28. Jahrgang | Nummer 9 | 5. Mai 2025

„America first“

von Stephan Wohanka

Deals sind meine Kunstform.

So bekomme ich meine Kicks.

 

Donald Trump, Die Kunst des Deals, 1987

 

Anfang 2004 hielt US-Präsident George Bush jun. die alljährlich State of the Union-Rede. Er sagte unter anderem: „Wir haben kein Verlangen zu dominieren, keine Absichten, ein Imperium zu errichten. Unser Ziel ist ein demokratischer Friede, ein Friede, gegründet auf der Würde und dem Recht jedes Mannes und jeder Frau. Amerika handelt in dieser Sache gemeinsam mit Freunden und Alliierten. Aber wir wissen um unsere besondere Berufung: Diese große Republik hat die Aufgabe, die Sache der Freiheit anzuführen“.

Abgesehen vom hohlen Pathos der Sätze – sie machen eine Ambivalenz deutlich: Die USA wollen nicht „Imperium“ sein, aber „die Sache der Freiheit anführen“ und wüssten „um ihre besondere Berufung“. Die (Außen)Politik des Landes pendelt – anders gesagt – zwischen Internationalismus/Globalismus versus Isolationismus und Realismus versus Idealismus.

Mit dem Eintritt in den Ersten Weltkrieg betrat Amerika erstmals die globale Bühne, fiel in der Zwischenkriegszeit in Isolationismus zurück, bevor es nach 1945 zur Ordnungs- und Hegemonialmacht der westlichen Welt aufstieg; mit weltweiten Ansprüchen. So traten die USA für Errichtung und Fortbestand verschiedener internationaler Organisationen wie UNO, Weltbank und IWF ein.

Nach Ende des Kalten Krieg und dem Zerfall der Sowjetunion 1991 waren die USA einzig verbliebene Supermacht. Ob ein Republikaner oder Demokrat US-Präsident war – die idealistischen Prinzipien des liberalen Internationalismus, der Glauben an Demokratie und Menschenrechte, Freihandel und die Grundregeln des Völkerrechts wurden hochgehalten – und nur selten eingehalten.

Zugleich entwickelten sich Tendenzen eines neuen Isolationismus; keine völlige Abschottung, aber doch ein „selektives Engagement“ – man wollte eine „Peace Dividend“ (Friedensdividende) einfahren. Das Militärbudget wurde gekürzt und es gab weniger Bereitschaft für Auslandseinsätze, zu denen es trotzdem immer wieder kam. Die Wirtschaft gelangte stärker in den Fokus: „It’s the economy, stupid“ wie Bill Clinton George Bush sen. belehrte. Ohne die Bedrohung durch die Sowjetunion fühlten sich viele Amerikaner sicher – bis zu den Terroranschlägen am 11. September 2001, die dann das Blatt dramatisch wendeten …

Dieses Oszillieren um missionarische „Weltbeglückung“ und Sich-Heraushalten waren also lange Zeit die Konstante der US-amerikanischen (Außen)Politik. Die Trump’sche Neuauflage von „America first“ scheint diese Ambivalenz beseitigt zu haben; auch „Make America great again“ deutet neben dem Eingeständnis, als Land eben nicht mehr „great“ zu sein darauf hin, dass man sich nun das „Innere“ auf die Fahne geschrieben, dem Anspruch nach außen, dem „Imperium“ abgeschworen habe.

Doch werch ein illtum! – wie Ernst Jandl sagt. Das Gegenteil ist richtig; mehr imperiales Gehabe und knallhartes Auftreten nach außen geht kaum. In Trumps Wahrnehmung sei Amerika allein in der Welt, habe keine Freunde und Alliierten, sondern werde ausgebeutet und ausgenommen von Europäern und Asiaten, die sich unter dem US-amerikanischen Sicherheitsschirm einen schlanken Fuß machten. Darüber hinaus würde es ökonomisch benachteiligt, weil die US-Wirtschaft durch die hohen Importe aus anderen Ländern übervorteilt werde (was nur bedingt stimmt), was dazu führe, dass in den USA nicht genügend Arbeitsplätze vorhanden seien für Trumps Wählerschaft. Der Versuch der Korrektur dieser „Ungerechtigkeiten“ macht in Kombination mit Trumps manischer Ichbezogenheit und Unbelehrbarkeit aus, dass die USA mehr denn je als „Imperium“ handeln. Ein Trump kann wohl nur auf Kosten und zu Lasten anderer agieren; Kooperation ist ihm ein Graus.

Folgerichtig brachten Trumps Leute den Mar-a-Lago Accord ins Spiel – einen Vorschlag für ein internationales Abkommen, dessen Ziel es ist, den US-Dollar gezielt abzuwerten, um die US-Industrieproduktion zu stärken und das Handelsungleichgewicht zu Lasten des Auslands zu reduzieren; der Name leitet sich von Trumps Anwesen Mar-a-Lago in Florida ab.

