28. Jahrgang | Nummer 19 | 3. November 2025

Berliner Wohnungsmisere

von Ulrich Busch

Während anderswo in Deutschland derzeit Wohnungen leer stehen, insgesamt mehr als zwei Millionen, und deshalb ein Rückbau des Wohnungsbestandes erfolgt, stellt sich die Situation in Großstädten und Ballungsräumen gänzlich anders dar. In München, Hamburg, Stuttgart, Wiesbaden, Dresden, Potsdam, Aachen, Köln und Frankfurt am Main, ganz besonders aber in Berlin, übersteigt die Nachfrage nach Wohnraum seit Jahren das Angebot, so dass Wohnungsnot herrscht.

Die Einwohnerzahl wuchs schneller als der Wohnungsbestand. Zudem blieb der Wohnungsneubau in den zurückliegenden Jahren spürbar hinter dem geplanten Umfang zurück. Hinzu kommt, dass es in Berlin überproportional viele Ein-Personen-Haushalte gibt, was den Bedarf an Wohnungen erhöht. Überdies sorgt eine große Anzahl sozial schwacher Haushalte dafür, dass Sozialwohnungen und Wohnungen im Niedrig-Preis-Segment besonders gefragt sind. Solche aber werden kaum mehr gebaut und immer weniger angeboten. Angebotsengpässe und Fehlbedarfe sind die Folge.

Hinzu kommt, dass in der Hauptstadt die Grundstückspreise und Baukosten höher sind als anderswo, die Genehmigungsverfahren extrem lange dauern und zahlreiche bürokratische Hürden existieren. All das hat zu einer Angebotsverknappung und drastischen Unterversorgung mit Wohnraum geführt. Aber auch zu steigenden Mieten und Kaufpreisen für Häuser und Wohnungen. Inzwischen übersteigt die mittlere Angebotsmiete in Berlin mit 15,74 Euro pro Quadratmeter die Bestandsmiete beziehungsweise ortsübliche Vergleichsmiete von 7,21 Euro um 118 Prozent. Das ist einzigartig in Deutschland und hat zu enormen Problemen geführt: „Wohnen“ ist damit wieder „die soziale Frage unserer Zeit“ (Bundesbauministerin Verena Hubertz). Eine durchgreifende Verbesserung der Situation lässt sich nur über eine Erhöhung des Wohnungsbestandes, durch Neubau, Umbau und die Rekonstruktion von Wohnungen erreichen.

Die Politik hat dafür den Begriff „Bau-Turbo“ geprägt. Aber Bauen allein wird nicht reichen. Um die Lage auf dem Wohnungsmarkt zu normalisieren, ist es unumgänglich, die exorbitant gestiegenen Angebotsmieten und Verkaufspreise für Immobilien wieder auf ein vertretbares Maß zurückzuführen und die zuletzt außer Kontrolle geratene Preisdynamik zu brechen. Zumindest temporär erscheint eine staatliche Regulierung der Miethöhe unerlässlich, um zu einer Marktberuhigung zu kommen. Die Miete sollte dafür bei maximal 15,00 Euro pro Quadratmeter  gedeckelt und die durchschnittliche Mietbelastung der Haushalte bei 30 Prozent des verfügbaren Einkommens festgeschrieben werden. Damit würde die finanzielle „Leistbarkeit“ der Haushalte eine Grenze für die Mietpreise markieren, die durch die Wohnungswirtschaft und die Vermieter einzuhalten und durch die Politik zu garantieren wäre.

Die Zunahme des Ungleichgewichts auf dem Wohnungsmarkt hat eine Kräfteverschiebung zwischen Mietern beziehungsweise Käufern einerseits und Vermietern beziehungsweise Verkäufern von Wohnungen und Häusern andererseits bewirkt. Durch die spekulative Zurückhaltung von Grundeigentümern und Bauherren hat sich diese Unwucht auf dem Markt in den letzten Jahren weiter verstärkt. Dies nutzen Wohnungseigentümer und -vermieter ungeniert aus, um die Mieten und Kaufpreise für Immobilien über Gebühr hochzutreiben. Dabei wird keine Möglichkeit ausgelassen und jede Gesetzeslücke und jeder „Trick“ genutzt, um die Gewinnmarge zu erhöhen und einen Extraprofit zu realisieren. Betroffen davon sind letztlich alle Mieter und Käufer, hauptsächlich aber Singles, Geringverdiener und Neuhinzuziehende sowie Personen, die, aus welchen Gründen auch immer, ihre Wohnung wechseln wollen oder müssen. Die Folge ist eine Überbelastung von immer mehr Berliner Haushalten durch die Wohnkosten. Die Mietpreisbremse hat sich als Regulierungsinstrument hierfür als wenig wirksam erwiesen, da sie von den Vermietern ausgehebelt werden kann. Außerdem greift sie nicht überall, nämlich nicht bei Neubauten, nicht bei möblierten Wohnungen, nicht bei befristeten Mietverträgen und auch nicht bei sanierten Bestandswohnungen.

