Von Bamberg nach Schweinfurt liegen 60 Kilometer bester Radweg vor uns. Schon kurz hinter Bamberg legen wir den ersten Halt ein – beim Wallfahrtskirchlein Maria Limbach. Das ist ein entzückendes, exzellent restauriertes und erhaltenes Rokoko-Kleinod. Per Anschlag wird darum gebeten, die Türen unbedingt geschlossen zu halten – auf dass nicht Vögel sich ins Innere verirren und ihren Guano hinterlassen, bevor sie zwangsläufig verenden.
Im ausliegenden Gästebuch hat am Vortag (11. Juni 2025) ein Bittsteller notiert: „Lieber Gott, lass mich Fußballprofi werden!“ Allerdings – das abschließende Satzzeichen … Verleiht das dem Eintrag nicht einen gewissen Touch von Ultimatum?! Da wüsste man schon gern, wie ER sich dazu verhält: Willfahrt er dem anmaßenden Ansinnen? Und lässt die Karriere dann im Mittelfeld der zweiten, wenn nicht dritten Liga verhungern? Oder?
Zu denken gibt überdies der Sachverhalt, dass in den Seitenwänden des Kirchleinschiffes gleich acht doppelkabinige, ornamental prächtig eingerahmte Beichtstühle eingenischt sind. Ist die Gegend besonders sündig? Mit entsprechendem Ab-, äh, heute natürlich nur noch Erlassbedarf. Oder handelt es sich um einen katholischen Servicevorhalt für die Pilgermassen bei Wallfahrten?
Nur wenige Kilometer weiter – die nächste Wallfahrtskirche: Heilige Jungfrau Maria (nebst Ritterkapelle) in Haßfurt. Das Gebäude ist innen wie außen einer billigen Filmkulisse nicht unähnlich – die klobigen Steinquader des Mauerwerks sind lediglich auf den Putz gepinselt. Obwohl der Bau bereits aus dem 15. Jahrhundert stammt. Doch um 1890, so ist auf einer Tafel zu lesen, „nahm Bauassessor Anton Dorner […] eine Purifizierung des gesamten Baus im Stile der Neogotik vor“. Verhunzung durch Historismus. Schade. Wenigstens aber ist der dreireihige Wappenfries an der Außenmauer des Chores, direkt unter dem Dachfirst, mit insgesamt 230 Wappen adeliger Familien der Region erhalten geblieben.
Bevor wir am nächsten Tag nach Kitzingen aufbrechen – die Etappe misst 65 Kilometer –, besuchen wir das Museum Georg Schäfer. Es beherbergt mit über 300 Werken die weltweit größte Carl-Spitzweg-Sammlung, wovon immerhin fast 40 Gemälde in einem gesonderten Saal zu sehen sind. Gehängt und in Vitrinen. Letzteres ist dem Sachverhalt geschuldet, dass der ganz überwiegend kleine Formate pflegende Biedermeier-Maler gern das Holz von Zigarrenkisten als Malgrund nutzte. Die wurden seinerzeit nicht aus billigem Weichholz gefertigt, sondern auch schon mal aus Mahagoni. Eine Tafel lässt wissen: „Insgesamt sind etwa 13 % unserer Spitzweg-Gemälde auf diesem besonderen Holz gemalt.“ Zur Sammlung gehört auch ein Selbstporträt Spitzwegs, das ihn als versonnenen, introvertierten 32-Jährigen zeigt. Die physiognomische Nähe zu etlichen Figuren auf seinen Gemälden ist frappant.
Ein weiterer Saal im Schäfer-Museum ist Caspar David Friedrich und anderen Romantikern (darunter Carl Blechen) gewidmet. Gut vertreten sind darüber hinaus auch von Menzel, Corinth, Liebermann und Slevogt sowie die Symbolisten Böcklin und von Stuck.
