Eintauchen in die Welt der griechischen und römischen Mythologie. Ihre Namen, Eigenschaften, Handlungen sind eng miteinander verknüpft. – Es agieren: die Zeustochter Aphrodite (alias Venus), Göttin der Liebe und der Schönheit, ausgestattet mit großer Macht über Götter und Menschen und großzügig in der Wahl ihrer Liebhaber. Sie hielt es mit Ares (alias Mars),dem Gott der Kriege; auch mit Hermes (alias Merkur), dem Götterboten des Olymps. Aphrodite nahm sich ebenso zum Liebesspiel den Gott der Fruchtbarkeit und des Weins – Dionysos (alias Bacchus). Adonis aber, göttergleich, von männlicher Anmut und ungewöhnlicher Schönheit, ihm war sie verfallen. Ihn betete sie an. Artemis (alias Diana), jungfräulich, streng, Schutzpatronin der Tiere, Wälder und der Jagd. Persephone (alias Proserpina), Herrin der Unterwelt. Amor (alias Eros), Gott der Liebe, Sohn der Venus und des Mars, listig mit seinen Pfeilen Liebeslust und -leid verbreitend. – Die Mitwirkenden sind beisammen. Das Spiel kann beginnen. –
Die Eifersüchteleien zweier Göttinnen bringen den begehrenswerten Jüngling in arge Bedrängnis. Aphrodite hatte sich Adonis in seinem Knabenalter angenommen und ihn Persephone auch zur Erziehung anvertraut. Als ihn die Liebesgöttin später zurückholen wollte (der Jüngling wurde von Jahr zu Jahr schöner), gab ihn Persephone nicht heraus. Das Problem spitzte sich zu. Keine Kompromissbereitschaft. Die Streitenden wandten sich an den Oberrichter Zeus, er möge ein Urteil fällen. Er tat es, wohlüberlegt: Adonis solle ein Drittel des Jahres bei Persephone verbringen, ein weiters Drittel bei Aphrodite und das letzte Drittel nach eigenem Ermessen gestalten. Die Entscheidung wird angenommen, jedoch nicht umgesetzt. Der Schöne hielt sich bei der Ermessensgestaltung erneut bei Aphrodite auf (was man verstehen kann). Eigentlich war sein Verhalten rechtens, denn Zeus hatte ihm Eigenmächtigkeit bei der Auswahl seines Drittels zugesprochen… Nun geriet die Situation in eine Schieflage. Die Dritte im Bunde mischte sich ein. Artemis! Erzürnt über das wortbrüchige Liebespaar, vielleicht nicht ohne ein Quäntchen Eifersucht im Inneren, lässt sie Adonis bei einer Jagd durch einen wilden Eber töten. Aus. Vorbei. Großer Jammer. Aphrodite will ihrem sterbenden Liebsten zu Hilfe eilen. Zu spät. Sie tritt in einen Rosendorn. Blut fließt. Und die bislang weißen Rosen nehmen die rote Farbe an. Ein traurig-schönes Bild.
Nicht nur, dass Venus (Aphrodite) als Morgen -und Abendstern am Himmel strahlt, sie bereicherte und beflügelte auch die Künste. Wer kennt sie nicht, die „Geburt der Venus“ von Sandro Botticelli; oder die „Schlummernde Venus“ von Giorgione?
Zu den Malern, die sich vom Liebreiz der Göttin verzaubern ließen und um ihre Geschichte wussten, gehörte Johann August Nahl, der Jüngere (1752-1825), geboren auf dem väterlichen Gut bei Zollikofen im Kanton Bern. Beim Vater erlernte er zunächst die Kunst der Bildhauerei, wechselte jedoch, seiner Neigung folgend, zur Malerei, worin ihn Johann Heinrich Tischbein, der Ältere unterrichtete. Reisefreudig und von künstlerischer Neugier getrieben, lebte und arbeitete J. A. Nahl zeitweilig in Kassel, Straßburg, Paris, London und Rom. Von dort kehrte er auf Lebenszeit nach Kassel zurück, erhielt eine Professur an der Kasseler Akademie und wurde später Direktor der Malereiklasse.
Der Künstler bevorzugte in seinen Werken historische und mythologische Themen. Goethe, dem nichts in der Kunstwelt entging, beschrieb Nahls Arbeiten als „erotische Darstellungen mit ergötzenden Landschaften.“ – Die Vorliebe des Malers für die Handlungen in der Mythologie beweisen die Bezeichnungen einiger seiner Gemälde: „Ariadne auf Naxos“, „Narcissus im Anschauen seines Bildes im Wasserspiegel“, „Amor, der Venus einen Dorn aus dem Fuße ziehend“, gegenwärtig unter dem Titel „Die Entstehung der roten Rose“ bekannt. „In seinem Oeuvre verbinden sich antike Thematik, feiner Malstil und klare Komposition mit delikater Farbharmonie und anmutigem, gefühlvollem Pathos der Figuren.“ Diese treffliche Einschätzung gilt insonderheit für Nahls bedeutendes Meisterwerk.
Die Schöne lagert in einer dunkelgehaltenen, üppig begrünten Natur, von der sich der makellose, weibliche Körper gefällig abhebt. Rote und weiße Tücher auf dem felsigen Untergrund erleichtern der Göttin die ruhende Stellung, in der sie verharrt. Hat sie den bohrenden Schmerz bereits überwunden? Sie stützt den Kopf sinnend in die rechte Hand, das hochgesteckte, brünette Haar umfängt ein schmückendes Band. Das linke Bein überkreuzt das rechte, so dass Venus sich in der Seitenlage dem Betrachter zuwendet. Aus dem rechten erhobenen Fuß entfernt Amor mühelos den Rosendorn.
Nach den Angaben des Malers entstanden von dem Ölgemälde zwei Versionen. Die erste Fassung schuf er 1790 während seines Aufenthaltes in Rom. Und die zweite Ausführung – bestaunt, bewundert, gefeiert – ist mit der Jahreszahl 1816 gekennzeichnet.
Johann August Nahl: „Die Entstehung der roten Rose“, Öl auf Leinwand, 75 x 100 cm, Gemäldegalerie Alte Meister, Kassel.
Richtigstellung: Stachel oder Dorn? Der botanischen Korrektheit geschuldet, ist zu klären, was beide Begriffe unterscheidet. Unter Dorn versteht man einen Teil der Pflanze, der fest mit ihrem Gewebe verwachsen ist; ihn zu entfernen, geht mit einer Verletzung der Oberfläche einher. Stacheln hingegen werden auf der Pflanzenoberfläche gebildet und sind ohne Verletzung leicht zu entfernen. – Demzufolge tragen Rosen keine Dornen, sondern Stacheln; Stachelbeeren keine Stacheln, sondern Dornen. Und Tschaikowskis wundervolles Ballett müsste Stachelröschen heißen. Das mag wissenschaftlich gerechtfertigt sein, wo aber bleibt dann die Poesie?
Schlagwörter: Amor, Aphrodite, Johann August Nahl, Malerei, Mythologie, Renate Hoffmann


