August von Kotzebue war ein quirliger und streitbarer Dichter, verfasste Bühnen-Bestseller am laufenden Band, galt als Russlandversteher und war in der Tat des Zaren Beamter. Er bot ein prächtiges russisches Feindbild und die jungen deutschen Rebellen richteten ihn. Der deutsche Dramatiker August von Kotzebue ist 1819 in Mannheim von dem ehemaligen Jenaer Studenten Karl Ludwig Sand erdolcht worden.
Kotzebue begann seinen flimmernden und sprühenden Lebensweg 1761 in Weimar. Er studierte Jura und arbeitete zunächst in seiner Vaterstadt als Advokat. 1781 wurde er in Russland Sekretär des Gouverneurs von Petersburg. Neun Jahre später nahm er seinen formalen Abschied aus dem Staatsdienst und lebte als Privatier und Theaterdichter im baltischen Reval, in Paris, Mainz und Wien. 1800 ging er nach Russland zurück, wurde jedoch als angeblicher Jakobiner verhaftet und nach Sibirien verbannt. Flugs rehabilitierte er sich mit dem Bühnenstück „Der alte Leibkutscher Peters III.“. Zar Paul I. war gerührt und begnadigte den Autor. Kotzebue wurde Direktor des Deutschen Theaters in Petersburg. 1802, Zar Paul I. war inzwischen einer Palastrevolte zum Opfer gefallen, reiste er nach Berlin und gab dort die Zeitschrift Der Freimütige heraus.
Mit seiner ganzen Streitlust griff er in die „ästhetische Prügely“, so der Titel eines seiner Bühnenstücke, ein, in der Weimarer Klassiker und deutsche Romantiker erbittert um die geistige Bewältigung der Umbrüche im niedergehenden Reich stritten. Kotzebue war ein Netzwerker par excellence! 1807 konnte er sich nach der preußischen Niederlage bei Jena und Auerstedt, in Königsberg niederlassen. Von der preußischen Krönungsstadt aus führte er in den Zeitschriften Die Biene und Die Grille im russischen Auftrag, so sagte man, den publizistischen Kampf gegen Napoleon – in einer Zeit, in der Preußen von einem Militärbündnis mit Russland an die Seite Frankreichs überwechseln musste. Das war ohne Zweifel riskant, aber verdienstvoll. Russland galt als Hoffnungsträger im Ringen gegen Napoleon. Diese Hoffnung wandelte sich nach dem Sieg über Napoleon. Die Russen waren im Westen nicht länger erwünscht, weil sie zu große eigene Machtansprüche besaßen. Kotzebue aber blieb auf dem nunmehr ausgemusterten Pferd sitzen.
Nach dem Wiener Kongress von 1814/15 ernannte Kaiser Alexander I. ihn zum russischen Staatsrat und beauftragte ihn, Informationen über das geistige Leben in Deutschland und Frankreich zu sammeln. Kotzebue kehrte nach Weimar zurück. Das liberale Denken des Großherzogs Carl August und den aufmüpfigen Freigeist von Gelehrten und Studenten der Jenaer Universität galt den politischen Granden der von Russland geführten „Heiligen Allianz“, deren politische Fäden vom Fürsten Metternich in Wien gesponnen wurden, als höchst suspekt.
Das Wartburgfest der deutschen Burschenschaften vom Oktober 1817 erregte die geistige Nation. Freiheit, Nationalismus, und Reaktion trafen erbittert aufeinander und boten dem Zaren einen Anlass, Kotzebues Künste spielen zu lassen.
Das Fest wurde kriminalisiert und mit einem Gespinst von Lügen und Verdächtigungen umgeben. Carl August, das Weimarer Parlament, die Verfassung, die liberal-konstitutionelle Presse, alle gerieten unter einen politischen Druck.
Nicht nur Kotzebue, die ganze in Weimar ansässige „russische Parthie“, so der Publizist und Unternehmer Friedrich Justin Bertuch, geriet ins Zwielicht der Öffentlichkeit. Da gab es den 1814 von Dresden nach Weimar versetzten Oberhofmarschall und Staatsminister Albert Cajetan Graf Edling. Er galt der Weimarer Presse als stockreaktionär und als Zuträger der russischen Regierung.
Es begann ein zäher und aggressiver Pressekrieg, in dem sich der Kampf um nationalliberale deutsche Werte und der Hass gegen Russland ineinander verbissen.
Die Darstellung Kotzebues als einen aus Petersburg gesteuerten Agenten, rangierte in den Augen der liberalen Publizisten zur vordringlichen Aufgabe bei der Rettung der Weimarer Pressefreiheit. Die Fehde begann mit dem Wartburgtreffen vom Oktober 1817, auf dem im Schatten der jubelnden Burschenschafter Bücher verbrannt wurden, darunter auch die von Kotzebue verfasste Geschichte des Deutschen Reichs. Der Dichter gab ab November 1817 in Weimar das Literarische Wochenblatt heraus. Darin wehrte er sich gegen die Schmähungen und ging zur Offensive über, indem er die Burschenschaften attackierte und schrieb, dass die nationalliberalen Bestrebungen und der Kampf gegen die politische Reaktion nicht nur Deutschtümelei, sondern auch zunehmende Tendenzen der Russophobie hervorbrachten.