Benannt ist das im Jahre 2000 eröffnete Museum nach dem Großindustriellen und Kunstsammler Georg Schäfer, der mit der Herstellung von Wälzlagern zu Reichtum gekommen war. Mutmaßlich insbesondere in jenen Jahren, als alle Räder für den Sieg rollten und Schäfer, der am 1. Mai 1933 der NSDAP beigetreten war, dem Unternehmen FAG Kugelfischer vorstand. Denn: kein Panzer, keine Haubitze, kein LKW, kein Sankra oder Geländewagen, aber auch keine Lok und kein Eisenbahnwaggon kämen ohne Wälzlager von der Stelle. Während des Zweiten Weltkrieges war fast die Hälfte der deutschen Wälzlagerproduktion in Schweinfurt konzentriert, und Kugelfischer sowie Fichtel & Sachs waren die Platzhirsche. Der Stadt bescherte dies zwischen 1943 und 1945 insgesamt 22 alliierte Luftangriffe. Bei Kriegsende waren 50 Prozent der Wohngebäude zerstört. Für Georg Schäfer ging es offenbar vergleichsweise rasch wieder bergauf; die Website des Museums informiert jedenfalls: „Angelegt wurde die Sammlung ab den 1950er Jahren von dem Schweinfurter Großindustriellen und Sammler Dr.-Ing. e.h. Georg Schäfer (1896-1975). Zu seinen Lebzeiten wurden bereits viele Kunstwerke als Leihgaben in bedeutenden Museen gezeigt, dagegen konnten seine Museumsplanungen, u.a. von Ludwig Mies van der Rohe, noch nicht realisiert werden. Von seinen Erben wurden rund 1000 Gemälde und 4650 Zeichnungen, der Kern seiner Kollektion, in die 1997 gegründete Sammlung-Dr.-Georg-Schäfer-Stiftung eingebracht […].“
Wenige Kilometer Main abwärts stoßen wir auf erste Weinberge entlang des Flusses; rasch breiten sie sich flächendeckend aus – ein natürliches Indiz dafür, dass unsere Tour die bierfränkischen Landstriche hinter sich gelassen und die weinfränkischen erreicht hat. (Zu dieser Zweiteilung Frankens siehe Folge I der vorliegenden Reisenotizen im Blättchen 17/2025.)
Über dem Weinort Volkach, gelegen an einer Mainschleife im Landkreis Kitzingen, thront die spätgotische Wallfahrtskirche Maria im Weingarten. Deren Prunkstück ist eine im Kirchenschiff schwebende lebensgroße hölzerne Madonna im Rosenkranz von der Hand des großen Bildschnitzers Tilman Riemenschneider, der, als er 71-jährig, 1531, starb, auf ein Leben mit großen Höhen (sehr gefragter Künstler und zeitweise Bürgermeister von Würzburg) und schauderhaften Tiefen (Kerkerhaft und Folterung wegen Parteinahme für aufständische Bauern) zurückblicken konnte. Das Schicksal seiner Madonna hingegen war insgesamt weniger unstet. Doch immerhin – am 7. August 1962 fiel sie, nebst anderen Kunstwerken, einem der spektakulärsten Kunstdiebstähle in der Geschichte der BRD zum Opfer. Der damalige Herausgeber des Magazins Stern, Henri Nannen, nahm sich des Falles an, und bereits am 26. August 1962 erschien ein großer Artikel, verbunden mit dem Aufruf: „Gebt die Madonna von Volkach zurück! Gegen 100.000 Mark Lösegeld.“ Den Dieben wurde absolute Verschwiegenheit zugesichert. (Die Aktion war mit Polizei und Staatsanwaltschaft abgestimmt.) Das Geld floss, die Madonna kehrte zurück. Nannen wurde von Rechtsstaatspuristen arg gescholten („Verbrecher werden belohnt!“), von anderen offen gelobt (wie vom Maler Oskar Kokoschka). Und die Diebe wurden einige Jahre später doch noch geschnappt.
Im ebenfalls malerisch an einer Mainschleife gelegenen Dörfchen Dettelbach sollte man unbedingt die Kirche Sankt Augustinus im Zentrum der Altstadt aufsuchen. Dort bildet seit 2010 ein dreiflügliger Hochaltar von Michael Triegel, den sie auch den „modernen Raphael“ nennen (siehe dazu Blättchen 24/2011, 16/2014 und 14/2024), den sakralen und optischen Mittelpunkt des Gotteshauses.
Der Altar zeigt drei Stationen im Leben des Heiligen Augustinus. Auch der Gekreuzigte ist zu sehen und trägt erkennbar die Züge des Malers. Im geschlossenen Zustand zeigt der Altar lediglich eine verrottete Holztür aus groben Brettern inmitten einer baufälligen Ziegelsteinfassade mit Resten von Putz – auf beides fällt der Schatten des Gekreuzigten.
Auf der Mainbrücke von Kitzingen befindet sich eine steinerne Stele, auf der die Skulptur eines lebensgroßen geschundenen Knienden in Fesseln zu sehen ist, den verzweifelten Blick gen Himmel gerichtet. Eine Bronzetafel mahnt: „Vergesst unsere Kriegsgefangenen, Verschleppten und Vermissten nicht!“ Dass die anderen, über die wir Deutschen zuvor hergefallen waren, dabei keine Erwähnung finden, entspricht dem üblichen Gedenkensduktus geschlagener Aggressoren. Auf der Kitzinger Stele wäre jedoch noch Platz für eine weitere Tafel: „Seid beim nächsten Mal einfach nicht wieder so dämlich mitzumarschieren!“ Dann erübrigten sich vielleicht künftig dergleichen Mahnmale, deren verhängnisvoll verkürzte Botschaften die Vorspiele zu nächsten Waffengängen eher befördern, denn behindern.
Wird fortgesetzt.
Schlagwörter: Alfons Markuske, Carl Spitzweg, Dettelbach, Haßfurt, Kitzingen, Limbach, Museum Georg Schäfer, Schweinfurt, Tilman Riemenschneider


