28. Jahrgang | Nummer 10 | 26. Mai 2025

Verdächtigungen als Bremsklotz

von Dieter Segert

In einer Sendung von Kontraste am 8. Mai 2025, die auf Recherchen von des ARD-Magazins und der Wochenzeitung Die Zeit beruht, wurde über ein Treffen von deutschen und russischen Vertretern des 2021 eingestellten „Petersburger Dialogs“ berichtet, das in Baku, der Hauptstadt Aserbaidschans, am 13. und 14. April stattgefunden hat.

Die mediale Berichterstattung hatte einen Grundton: Es wurde über eine Art geheime Zusammenkunft räsoniert, welche privat und ohne Kenntnis des Auswärtigen Amtes und (wie der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter vermutete) ohne Wissen des BND organisiert worden sei. Die Zeit berichtete am gleichen Tag unter der Überschrift „Unter den Augen des Kreml“. Und in diesem Bericht wurde dann gleich noch – im Sinne der Überschrift – gemutmaßt: „Man müsse annehmen, dass der russische Geheimdienst FSB ein Treffen wie das in Baku aufzeichnet, sagt ein Mitarbeiter einer Sicherheitsbehörde.“ Der Berliner Tagesspiegel ging am 10. Mai noch weiter. Das Blatt fokussierte seinen Bericht auf die Person des Bundestagsabgeordneten Ralf Stegner: „‚Die Luft wird dünn‘ – Ralf Stegners heikle Russland Kontakte“ wurde getitelt. Das Zitat in der Überschrift stammt von einem nichtgenannten SPD-Mitglied und meint, Stegner werde wohl wegen dieses Treffens in Baku parteiintern Probleme bekommen und bei der Vergabe wichtiger Positionen nicht bedacht werden.

Besonders unerträglich sind die Unterstellungen von Journalisten und einiger der befragten Politiker, dass es Stegner und seinen Kollegen – auch Ronald Profalla (CDU), ein früherer Kanzleramtschef war mit von der Partie – bei den Gesprächen mit hochrangigen russischen Vertretern um Geld ginge, oder dass er sich der Gefahr nicht bewusst sei, von russischen Geheimdiensten abgehört zu werden. Bestenfalls wird dem erfahrenen Politiker Stegner Naivität unterstellt. Er habe nicht berücksichtigt, dass solche Zusammenkünfte „vor allem Russlands Propaganda“ dienten, meint Stefan Meister von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Kiesewetter wiederum befürchtet, dass Stegner nicht berücksichtigt habe, dass er zum „Objekt russischer Informationsveranstaltungen“ werden könne.

Diese Verdächtigungen sind aus meiner Sicht zum einen bezogen auf die Person Stegner, der durch sein öffentliches Engagement für eine stärkere Friedenspolitik bekannt ist, völlig aus der Luft gegriffen. Aber vor allem scheinen sie mir vom bekannten Feindbilddenken gegenüber Russland getrieben zu sein und eine Art Bremsversuch im Vorfeld bisher noch ganz am Anfang stehenden diplomatischen Suche nach einem dauerhaften Frieden setzen zu wollen. Die Kriegspartei versucht, ihre Agenda ungestört durch Gespräche im Vorfeld von Diplomatie durchzusetzen.

Was aber wollen Ralf Stegner, Matthias Platzeck, Ronald Pofalla und Stephan Holthoff-Pförtner mit ihren Gesprächen erreichen, von denen seit dem letzten Jahr nunmehr vier stattgefunden haben?

Mir scheint das mit einem Blick auf die Geschichte der Entspannungspolitik klar zu sein: Für die Errichtung einer stabilen europäischen Ordnung gleicher Sicherheit ist es unerlässlich, Vertrauen zwischen den Konfliktparteien wieder herzustellen und auch die Sicherheitswahrnehmungen des Gegenübers, also Russlands, wahrzunehmen. Das setzt Gespräche mit verantwortlichen Vertretern der anderen Seite voraus. Zu Zeiten der neuen deutschen Ostpolitik gab es in der Bundesrepublik Politiker wie Egon Bahr, die das so handhabten. Und das, was in der Zeit des Kalten Kriegs vor 1989 richtig war, ist es auch heute.

Die Initiative von Ralf Stegner und Mitgliedern der deutschen Ko-Führung des aufgelösten „Petersburger Dialogs“, den Gesprächsfaden zur russischen Seite auch in schwierigen Zeiten nicht abreißen zu lassen, verdiente nicht Medienschelte sondern Unterstützung. Ich jedenfalls begrüße jene Gesprächsinitiativen und hoffe, dass aus ihnen jenes Minimum an Vertrauen und Kenntnis der Interessen der anderen Seite entsteht, welches eine unerlässliche Voraussetzung für Verhandlungen für einen Waffenstillstand und nachfolgend für einen Friedensvertrag zwischen Russland und der Ukraine, sowie für eine europäische Ordnung gleicher Sicherheit ist.