Lars Klingbeil, der neue Finanzminister, setzt in seiner sprachlichen Stilistik den Weg seines Parteikollegen Olaf Scholz fort. Der hatte als Bundeskanzler bezüglich einiger Teile seines Wirtschaftsprogramms von „Bazooka“, „Wumms“ und sogar „Doppel-Wumms“ gesprochen. Angesichts der seit 2023 schrumpfenden oder stagnierenden deutschen Wirtschaft lässt sich zwar bezweifeln, ob das eine gute Wortwahl gewesen ist, aber immerhin hatten die Energiepreisbremse und die Hilfspakete („Wumms, Wumms“) Schlimmeres verhütet.
Nun also ein „Booster“, ein Hilfs- oder Zusatztriebwerk, ein „Anheizer“ oder „Beschleuniger“. Die gedankliche Assoziation, die damit entstehen soll, ist ein steil aufschießendes Wirtschaftswachstum, ein Überwinden der Schwerkraft, ein „Ah“ und „Oh“, wenn die Rakete ins Firmament aufsteigt.
Mit Klingbeils Booster-Programm wird – um im Bild zu bleiben – ein Vierfach-Wumms abgefeuert. Ein „Investitionsbooster“ mittels erhöhter Abschreibungsmöglichkeiten, ein Steuersenkungs-Booster für Unternehmen, ein zweiter „Investitionsbooster“ für die E-Mobilität von Unternehmen und noch ein „Investitionsbooster in Forschung“. Was sich so albern liest oder anhört, ist tatsächlich wörtlich aus Klingbeils Ankündigungen übernommen. Obwohl das eine ziemlich kindische Wortwahl ist, hört es sich für die Unternehmen ganz toll an: Erhöhte Abschreibungsmöglichkeiten, um die Steuerlast zu verringern? Super! Subventionen für E-Autos in Unternehmen? Klasse! Körperschaftsteuer für Unternehmen von 15 auf 10 Prozent senken? Touché! Forschungszulage für Unternehmen erhöhen? Ein Super-Steuergeschenk-Programm für Konzerne! Grandios!
Grandios? Irgendwie hat man das alles schon mal gehört: Steuersenkungen und Subventionen würden zur Steigerung von Unternehmensinvestitionen führen, Arbeitsplätze schaffen, Gewinne und andere Einkommen erhöhen und sich auf die Steuereinnahmen positiv auswirken; am Ende würden alle profitieren. Aber so grandios ist das nur in der Theorie. Was die Unternehmen an Steuern einsparen, fehlt erstmal den öffentlichen Haushalten. Es kann nicht verwundern, dass die Vertreter der Länder und Kommunen sofort die Frage stellen, wer die Steuersenkungen und Subventionen bezahlen soll. Allein für 2025 werden die Mindereinnahmen auf rund 2,5 Milliarden Euro geschätzt, der Löwenanteil entfällt dabei auf die Kommunen. Im nächsten Jahr verdreifacht sich der Minderbetrag dann. Bis 2029 kommt es zu 48 Milliarden Mindereinnahmen, davon entfallen auf die Länder 16,7 und auf die Kommunen 13,5 Milliarden Euro. Ob das 500-Milliarden-Sondervermögen Infrastruktur diese Einnahmeausfälle ausgleichen kann, steht in den Sternen. Dieser Betrag wird über zehn Jahre verteilt ausgezahlt, und was am Ende für die Kommunen abfällt, ist völlig unklar. Von den Auswirkungen auf die Ausgaben für Kultur, Bildung, Soziales und Gesundheit muss hier nicht Rede sein, sie ist bereits im vollen Gange und täglich in den Nachrichten.
Bewirken solche Steuererleichterungen für Unternehmen überhaupt eine Steigerung der Investitionen? Obwohl die Steuersätze für Unternehmen seit Jahrzehnten gesenkt worden sind, gingen die privaten Investitionsquoten (Investitionen im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt BIP) von 25 Prozent zu Beginn der 1990er Jahre auf unter 18 Prozent zurück. Es gibt für die Unternehmen keinerlei Zwang, die durch Steuersenkungen entstehenden zusätzlichen Gewinne in Realinvestitionen, also in die Schaffung von Arbeitsplätzen umzusetzen. Erweisen sich Investitionen im Ausland als günstiger, fließen die Mittel in den Kapitalexport. Sind Finanzanlagen lukrativer, werden die Mittel dort investiert, also gespart. Beide Entwicklungen waren typisch für die vergangenen drei, vier Jahrzehnte. Die Unternehmen sind von Kreditnehmern für Investitionen zu Sparern geworden.
