28. Jahrgang | Nummer 10 | 26. Mai 2025

Theaterberlin

von Reinhard Wengierek

Diesmal: „Marie-Antoinette oder Kuchen für alle“ – Hans Otto Theater im Palais Lichtenau / „Große Gewinne, schwere Verluste“ – Deutsches Theater Kammerspiele

***

HOT: Royals basteln eine Guillotine

Bei Königs herrscht Frust, die Nerven liegen blank bei Marie und Ludwig (Bettina Riebesel, Jörg Dathe). Dümpeln sie doch schon zwanzig Jahre nach dem Sturm auf die Bastille 1789 in Hinterkammern von Versailles. Und warten aufs „Rübe runter!“. Doch seit die Nationalversammlung die Hinrichtung aussetzte, tut sich nix. Hat man sie etwa vergessen im jakobinischen Chaos der wuchernden Bürokratie?

Ja, als ich noch das Zepter schwang, wettert Ludwig sechzehn, da wurden Mordbefehle exekutiert und fertig; da wurde das Volk betrogen, und alles war klar. Jetzt wird auch beschissen, doch keiner sieht durch. „Alle sind frei, doch keiner der – haha! – freien Bürger will arbeiten. Aber Kuchen futtern. Dabei war das mit dem Kuchen für Plebs, wenn‘s kein Brot gibt, bloß‘n Witz von Marie …“

Verrückt: Einerseits Stillstand am Richtplatz der Revolution, anderseits Umtriebigkeit im Knast der gestürzten Krone. – Denn: Man werkelt am letzten heroischen Signal des französischen Absolutismus an die Welt sowie an die Geschichtsschreibung. Und bastelt eine Privat-Guillotine, um selbst erhobenen Hauptes Volkes Wille zu vollstrecken.

Ist natürlich Fake. Kontrafaktische Geschichtsschreibung heißt das, was die Autoren Peter Jordan und Leonhard Koppelmann in der Groteske „Marie-Antoinette oder Kuchen für alle“ frech durchspielen. Ein Stück aus dem Tollhaus mit Slapstick, Grand Guignol, Verkleidungs-Farce, Typen-Kabarett und Politik.

Denn was da teils fiktiv, teils historisch verbürgt an Lügen, Intrigen, Verschwörungsfantasien, Menschenverachtung, Eitelkeit und Willkür abgeht – mit viel Witz und Fantasie inszeniert von Moritz Peters –, das findet durchaus Echo-Laute im heutigen Gesellschaftsbetrieb. Und wir sind wach genug, die Systeme royalistisch und republikanisch nicht gleichzusetzen. Da sind schon Unterschiede! Aber nicht nur …

Und da ist allerhand Spaß. Allein Ludwig XVI. als linkischer Heimwerker am Fallbeil: Die Probe mit Kürbis funktioniert nicht, ein Problem der Umlenkrollen. Oder Marie-Antoinette, die mit allen Wassern gewaschene Emanze, im augenblitzenden Intrigenspiel mit dem Kardinal um die Halsband-Juwelen von Mätresse Dubarry (Ulrike Beerbaum – die leider ums Leben kommt durch einen blöden Unfall beim Mordmaschinen-Test – gelöste Seitenmuffe). Also bleiben die Brillanten in Maries Versteck. Als kleines Handgeld; man weiß ja nie …

Oder wie M.-A. Monsieur Robespierre (Joachim Berger) zum Schwitzen bringt, während der Großrevolutionär ungeniert Zynismus auskotzt: „Die Bestie Mensch bleibt Bestie; das Volk unerziehbar, egoistisch, blöd. Ich scheiß auf alles. Die Revolution frisst ihre Kinder, ich ihre Eltern, dazu den Kuchen.“ – Nur schade, das Stückchen, das Marie ihm reicht (noch aus Wiener Beständen von Mama), ist derart altbacken, dass er dran verreckt. Mit Klavierbegleitung. Denn Fabian Simon klimpert bei jeder sich bietenden Gelegenheit ironisch dazwischen.

