In die Oberlausitz fährst du? Da herrschen die AfD und viele andere Wölfe! Das Vorurteil kann einem entgegenschlagen, wenn man sich aufmacht, das 22. Neiße-Filmfestival (NFF) zu besuchen. Es wurde 2004 anlässlich der EU-Erweiterung im Dreiländereck von Filmenthusiasten aus dem nahegelegenen Großhennersdorf gegründet und ist seither gewachsen. Die Festivalmacher um Andreas Friedrich und Ola Staszel trotzen dem Trend. Das NFF, das Filme junger Filmemacher aus Deutschland, Polen und Tschechien im Wettbewerb präsentiert, findet in deutschen Spielstätten in der Region zwischen Bautzen und Görlitz ebenso statt wie im tschechischen Liberec und im polnischen Sieniawka, um nur einige Partnerorte zu nennen. Ein Leuchtturm für den Beweis, dass dem Trend zu nationaler Vereinzelung durch Kultur und mit Poesie begegnet werden kann!
Sinnbild dafür kann das bunte Programm der Zittauer Hauptspielstätte Kronenkino sein, direkt neben dem AfD-Wahlkreisbüro von Tino Chrupalla gelegen, wo die Jalousien immer geschlossen bleiben. Dagegen ist einige Meter weiter das Büro der Linken mit Plakaten geschmückt. Doch: während die AfD die größte Stadtratsfraktion stellt, musste Die Linke sich durch das BSW halbieren lassen.
Das NFF, das den mündigen, mitdenkenden Bürger anspricht, hatte wieder wachsenden Zuspruch zu verzeichnen. Das hat seine Grundlage in der Vielfalt von Formen und Stoffen, die angeboten wird. Neben den Wettbewerben Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilm gibt es Reihen wie Regionalia, Fenster, die Filme der beteiligten Länder vorstellen, Kinderkino und besondere Vorführungen wie die mit 70-mm-Filmen, die im tschechischen Varnsdorf auf einer Riesenleinwand vorgeführt wurden (darunter Milos Formans „Amadeus“). Auch das Filmtheater in Ebersbach, das von einem Verein betrieben wird, hat noch eine 35-mm-Vorführanlage. Konrad Wolfs „Der geteilte Himmel“ (1964) konnte hier als Filmkopie dargeboten werden, während eine Auswahl von Animationsfilmen für Kinder anlässlich des 70. Jubiläums des Dresdner DEFA-Trickfilmstudios bereits digitalisiert vorlag und beim Zielpublikum, Eltern und Großeltern begeistert aufgenommen wurde.
Wie wichtig Programme zur Digitalisierung alter Filme sind, zeigte auch der Eröffnungsfilm „Schlesien“ von Viola Stephan. Die Regisseurin hatte ihn 1994 inszeniert und Zeitzeugen gefunden, die in diesem einst zum Deutschen Reich gehörenden Landstrich einst gelebt haben und ihre Traditionen vor allem in die Bundesrepublik mitbrachten. Auch ein schon 1992 gedrehter und inzwischen aufwendig restaurierter Film der Regisseurin kam beim NFF zur Aufführung. „Kriegsende“ schlägt einen Bogen von der Nachkriegszeit des Ersten zu der des Zweiten Weltkrieges und legt den Schwerpunkt aufs Ende des Kalten Krieges mit den Merkwürdigkeiten beim Abzug sowjetischer Truppen aus der ehemaligen DDR. Der spezielle Erzählstil von Viola Stephan, ohne Kommentar auszukommen, machte es den Zuschauern allerdings nicht ganz leicht, Situationen einzuordnen.
Auch ein Wolf war beim NFF zu sehen, wenn er auch von Trickfilmer Günter Rätz für seinen Film „Peter und der Wolf“ (1973) phantasievoll umgeformt worden war. Nicht nur in der Trickfilmparade spielten Tiere wichtige Rollen. Im weiteren Programm stachen sie ebenfalls hervor. Das fing schon mit dem Trailer-Film von polnischen Filmstudenten an, in dem die symbolischen Preise des Festivals, die Neiße-Fische, als Raumfahrer aufeinanderstoßen, um miteinander im Kosmos zu kopulieren. Besonders treffendes Beispiel eines modernen Heimatfilms war der deutsche Wettbewerbsbeitrag „Milch ins Feuer“, Abschlussfilm von Justine Bauer, die in Leipzig und Köln Medienkunst studiert hatte. Sie ging für ihren Film zurück in ihre oberfränkische Heimat und erzählte im hohenlohischen Dialekt von drei Generationen von Bäuerinnen, die einen Einzelhof bewirtschaften. Das Rind Anton spielt ebenso eine Rolle wie ein Alpaka, das kastriert wird, ein Hofhund oder Schnecken, die übers Gesicht streichen. Neben den oft liebevollen Beobachtungen von Mensch und Tier spielt die soziale Komponente, das Höfesterben, eine zentrale Rolle.
Schade, dass die Jury, der unter anderen die deutsche Schauspielerin mit polnischen Vorfahren, Karin Hanczewski, angehörte, diesen sensiblen Film nicht berücksichtigte, und stattdessen der Stefan-Zweig-Adaption „Ungeduld des Herzens“ von Lauro Cress gleich zwei Preise verlieh. Wie der Regisseur den Stoff über das Selbstverständnis beim Militär geschickt in die Gegenwart verlegte, hätte durchaus den Drehbuch-Preis verdient. Der Darstellerpreis an Giulio Brizzi war allerdings strittig.
Einen Neiße-Fisch als bester Dokumentarfilm erhielt auf der Abschlussveranstaltung im polnischen Zgorzelec, Görlitz´ Nachbarstadt, der polnische Film „Briefe aus der Wolfstraße“ (Listy z Wilczej), der auch mit einem Publikumspreis ausgezeichnet wurde. Regisseur Arjun Talwar ist Inder und ging nach Polen, um hier Film zu studieren. Er erzählt von sich und dem Alltag in seiner Warschauer Straße, hat es nicht leicht, im fremden Land zu leben und nicht so ganz dazuzugehören. Er schließt Bekanntschaften, sieht auch Ausländerfeindlichkeit, die ihm umso mehr bewusstwird, je länger er hier lebt. Immerhin hat ihm die Arbeit an dem Film geholfen, mit Leuten in Kontakt zu kommen. Sein Film, der auch auf der diesjährigen Berlinale gezeigt wurde, hat so viel Aufmerksamkeit erregt, dass er jetzt in weitere Länder eingeladen wird, erzählte er in Mittelherwigsdorf. Das ist vielleicht gut, wenn sich die polnische Politik nicht zum Guten wendet. Auch aus seinem Heimatland wurde signalisiert, dass man sein Talent zu schätzen weiß.
Großen Zuspruch hatte selbst an kühlen Abenden die neue Freilichtbühne am Kunstbauerkino Großhennersdorf, die auch Konzerte bot. Doch ob es so bleibt, ist ungewiss, denn die sächsische Regierung setzt den Rotstift gerade bei der Kultur an. Sollten doch die Wölfe siegen?
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