Deutschland ist im internationalen Vergleich der größte Gläubiger der Welt, das heißt, die Deutschen verfügen in Summe über das absolut höchste Nettoauslandsvermögen. Manche Ökonomen ziehen daraus den Schluss, der Investitionsstandort Deutschland sei ins Hintertreffen geraten und müsse durch Lohn- und Kostensenkungen, die Steigerung der Ertragsmöglichkeiten sowie Bürokratieabbau verbessert werden. Ein trügerisches Argument, denn bevor ein so großes Auslandsvermögen mittels des Kapitalexports aufgebaut werden kann, musste es ja erstmal erwirtschaftet worden sein. Und in der Tat, die Gewinnentwicklung war über all die Jahre durchaus positiv, ohne dass sich das bei den Investitionen hierzulande niedergeschlagen hätte. Dafür haben zum Beispiel die DAX-Konzerne zuletzt Jahr für Jahr steigende Dividenden ausgeschüttet. Außerdem diente der Kapitalexport vor allem dem Ausbau von Produktion und Vertrieb in großen Märkten wie China.
Die Bemühungen zur Investitionsförderung – Klingbeil soll sein Ministerium scherzhaft sogar als „Investitionsministerium“ bezeichnet haben – sind ja nicht falsch. Die Euphorie, die mit dem Booster-Wort ausgelöst werden soll, könnte jedoch schnell verpuffen, denn die Gegenkräfte sind stark. Für eine exportorientierte Wirtschaft wie Deutschland sind die gegenwärtigen weltwirtschaftlichen Auseinandersetzungen reines Gift. Besonders die erratische Außenwirtschaftspolitik der USA mit ihrem Hin und Her bei den Zöllen und eines schwächeren Dollars (gleich stärkerer Euro) wirkt negativ auf die deutschen Exportaussichten. Trotz aller Verhandlungsbereitschaft der Trump-Regierung bei den Zöllen wird es für deutsche Unternehmen schwieriger werden, in die USA zu exportieren; außerdem versuchen die USA, ausländische Unternehmen zu Investitionen in ihrem Land anzulocken. China wird auf Restriktionen, die es auf den US-Märkten erfährt, mit aggressiveren Exportbemühungen in andere Länder reagieren.
Die wirtschaftspolitische Unsicherheit in der Welt hat laut einer Analyse der Internationalen Währungsfonds IWF ein Allzeithoch erreicht. Unter diesen Umständen wirken die Klingbeil-Booster wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Kein Wunder, dass im jüngsten Konjunkturbericht der Bundesbank für das laufende Jahr eine weitere Absenkung der Unternehmensinvestitionen prognostiziert wird. Laut dem Münchner ifo-Geschäftsklimaindex haben sich die Geschäftserwartungen der Unternehmen zuletzt zwar leicht verbessert, die Konjunkturlage wird aber insgesamt als unterdurchschnittlich und krisenhaft eingeschätzt. Nahezu alle BIP-Prognosen gehen für 2025 von einem weiteren Jahr der Stagnation aus. Obwohl laut IWF das Wachstum in allen hochentwickelten Ländern gering ausfällt, bleibt Deutschland das Schlusslicht.
Zur Zeit dieser Prognosen waren die riesigen öffentlichen Ausgabenprogramme für Aufrüstung und Infrastruktur bereits bekannt, nicht jedoch Klingbeils Wachstumsbooster. Vergleicht man aber die Prognosen vor und nach Bekanntgabe des 500-Milliarden-Ausgabenprogramms und des unbegrenzten Aufrüstungsvorhabens, sind sie trotzdem fast nur nach unten korrigiert worden. Entscheidend für die gesamte Lageeinschätzung scheint – Wumms und Booster hin oder her – die Wirtschaftspolitik der USA zu sein. Lediglich das Münchner ifo-Institut hat in seiner jüngsten Konjunkturprognose ein kleines Plus vor das deutsche Wachstum gesetzt und begründet das mit den Regierungsprogrammen und einer möglichen Entschärfung der Handelskonflikte. Vielleicht werden da aber auch nur Vorschusslorbeeren an die Merz-Regierung verteilt.
Es ist interessant, dass ein führendes Nachrichtenportal Deutschlands in dieser Situation die „Feindschaft“ zwischen Angebots- und Nachfragepolitik, zwischen Milton Friedman und John Maynard Keynes für beendet erklärt. Der Staat müsse zwar wichtiger Nachfragegenerator bleiben, solle aber vor allem die Märkte und Unternehmen stärken. Das defizitfinanzierte Aufrüstungs- und Infrastrukturprogramm sind ein Nachfrageprogramm, Klingbeils Booster zugunsten der privaten Unternehmen ist Angebotspolitik. Also Wirtschaftspolitik auf sicherem Grund? Nichts ist sicher, außer anhaltende Unsicherheit.
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