So stieg zum Beispiel die Medianmiete bei Neuvermietungen 2023 innerhalb nur eines Jahres um mehr als 20 Prozent an, wobei die Preise stark variierten. Je nach Lage, Baujahr und Ausstattung wurden Spitzenpreise von bis zu 24,74 Euro pro Quadratmeter vereinbart. Dies zeigt vor allem eines: Mit der Vermietung von Wohnraum kann man heutzutage schnell reich werden! Als Mieter aber stößt man ebenso schnell an die Grenzen seiner finanziellen Belastbarkeit. Damit verstärkt die Preisentwicklung auf dem Wohnungsmarkt nicht nur die Ungleichverteilung von Wohlstand und Vermögen in der Gesellschaft. Sie bringt darüber hinaus auch volks- und wohnwirtschaftlich negative Effekte mit sich: Wer umzieht oder eine Neubauwohnung bezieht, zahlt in der Regel mehr als doppelt so viel Miete wie jemand mit einem alten Mietvertrag. Dies hat einen Lock-in-Effekt zur Folge: Menschen mit langjährigen Mietverträgen bleiben in ihren Wohnungen, auch wenn diese für sie zu groß, nicht altersgerecht und wenig energieeffizient sind, weil ein Wohnungswechsel für sie zu teuer kommen würde.

Dadurch sinkt die Wohneffizienz. Ebenso die Arbeitsmobilität, was volkswirtschaftlich kontraproduktiv ist und ökonomisches Wachstum kostet. Zudem wird dadurch die ohnehin angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt zusätzlich verschärft: Große Wohnungen bleiben unterbelegt und Familien leben in teuren Apartments auf engstem Raum. Hier bietet es sich an, den Umzug älterer Personen in kleinere und altersgerechte Wohnungen durch einen Service zu organisieren und finanziell zu unterstützen, um die Wohnsituation insgesamt zu verbessern. Darüber hinaus erscheint es geboten, die Zweckentfremdung von Wohnraum konsequent zu reduzieren.

So gibt es in Berlin eine große Anzahl von Ferienwohnungen, welche der einheimischen Bevölkerung faktisch entzogen sind und lediglich touristisch genutzt werden. 5300 sind als solche registriert, die Dunkelziffer aber ist hoch. Schätzungen gehen von mindestens 40.000 illegal vermieteten Ferienwohnungen aus. Wenn man bedenkt, dass der Fehlbedarf an Wohnungen in Berlin aktuell mit etwa 50.000 angegeben wird, so wird deutlich, wo die Reserven für die Lösung der Wohnungsfrage zu suchen sind.

Seit 2016 wurden mehr als 13.500 Verfahren wegen nicht genehmigter Ferienwohnungsnutzung eingeleitet, dem Wohnungsmarkt bisher aber nur rund 8000 Wohnungen zurückgegeben. Es existiert hier offenbar ein Interessenkonflikt zwischen privaten Eigentümern, die auf ihrem Recht an einer maximalen Verwertung ihrer Immobilie bestehen, und der Öffentlichkeit, die eine wohnwirtschaftliche Nutzung des Wohnraums anstrebt. Angesichts der angespannten Lage auf dem Berliner Wohnungsmarkt und einem offensichtlichen Marktversagen erscheint eine Lösung dieses Konflikts derzeit nur unter Einschluss staatlicher Eingriffe in private Eigentumsrechte am Wohnungsmarkt möglich. Hierzu aber bedarf es entsprechender Regularien durch die Politik, die bislang ausstehen.