Jenny de la Torre, „Engel vom Ostbahnhof“, Berlins bekannteste Obdachlosenärztin – Geboren wurden Sie 1954 in NascaIca in Peru und wuchsen in einfachen Verhältnissen auf. 1976 kamen Sie mit einem Stipendium in die DDR, wurden Fachärztin für Kinderchirurgie und promovierten an der Charité. Ab 1994 behandelten Sie am Berliner Ostbahnhof kostenlos obdachlose Menschen und wurden für Ihr Engagement mehrmals ausgezeichnet. Als sie 2002 einen mit 25.000 Euro dotierten Medienpreis erhielten, gründeten Sie die Jenny De la Torre-Stiftung – mit dem Ziel: Aufbau eines Gesundheitszentrums für Obdachlose. Das eröffnete 2006 in Berlin-Mitte. Dort erhalten wohnungslose Menschen medizinische, zahnärztliche, psychologische, soziale und rechtliche Hilfe.
Jetzt sind Sie, nur 71-jährig, verstorben. Ihr tätiger Humanismus wird uns unvergessen bleiben.
Kristi Noem, Heimatschutzministerin und notorische Skandalnudel – Es ist zwar schon gut drei Wochen her, uns aber noch eine Meldung wert. Als bekennende Verfechterin einer restriktiven Migrationspolitik in den USA gaben Sie eine Pressekonferenz zu den gerade anhaltenden Protesten in Los Angeles. Auf dieser erdreistete sich ein kräftiger Mann, offensichtlich ein Latino, das Wort an Sie zu richten. Sogleich wurde er von Sicherheitskräften abgedrängt und auf den Boden gedrückt. Die Handschellen klickten. Nur zu dumm war, Alex Padilla, der gewaltsam Festgetzte, ist demokratischer Senator (Nachfolger von Kamala Harris), der erste Latino, der den Bundesstaat Kalifornien im Senat in Washington vertritt – und das seit 2021. Der Secret Service wollte wohl die Schmach des Handtaschendiebstahls (wir berichteten) ausmerzen und ging dieses Mal besonders beherzt vor, um Sie vor dem Bösen, wie kritischen Fragen, zu bewahren. Senatoren genießen in den USA eine besonders herausgehobene Stellung. Um so größere Wellen schlug das Vorgehen Ihrer persönlichen Beamten. Sie mussten sich bei dem Sohn mexikanischer Einwanderer halbherzig anschließend in einem 15 minütigen Gespräch entschuldigen, schließlich hätten Sie den Herren nicht persönlich gekannt.
„Trump und seine Stoßtrupps sind außer Kontrolle“, kommentierte Gavin Newsom die Geschehnisse in seinem Bundesstaat. Falls Sie den auch nicht kennen sollten. Das ist der demokratische Gouverneur Kaliforniens, er wird als Hoffnungsträger für die Präsidentschaftswahl 2028 gesehen.
Ralph Tiesler, „Deutschlands ranghöchster Bevölkerungsschützer“ (O-Ton Süddeutsche Zeitung) – Sie, so verrieten Sie kürzlich der SZ, „treibt das Risiko eines großen Angriffskriegs in Europa um“. Für den Kriegsfall allerdings gäbe es viel zu wenige einsatzbereite Bunker für den Zivilschutz im Lande, mit nur 480.000 Plätzen. Hinzu komme: „Neue Bunkeranlagen mit einem sehr hohen Schutzanspruch kosten viel Geld und Zeit.“ Deshalb wollen Sie „Tunnel, U-Bahnhöfe, Tiefgaragen und Keller öffentlicher Gebäude zu Schutzräumen ertüchtigen“ und so „schnell eine Million Schutzplätze schaffen“.
Super! Dann fehlten ja bloß noch 81,8 Millionen Schutzplätze für den Rest der Bevölkerung (Stand: 2023)!
Fabian Hinrichs, Schauspieler – Auf die Frage „Wann haben Sie zuletzt Ihre Meinung geändert?“, antworteten Sie kürzlich: „Ich habe lange Zeit die Ansicht geteilt, dass sich hinter der Kritik am Krieg Israels in Gaza fast immer auch Antisemitismus verbirgt, bewusst oder unbewusst. Mittlerweile teile ich die Ansicht, dass Israels Krieg in Gaza keine Selbstverteidigung darstellt und dass ein lautes Kritisieren der schweren Völkerrechtsverletzungen moralische Pflicht ist und nicht zwangsläufig camouflierter Antisemitismus.“
Wow! Damit unterscheiden Sie sich ja diametral vom amtierenden deutschen Bundeskanzler! Dem fiel selbst zum Angriffskrieg Tel Avivs gegen den Iran wieder nur ein: „Wir bekräftigen, dass Israel das Recht hat, seine Existenz und die Sicherheit seiner Bürger zu verteidigen.“
Maxim Biller, einer „der bedeutendsten deutschen Schriftsteller der Gegenwart“ (O-Ton Michael Wolffsohn, Historiker und Publizist) – In Ihrer Kolumne in der ZEIT vom 26. Juni 2025 bezeichnen Sie das aktuelle Vorgehen Tel Avivs im Nahen Osten als „strategisch richtige, aber unmenschliche Hungerblockade von Gaza“ und als „rein defensive Iran-Kampagne der IDF*“. Beendet haben Sie den Beitrag mit der Wiedergabe folgenden Witzes:
„Kommt ein Israeli zum Arzt und sagt: ‚Herr Doktor, ich war gerade vierzig Tage mit meiner Einheit in Gaza und hab keine Lust mehr, auf Araber zu schießen. Was soll ich tun?‘ ‚Sie könnten damit natürlich sofort aufhören, wenn Sie wollten‘, sagt der Arzt, ‚aber raten würde ich es Ihnen nicht. Auch nicht nach unserer Therapie.‘“
Kaltschnäuziger wäre Verachtung jeglicher Empathie für die bisher knapp 190.000 toten und verletzten palästinensischen Opfer in Gaza und der etwa 5500 iranischen Opfer wohl schwerlich zum Ausdruck zu bringen.
