nachdrücklich als „intellektuelle Anregung“.

Daß diese sich auf eine wundersame Weise in das Weltbild der Sozialstaatsumbauer einfügt, verwundert nun genau genommen nicht. Die deutsche Hochglanzkultur frönt seit Längerem parteienübergreifend einem elitären Heilsbringerweltbild, das mit einer geradezu pathologischen Abneigung gegen das Volk, den großen arbeitsscheuen Lümmel verbunden ist. Philipp Stölzl inszenierte jüngst an der Deutschen Oper in Berlin Richard Wagners „Rienzi“. Es ist müßig darüber zu lamentieren, daß „Rienzi“ des Führers Lieblingsoper wurde. Dem Wagner des Jahres 1840 darf man das nicht vorwerfen. Aufschlußreich ist die Lesart des Regisseurs des Jahres 2010: „Der dekadente Adel, den Rienzi aus der Stadt getrieben hat, wiegelt das Volk auf, das sich am Ende gegen den eigenen Befreier wendet und ihn steinigt.“ Die tumbe Masse also, vor deren Befreiung man sich als „großer Mann“ hüten müsse und wenn man sich schon nicht zusammenreißen könne, dann solle man wenigstens  Maß halten. Rienzi, so Stölzl, scheitere zwar an „seinem eigenen, immer wahnwitzigerem Machtrausch“, aber auch daran, daß „seine Macht nur auf blutiger Unterdrückung und einer permanenten Propagandalüge“ beruhe. Nur? Ein bissel mehr „Brot und Spiele“ hätten’s wohl doch sein sollen? Ein bissel mehr Herz an die Seite des Tribunen?

Wenn das die „intellektuellen Anregungen“ sind, die Roland Koch und andere so heftig feiern, dann ist Oskar Roehlers „Jud Süß – Film ohne Gewissen“  nicht der peinliche Ausrutscher der diesjährigen Berlinale, als den ihn das deutsche Feuilleton derzeit darstellt. Roehler zeigt einfach nur auf, was heute wieder so alles denkbar ist. Viel Hirn scheint da nicht mehr zu sein, das mit der Hand vereint werden müsse.