Schließlich tritt noch „Nasepopel“ auf als frühreife Göre namens Napoleon (Ulrike Beerbaum). Und trompetet Weisheiten: Das immerzu verzankte Volk habe keine Ahnung von Staatsführung; brauche was Übergroßes zum Anbeten. Dazu einen Krieg mit Sieg zum Stolzsein. – „Ich werde das machen“, schreit sie. „Und gewinnen. Als neuer Führer der Welt.“

Wird nicht klappen, wie es mit dem Kuchen nicht geklappt hat und auch nicht mit dem königlichen Selbstmord zur Ehre Frankreichs. Es bleibt letztlich – dann in einem anderen Theater – beim schauerlich öffentlichen Gang zum Schafott in Paris.

Im Potsdamer Palais Lichtenau hingegen, dem eleganten Ort fürs abgründig irre Spiel der Royals ohne Krone (toll ausstaffiert von Arianna Fantin), da wird viel gelacht. Freilich nicht ohne hintergründige Gedanken zum lakonischen Schlusswort. Vom ausgelassenen Ensemble mit Lust dem Publikum vor den Latz geknallt: „Die Moral von der Geschicht‘, es gibt sie nicht.“ – Oder doch?

*

DT-Kammer: Disruption und Wohlfühlwimpel

Schorsch Kamerun, APO-Veteran, Mitbegründer der Hamburger Spaß-Punk-Band „Die Goldenen Zitronen“ und Mitinhaber des „Golden Pudel Club“ auf St. Pauli schlägt in Berlin auf und ausgerechnet im DT. Mit „Große Gewinne, schwere Verluste“, einem „musiktheatralen Parcours für eine Welt, wie wir sie kannten. Parcours, das wäre eine Strecke mit Hindernissen – an deren Ende es wieder so sein soll wie früher. Also besser und schöner. Denn jetzt ist Disruption, Verunsicherung, Vereinzelung, Verlust.

Fürs Musikalische hat Schorsch (der Regisseur und Texter) den Tastenkünstler und Komponisten eingängiger Liedchen namens PC Nackt mitgebracht. Sowie den flott jugendlichen Richardchor Neukölln engagiert. Fürs turbulent arrangierte Kabarettistisch-Theatralische gibt’s eine Handvoll DT-Solisten.

Hier ihre Aufstellung: Julischka Eichel als Stefanie, einst im Geldgeschäft tätig, jetzt eine „disrupted person“, eine „Wirtschaftsverliererin, einfach so ausgewechselt“. Natali Selig als Janet hat früher „was mit Körpern und was mit Fotografie“ gemacht, jetzt hilft sie mit im Paketshop, der früher Tankstelle war (Bühne: Katja Eichbaum). Zugleich dient der Laden als Wärmestube fürs Strandgut der Figuren, die einem (vermeintlich) kuschligen Gestern nachtrauern und am kühlen Heute verzweifeln. Zu denen zählen noch zwei Kerle: Manuel Harder, ein Spaßvogel, der als James-Bond-Parodie herumgeistert, sowie Felix Goeser als robuster Altrocker mit Rochus auf die in digitalen Fluten versinkende „Selbstbeschäftigungsgesellschaft“. Kraftvoll haut er seinen Song raus von der „Streichliste Berlin, wo führtste hin …“. Den Refrain kalauert der Richardchor „unsexy dünn, zero Dopamin“.

Auch die Liste des zusammen gekehrten gesellschaftlichen Unmuts ist lang. Sie wird wie Konfetti verschnipselt durch die dicke Luft gewirbelt. Darin schwenkt gottseidank ein guter Engel sein Wohlfühl-Wimpelchen: Mercy Dorcas Otieno betreibt als Ayanda den therapeutischen „Connection Point“. Der ist zuständig für „Verbindungsversuche“, „Zugehörigkeitspflege“ sowie fürs Training der „Umarmungsbereitschaft“. So hat die Chose – ihr großer Gewinn? – ein gewisses Quantum Optimismus.