Doch bevor Sie diese Bemerkung vielleicht vorschnell als Würdigung missverstehen, unbedingt noch folgendes – wenn Sprache Ausdruck von Denken ist, dann erinnert uns das Ihrige fatal an jenes, das auch schon hinter ganz anderen Worten völlig anderer Provenienz aufschien:
„[…] die Ausrottung des jüdischen Volkes. Es gehört zu den Dingen, die man leicht ausspricht. […] Von Euch werden die meisten wissen, was es heißt, wenn 100 Leichen beisammen liegen, wenn 500 daliegen oder wenn 1000 daliegen. Dies durchgehalten zu haben, und dabei […] anständig geblieben zu sein, das hat uns hart gemacht. […] Insgesamt […] können wir sagen, dass wir diese schwerste Aufgabe in Liebe zu unserem Volk erfüllt haben. Und wir haben keinen Schaden in unserem Inneren, in unserer Seele, in unserem Charakter daran genommen.“ (Heinrich Himmler an und über die Vollstrecker des Holocausts, sogenannte Posener Rede vom 4. Oktober 1943)
* – Israel Defense Forces: Bezeichnung der Streitkräfte des Staates Israel.
Peter Sloterdijk, deutscher Gegenwartsphilosoph (O-Ton FAS), wird immer älter, aber auch weiser? – Für ein französisches Magazin sind Sie der „anregendste Philosoph Europas“. Tatsächlich?
Gerade haben Sie in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung eine geballte Ladung Ihrer sicherheitspolitischen Kompetenz abgeliefert: „Wenn wir anfangen, offen und öffentlich und offensiv über die Entsendung von europäischen Bodentruppen in die Ukraine nachzudenken, dann stellen wir die verlorene strategische Ambiguität wieder her.“ Und: „Europa erlebt im Augenblick geschichtlich betrachtet fast so etwas wie Glück. Wir haben wieder Feinde. Echte Feinde. Bei Putin hat man es lange vermieden, der Wahrheit ins Auge zu sehen. Diese Angelegenheit blieb in Bezug auf die Amerikaner ambivalent, weil sie Bündnistreue versprochen hatten. Das alles ist jetzt mit einem Schlag weggefallen.“ Mehr noch: „Der Moment für Europa, sich mit Waffen einzudecken, ist tatsächlich gekommen.“
Klingt fast so, als hätten Sie sehnsüchtig darauf gewartet, dass wieder ordentlich mit dem Säbel gerasselt wird.
Andererseits: Sie sind 77 und sollten demzufolge vom ersten Kalten Krieg das meiste mitbekommen haben. Dann können Sie uns doch sicherlich zur Abwechslung auch mal darüber aufklären, welche sicherheitspolitischen Probleme zwischen den damaligen Antipoden je mit militärischen Mitteln, also mit den Waffen, mit denen man sich eingedeckt hatte, gelöst worden wären …
Martin Sonneborn, EU-Abgeordneter für die PARTEI – Vor wenigen Tagen erhielt Ihre EU-Kollegin Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) den „Janusz-Korczak-Preis für Menschlichkeit“. Die Laudatio hielt Carlo Masala (Bundeswehr-Professor). Den ernst gemeinten Preis kommentierten Sie auf X gewohnt beißend und mit spitzer Feder:
„Strack-Rheinmetall erhält den Preis für Menschlichkeit.
Die Laudatio hält Carlo Massaka.
Trump erhält den Nobelpreis für intergalaktischen Frieden.
Die Laudatio hält Idi Amin.
Merz erhält den Pisspott für Philanthropie (und soziale Gerechtigkeit).
Die Laudatio hält Larry Fink.
Baerbock erhält die Haarnadel für Femininistische Diplomatie.
Die Laudatio hält Hein Blöd.“
Wir sind gespannt, von wem Sie zuerst verklagt werden.
Steffen Mensching, Intendant, Literat und früher die eine Hälfte eines legendären Barden-Duos – In Ihrem meisterlichen, 2018 erschienenen und seither mehrfach ausgezeichneten Roman „Schermanns Augen“ heißt es auf Seite 120: „Die Presse […] zeigte geschlossen ihre vollständige, von Herrschsucht und Untertanengeist korrumpierte Charakterlosigkeit. Die Redakteure machten den Eindruck, als hätte man ihnen das Hirn wegoperiert. Nur heimlich benutzten sie noch dieses Organ […]. Auf neun von zehn Zeitungsseiten wurden die Schlachten besungen. Wenn es wichtige Nachrichten gegeben hatte, waren sie getilgt worden.“
Wüsste man nicht durch den Kontext, dass von Wien und Österreich zu Beginn des Ersten Weltkrieges die Rede geht, man mutmaßte glatt, einen Bericht vom Tage zu lesen.
Schlagwörter: Bunker, Israel, Jenny de la Torre, Kristi Noem, Maxim Biller, Peter Sloterdijk, Schutzräume, Steffen Mensching