Anleihe nehmen diese Überlegungen beim so genannten Plaza-Abkommen, bei dem 1985 die USA, Japan, Deutschland, Frankreich und Großbritannien im Plaza Hotel in New York – daher der Name, Trump kaufte es 1988 – mit der Maßgabe zusammenkamen, den stark überbewerteten US-Dollar kontrolliert abzuwerten, um so das Handelsdefizit der USA, namentlich gegenüber Japan und Deutschland zu reduzieren. Ein schwächerer Dollar – er verlor in den folgenden zwei Jahren etwa 50 Prozent seines Werts gegenüber Yen und DM – sollte amerikanische Exporte günstiger und damit wettbewerbsfähiger machen, was gelang. Das Plaza-Abkommen war eines der seltenen Beispiele einer doch freiwilligen (!) koordinierten internationalen Währungsintervention; allerdings mit teils langfristigen unerwarteten, problematischen Nebenwirkungen.

Nun also der Mar-a-Lago Accord – einerseits befinden sich die USA in der gleichen Lage wie 1985: Ausufernde Handelsdefizite, ein überbewerteter Dollar (aktuelle Analysen sprechen je nach Modellrechnung von 12 bis 15 Prozent). Andererseits sind die Umstände diametral andere: Wie ein Beobachter sagt, „wird es keine chinesischen Plaza-Abkommen geben“; auch europäische und asiatische Länder „brennen“ nicht darauf, mitzumachen bei einer gezielten Schwächung des Dollars zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der US-Wirtschaft. Eine weitere Absicht der „Übereinstimmung“ sieht die Umstrukturierung der US-Schulden vor: Ausländische Inhaber von US-Staatsanleihen sollen dazu bewegt werden, diese gegen 100jährige Nullkuponanleihen einzutauschen. Dies würde die jährlichen Zinszahlungen der USA reduzieren und die Schuldenlast langfristig strecken; wohl auch kein Schritt, der global gut ankäme.

Um andere Staaten zur Teilnahme an diesem Abkommen zu „bewegen“, setzt Trump auf die Einführung erheblicher Einfuhrzölle; eine regelrechte Zollorgie, mal an-, mal abschwellend. Er will dabei insbesondere China und Europa treffen. Auch geistert die Idee durch den Raum, die Höhe der den infrage kommenden Staaten auferlegten Zölle an deren Verteidigungsausgaben zu koppeln; je höher letztere, desto niedrigere Zölle. Dazu kommen Drohungen, sich mit Russland einzulassen, wenn die Staaten nicht kooperierten. Alles Erpressungen, um den Druck zu erhöhen und sie zur (wirtschaftlichen) Kooperation zu zwingen. Mehr „Imperium“ geht wohl kaum …

Im Wahlkampf betonte Trump immer wieder, dass sich die USA unter seiner Führung nicht mehr auf „endlose Kriege“ einließen. Trump, sagen Historiker, sei ein „Souveränist“, also einer, der skeptisch bis missbilligend gegenüber Bündnissen wie der UNO, der NATO oder internationalen Handelsabkommen sei. Das historische „America first“ war nach Hitlers Überfall auf Polen dagegen, dass die USA aufseiten der Alliierten in den Zweiten Weltkrieg eintraten. Dieses Vergangenheitsmuster dient Trump als Vorbild, wie er als Präsident agieren sollte – ohne internationale Verpflichtungen. Und ohne jegliche Kontrollen im Inneren, kann man anfügen.

Jedoch noch vor Amtsantritt drohte der Republikaner gleich mehrfach mit seinem mächtigen Militär. Sowohl die Kontrolle des Panamakanals als auch des formal zu Dänemark gehörenden Grönlands seien zwingend erforderlich für die wirtschaftliche und nationale Sicherheit seines Landes. Ebenso Kanada müsse wirtschaftlichen und politischen Druck bekommen, weil es zu stark von den USA profitiere. Auch hier ist festzuhalten – keine Abschwur des Imperialen, Expansiven, im Gegenteil.

Zwar hat Trump bisher wenigstens keinen Krieg geführt (allerdings ordnete er gezielte militärische Aktionen an, wie die Tötung des iranischen Generals Soleimani im Januar 2020); trotzdem hat sein America first entgegen dem ersten Anschein zu einer höchst aggressiven (Außen)Politik geführt, die jetzt schon fatale Folgen für die bei Weitem nicht vollkommene Weltordnung zeitigt. Paradoxerweise führt jede nationale, innere Großmannssucht zu äußeren Aggressionen, selbst wenn das Ziel ursprünglich eher eine Form von Isolationismus war.

Wenn Trumps Handelskrieg eines lehrt, dann dies: Dieser Präsident ist gewillt, jede Verflechtung und jede Form der Zusammenarbeit, die bisher als beiderseitiger Vorteil und gegenseitiges Interesse galt, als politisches Druckmittel zu nutzen. Dabei entzieht sich Trump mittlerweile jeder Berechenbarkeit, ist verhaltensauffällig. Kann er überhaupt noch ein Partner  für „Deals“ sein? Aktuell schaden sich die USA selbst mehr als Europa – warum sollten wir das jetzt durch Gegenzölle ändern? Das Beste wäre, die Folgen der Zölle erst einmal auf die Amerikaner, die Trump-Wähler und die dortigen Unternehmen wirken zu lassen. Abwarten seitens der EU bedeutet nicht Nichtstun, auch nicht Unterwürfigkeit.