Das Domstadtkino in der König-Heinrich-Straße zu Merseburg wird jedes Jahr im April für ein langes Wochenende zum Mekka des DEFA-Films. Diesmal – vom 11. bis 13. April – ist ein Jubiläum zu feiern. Die 20. Merseburger DEFA-Filmtage sind angekündigt. Wieder lädt der Förderverein Kino Völkerfreundschaft Merseburg e. V. zu einem höchsten Ansprüchen genügenden Festival.
Im Mittelpunkt des Programms steht diesmal – um es mit dem Buchtitel einer der Akteurinnen der die Filme begleitenden Gespräche zu sagen – „Die Darstellung jüdischer Erfahrung im Film der DDR“. Lisa Schoß ist die Verfasserin des gemeinten gewichtigen, 650 Seiten starken, im Jahre 2023 in der Schriftenreihe der DEFA-Stiftung erschienenen Bandes, und sie wird im Anschluss an die Aufführung des von Konrad Wolf nach einem Drehbuch von Angel Wagenstein 1959 geschaffenen deutsch-bulgarischen Films „Sterne“ ebenso zu erleben sein wie in einem Podiumsgespräch „Jüdisches Leben in der DEFA“, das sie in der Moderation des Kulturjournalisten Thomas Bille gemeinsam mit dem Filmregisseur Michael Kann und Wolfgang Schneiß, Ansprechpartner für jüdisches Leben und Antisemitismus-Beauftragter des Landes Sachsen-Anhalt, bestreiten wird.
Lisa Schoß – sie selbst hat es in einem Interview, das Knut Elstermann am 28. Juni 2023 für die „Jüdische Allgemeine“ mit ihr geführt hat, öffentlich gemacht – ist die Tochter von Schauspieler Gunter Schoß, und dieser wird mit Elstermann in Merseburg Teil eins des Films „Die Bilder des Zeugen Schattmann“ (Regie: Kurt Jung-Alsen, Drehbuch: Kurt Jung-Alsen, Rudolf Böhm, Peter Edel, Rudolf Hoffmann) begleiten, des 1972 im DDR-Fernsehen gezeigten Vierteilers nach dem Roman des als „Halbjude“ und Kommunist nach Auschwitz, Sachsenhausen und Mauthausen verschleppten, in der DDR als Schriftsteller, Maler und Buchillustrator tätig gewesenen Peter Edel, in dem er – Gunter Schoß – die Hauptrolle spielt. Sie habe – sagt die 1979 geborene Lisa Schoß im Interview – den Film 2007 im Filmmuseum Potsdam gesehen und sei von „vielen Momenten“ beeindruckt gewesen, die sie „im DDR-Fernsehen so nirgendwo gesehen habe – diese Detailgenauigkeit in verschiedenen Verfolgungserfahrungen“. In der Beurteilung der DDR-Produktionen zu jüdischer Erfahrung insgesamt wehrt sie sich gegen „jede Verallgemeinerung“; „manche Filme“ hätten sich „eindeutig ideologischen Narrativen angedient“ oder seien „ausgenutzt“ worden; das aber heiße nicht, „dass es nicht auch künstlerische Aspekte“ gebe, Film sei „eben eine Kunst“ und verfüge „über mehrdeutige Ausdrucksmittel“, wofür „Konrad Wolfs Filme sicher die besten Beispiele“ seien.
Es lässt sich ahnen, dass es in Merseburg zu intensiven Gesprächen kommen wird. Zum Beispiel auch, weil mit der Aufführung des dritten Teils des Fernsehmehrteilers „Hotel Polan und seine Gäste“ von 1982 (Regie und Drehbuch :Horst Seemann frei nach der Erzählung „Der Kampf um die Bohemia“ von Jan Koplowitz) auch ein Werk gezeigt wird, das nach Auffassung von Lisa Schoß seiner „antisemitischen Klischees“ wegen heute „nicht mehr gezeigt werden“ sollte, „zumindest nicht unkommentiert“. Die Schauspielerin Blanche Komerell wird im Gespräch mit Fördervereinsmitglied Barbara Kaaden zu erleben sein.
„Ehe im Schatten“ (Regie und Drehbuch: Kurt Maetzig, 1947), „Lissy“ (Regie: Konrad Wolf, Drehbuch: Konrad Wolf und Alex Wedding nach dem gleichnamigen Roman von F. C. Weiskopf, 1957), „Jakob der Lügner“ (Regie: Frank Beyer, Drehbuch: Jurek Becker nach seinem gleichnamigen Buch, 1974), „Stielke, Heinz, fünfzehn“ (Regie und Drehbuch: Michael Kann nach Motiven des Romans „Abenteurer wider Willen“ von Wolfgang Kellner, 1987) und „Die Schauspielerin“ (Regie und Drehbuch: Siegfried Kühn nach dem Roman „Arrangement mit dem Tod“ von Hedda Zinner, 1988) sind weitere Spielfilme zum Themenschwerpunkt. Zu sehen sind außerdem „Die Ermittlung“ nach dem szenischen Oratorium von Peter Weiss, und zwar nicht in der brandneuen Fassung (zu dieser siehe Blättchen 24/2024), sondern als Theateraufzeichnung des Deutschen Fernsehfunks in der Volkskammer der DDR 1966; der Fernsehfilm „Die Wannseekonferenz“ von 2022; der Dokumentarfilm „Der Schatten des Kommandanten“ (USA und Großbritannien 2024); und der österreichische Stummfilm „Die Stadt ohne Juden – Roman von übermorgen“ (Österreich 1924).
Das zweite Themenfeld der DEFA-Filmtage ist der Deutsche Bauernkrieg, der vor 500 Jahren nicht weit von Merseburg entfernt um das thüringische Bad Frankenhausen herum seinen blutigen Höhepunkt fand. Gezeigt werden „Thomas Müntzer – Ein Film deutscher Geschichte“ (Regie: Martin Hellberg, Drehbuch: Martin Hellberg, Horst Reinecke, Friedrich Wolf, 1956), „Die Bösewichter müssen dran“ (Regie: Thomas Kuschel, Drehbuch Joachim Niebelschütz, Thomas Kuschel, 1975), „Jörg Ratgeb, Maler“ (Regie und Drehbuch: Bernhard Stephan, 1978) sowie „Ich, Thomas Müntzer, Sichel Gottes“ (Regie: Kurt Veth, Drehbuch: Hans Pfeiffer, Kurt Veth, 1989).
Überdies zu sehen in Merseburg ist außerhalb der thematischen Schwerpunkte „Kundschafter des Friedens 2“ (Regie: Robert Thalheim, Drehbuch: Robert Thalheim und Peer Klehmet, 2025).
So attraktiv das Festival, so sorgfältig gestaltet auch das Begleitprogramm: Im Domstadtkino läuft die Ausstellung „60 Jahre DEFA-Film ‚Nackt unter Wölfen‘“. Es gibt Stadtführungen zum Thema „Jüdisches Leben in Merseburg“, und in der Saalesparkasse wird am 8. April die Ausstellung „Meine jüdischen Eltern – meine polnischen Eltern“ eröffnet.
Zum Schluss noch dies: Alle Fäden der Filmtage laufen seit jeher zusammen bei der ehrenamtlich für den Förderverein tätigen Mathematikerin Halina Czikowsky, die seit 1994 mit Mandat der PDS, nun der Linken Mitglied im Stadtrat Merseburg ist. Wen sie neben den schon Genannten noch als Gäste begrüßen können wird, ist auf der Website der Filmtage nachzulesen, Karten gibt’s via Internet.
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