28. Jahrgang | Nummer 15 | 8. September 2025

Kommen und Gehen auf dem Grünen Hügel

von Joachim Lange

Die Richard-Wagner-Festspiele in Bayreuth beginnen immer am 25. Juli mit einer Neuproduktion und dauern bis Ende August. Dafür verabschieden sich andere Produktionen nach vier oder fünf Jahren wieder. So ändert sich der Spielplan von Jahr zu Jahr. Im Rahmen der zehn von Wagner für Bayreuth vorgesehenen Opern zwischen Fliegendem Holländer und Parsifal. Die Jubiläums-Spielzeit im kommenden Jahr wird eine Ausnahme bilden – da gibt es auch Wagners frühen „Rienzi“ einmal im Festspielhaus. Und einen optisch KI-generierten Ring. Spannend wird das allemal.

In diesem Jahr waren neue „Meistersinger“ fällig. Mit dem Auftrag an den musicalversierten Regisseur Matthias Davids, sie vor allem als Komödie zu inszenieren, war die Richtung klar. Ob es nun gleich eine aufgeblasene Kuh sein musste, die über der Festwiese schwebt, bleibt Geschmacksache. Dass bei der großen Klopperei zur Prügelfuge das stilisierte Bühnen-Nürnberg spektakulär auseinanderfliegt, um sich dann wieder zusammenzufinden, war schon einsichtiger. Die possierlich ausstaffierte Schusterstube wirkte wie eine historische Reminiszenz. Irgendwie politisch wurde es jedenfalls zu keiner Zeit. Selbst das Ex-Kanzlerinnen-Double auf der Festwiese blieb illustrativer Gag in einer Melange aus Kinderkarneval und Spiel mit Klischees. An der Bühne beeindruckt die steile Treppe, die von einer kleinen Kirche gekrönt wird. Deren Rückseite zitiert als Innenraum das Festspielhaus selbst. Die Rückseite ist dann die Baukastenversion eines Handwerker-Nürnbergs. Aus dem Ensemble ragen Michael Spyres als Walther von Stolzing und Michael Nagy als Beckmesser heraus. Georg Zeppenfeld als Sachs ist nicht ganz so ideal, auch bei Daniele Gatti blieb Luft nach oben in dieser Inszenierung, mit der die Rezeptionsgeschichte des Werkes einmal gelassen durchatmen kann.

Aus dem vergangenen Jahr wurde die „Tristan und Isolde“-Inszenierung von Thorleifur Örn Arnarsson mit Semyon Bychkov wieder aufgenommen. Bychkovs getragene Tempi waren sogar für einen Power-Tristan Andreas Schager eine Herausforderung. Im dritten Aufzug liefert er dann den Super-Tristan, den er auch nach den zwei vorausgehenden Akten noch drauf hat. Auch Camila Nylund krönte hier ihre Isolde eindrucksvoll.

Szenisch bietet die Bühne eine große Schiffsmetapher (allerdings an Land) und kleinere Effekte, aber kaum eine wirkliche eigenständige Suggestivkraft. Im ersten Aufzug deuten ein paar Taue das Schiff an. Ein überdimensionales, mit Stichworten übersätes Brautkleid wirkt aus Ferne betrachtet wie eine ausgekippte Kleidersammlung. Bühnenbildner Vytautas Narbutas hatte seine Rumpelkammer der Erinnerung im großen Schiffsrumpf des zweiten Aufzugs zwar etwas aufgeräumt, doch die beiden Liebenden erinnerten hier an ein eingespieltes Ehepaar beim Streifzug durch einen Trödelmarkt.

Auch im dritten Jahr des „Parsifal“ von Jay Scheib bleibt die Blickerweiterung durch eine AR-Brille für einen Teil des Publikums mehr Experiment mit Bildschirmschoner-Ästhetik, bei dem nur selten ein wirklich triftiger Bezug zum Stück aufblitzt.