Als Auszüge aus einem internen Bericht an seine vorgesetzte Dienstbehörde in St. Petersburg heimlich kopiert und unautorisiert in verschiedenen liberalen Blättern in Jena und Weimar abgedruckt wurden, angeführt von der Zeitschrift Nemesis des Historikers Heinrich Luden, erschien Kotzebue die in Weimar gewährte Pressefreiheit untragbar. Er plädierte für deren Verbot und heizte damit die Aggressivität seiner Gegner an: Kotzebue, der Russenknecht, musste politisch mundtot gemacht werden!
Für den Moment war jedoch die „russische Parthie“ eindeutig stärker. Kotzebues antiliberalen Beiträge im Literarischen Wochenblatt lobten die Monarchie gegenüber der Demokratie, rückten von der unbedingten Forderung nach Freiheit und Gleichheit ab, verteidigten die Pressezensur, wetterten gegen den neuen Geist der Universitäten, verspotteten den Turnvater Jahn, das Idol der damaligen Jugend, und machten sich so bei ihr verhaßt.
Es ging um die grundsätzliche Frage, wie das künftige Deutschland politisch gestaltet werden sollte. Kotzebues niemals bestrittenes und offenes Engagement für die russische Autokratie diente in diesem Kampf als Feindbild, trotz der „Heiligen Allianz“. Der Hass gegen Kotzebue als dem Sinnbild der von Russland gesteuerten politischen Reaktion steigerte sich bis zu seiner Ermordung im März 1819 in Mannheim. Die Freveltat durch den ehemaligen Jenaer Studenten Sand führte wiederum im Rahmen der „Karlsbader Beschlüsse“ zur Stärkung der politischen Reaktion in Deutschland.
Doch merkwürdig: Kotzebue zählte zu seinen Lebzeiten zu den beliebtesten Bühnenautoren des deutschen Theaters. Sein gewaltsamer Tod machte ihn noch populärer. Er blieb im 19. Jahrhundert der am meisten gespielte Autor nicht nur in Deutschland. Mochte sich die Literaturkritik auch noch so über den modischen und seichten Vielschreiber aufregen. Kotzebue erfüllte allgemeine Wünsche und Sehnsüchte des bürgerlichen Publikums und verstand es, diese Wünsche so zu manipulieren, dass die Zuschauer diese als ihre selbsterwählten Tugenden betrachteten. Am bekanntesten ist bis heute das Lustspiel „Die deutschen Kleinstädter“, das mit Witz, Spott, Komik und der Verhöhnung menschlicher Schwächen arbeitet. Die Personen sind aber so stark karikiert, daß sich der Zuschauer nicht selbst getroffen zu fühlen braucht. Krähwinkel, der Ort des Geschehens, mit seinen kleinkarierten, titelsüchtigen, klatschenden Bewohnern hat das Deutschlandbild generell in der Welt beeinflusst. Obwohl das Stück bereits 1803 geschrieben wurde, als das Alte Reich noch existierte, war es dem Erscheinungsbild des Biedermeiers in der Zeit der Reaktion wie aus dem Gesicht geschnitten.
Wer mag da noch an der Zeitlosigkeit des Sujets in Deutschland zweifeln? Politiker und Intellektuelle streiten erbittert um Wesen und Gestalt der deutschen Gesellschaft zwischen Demokratie und Diktatur. Das gemeine Volk wird mit dem Konsumzwang auch im Trivialen abgelenkt und manipuliert. Doch immer war und ist der böse Russe mit im Spiel. In diesem Falle der russische Beamte Kotzebue. Doch dabei blieb es nicht. Schon bald nach dessen Ermordung galt der Zar nicht länger als Führungskraft der „Heiligen Allianz“. Er figurierte nur noch als „Gendarm Europas“, als militanter Gegner jeglicher Liberalität und national-demokratischen Idee im Westen Europas. Von der Ablehnung sozialer Revolutionen gar nicht zu sprechen. Der Westen machte mobil und warf das Netz der Russophobie über den Kontinent. Alles endete 1853 im Krimkrieg, in dessen Ergebnis Russland von den westlichen Großmächten politisch gemaßregelt wurde. Die Folge: Russland startete eine beispiellose industrielle Aufholjagd … Und auf westlichen Bühnen spielte man noch immer die Stücke Kotzebues.
Schlagwörter: August von Kotzebue, Detlef Jena, Heilige Allianz, Karl Ludwig Sand, Russland, Russophobie, Zaren