Immer sorgt Pablo Heras-Casado im Graben für den Klangzauber, den dieses Bühnenweihfestspiel in dem Haus entfaltet, für das es komponiert wurde! Die Musik behält, auch angesichts der auf der Bühne entfesselten Kostümbuntheit, die Oberhand. Andreas Schager (Parsifal) und Michael Volle glänzen mit Festsspielstandard. Technisch funktioniert diese Erweiterung der Wahrnehmung. Wenn es gelänge, dabei Unverbindlichkeit zu meiden und konsequent von der Musik und der Vorlage aus zu denken, dann könnte das die klassische Rezeption zwar nicht ersetzen, aber durchaus ab und an und von Fall zu Fall erweitern.

Für die eingefleischten Festspielfans war die Reanimierung des von Neo Rauchs Malerei dominierten „Lohengrin“ vor allem deshalb ein Fest, weil Christian Thielmann nach zwei Pausenjahren dafür nach Bayreuth zurückkehrte. Die Bühne wird geprägt von dem ins Riesenhafte vergrößerten Pinselstrich des Malerstars und den putzigen Kostümen seiner Frau Rosa Loy. Das Ganze bleibt eine Folge sich üppig behauptender, zum Raum gewordener Malerei, bei der sich Romantisches und technisch Modernes mischen. Piotr Beczała ist die Idealbesetzung als Lohengrin und Hügelneuling Elza van den Heever eine Elsa mit leuchtendem Stimmglanz. Diese Wiederaufnahme wurde dank Thielemann zu etwas wie einem Grabenweihfestspiel. Die Gemeinde bejubelte, was sie erwartet hatte: Lohengrin-Blau, nach Art des Hauses Thielemann.

Der „Ring“ von Valentin Schwarz ging mit souveräner Gelassenheit in sein viertes und letztes Bayreuthjahr. Für Simone Young war es der zweite Jahrgang. Sie hat damit die Hälfte aller Aufführungen dieses Rings verantwortet und ihn so zu „ihrem“ Ring gemacht. Wenn auch nicht jedes Wort auf der Bühne zu verstehen war, was aus dem Graben kam, verstand man immer.

Für Glanz und Freude sorgt auch das Protagonistenensemble. Die großen Partien sind durchweg in festspielwürdigen Kehlen. Christa Mayer krönt ihre Fricka mit einer sensationellen Waltrautenerzählung. Tomasz Konieczny als Wotan fasziniert mit darstellerischer Selbstverständlichkeit und vokaler Kraft. Michael Spyres überzeugt mit unangestrengtem Charisma als Siegmund. Klaus Florian Vogt fügt in beiden Siegfried-Partien seinen lyrischen Vorzügen auch die Kraft hinzu, die es dafür braucht. Catherine Foster ist als Brünnhilde eine darstellerische Urgewalt.

So spinnefeind sich alle im Stück auch sein mögen – die Familie der Interpreten auf Zeit hat offenkundig einen integrativen Sog, in dem sich die Neulinge einfügen.

Die Bühne mit ihren abwechslungsreichen und über alle vier Teile aufeinander beziehenden Räumen und Symbolen trug dazu bei, eine spannende Geschichte zu erzählen. Dabei wurde der Kerngedanke, dass nicht das Gold, sondern die Macht über die Zukunft, sprich die nachfolgenden Generationen, der wahre Reichtum ist, alles in allem konsequent durchgespielt.

Alberich raubt den Goldjungen Klein-Hagen. Dessen wechselvolles Schicksal bis zum Mord an Siegfried ist dank einer hinzugefügten stummen Rolle immer gegenwärtig.

Diese Inszenierung hat sich als haltbarer und konsistenter erwiesen, als noch im ersten Jahr zu befürchten war. Natürlich blieb ein Teil des Publikums bei der Ablehnung der Regie. Aber neben Buhs gab es auch viele Bravos. Und das ist auch schon deshalb in Ordnung, weil die Inszenierung in der Werkstatt Bayreuth offensichtlich mit Sorgfalt gepflegt und nachgebessert wurde.