In der Rügenschen Kurzeitung vom 9. Juli 1920 hieß es, rund um das Osterfest gäbe es auf Rügen nicht viele alte Bräuche. Osterruten und Osterwasserholen seien zwar bekannt, „so doch nicht heimisch“. Ein mit dem Osterfest verbundener Glaube hatte es dem Stralsunder Autor H. Riechert jedoch angetan: Man nähme auf Rügen ganz allgemein an, dass die Sonne am Ostermorgen vor ihrem Aufgang drei Freudensprünge über die Auferstehung des Herrn mache. Dazu später mehr.
Es sollte noch einige Jahre dauern, ehe zwischen 1930 und 1938, begleitend zur 1928 begonnenen Arbeit am „Atlas der deutschen Volkskunde“, in Pommern und Rügen Umfragen zu Osterbräuchen vorgenommen wurden. Der Atlas gilt als das bedeutendste Projekt zur Kulturraumforschung im Deutschen Reich, in Österreich sowie einigen damals deutschsprachigen Gebieten Ost- und Südosteuropas. Zwischen 1930 und 1935 wurden fünf Fragebögen, unterteilt in 243 Haupt- und zahlreichen Unterfragen, an 20.000 Orte mit jeweils einer Gewährsperson geschickt. Das war zur damaligen Zeit jeder vierte Ort mit einer Schule. Zur Bearbeitung dieser Unmenge an Material richtete man 34 Landesstellen ein, die Zentralstelle befand sich in Berlin (zuerst im Berliner Schloss) und wurde vom Volkskundler Dr. Friedrich Wilhelm Victor „Fritz“ Böhm geleitet. Nach dem Krieg wurde Kritik laut. Hinterfragt wurde unter anderem die Reduzierung auf nur eine Gewährsperson je Belegort, die (ungewollte) Orientierung der Fragen auf bereits veraltete Bräuche und die Vereinnahmung durch die SS-Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe. Letztere blieb aber ohne inhaltliche Folgen, wie M. Simon in seiner Habilitationsschrift „,Volksmedizin‘ im frühen 20. Jahrhundert“ (Münster 1996) nachwies. Ungeachtet der Kritikpunkte könne man nicht nur viel über die damalige Zeit lernen, sondern auch darüber, was sich bis heute verändert hat, schrieb das ZEITmagazin 2017. Insgesamt sollen noch rund viereinhalb Millionen Kärtchen mit jeweils einer Fragestellung vorhanden sein.
In der Digitalen Bibliothek Mecklenburg-Vorpommern sind fast 870 Karteikarten zu Osterbräuchen in Pommern und auf Rügen einsehbar. Alle Karten enthalten folgende Frage: „Von altersher sind in Pommern manche Osterbräuche überliefert. Z. B. Osterwasser holen, Osterlamm essen, die Sonnen tanzen sehen. Sind in Ihrem Ort diese oder andere Osterbräuche heute wirklich noch lebendig? Wir erbitten eine kurze Beschreibung.“ Eine Zahlen-Buchstaben-Codierung auf jeder Karte gab Auskunft über den jeweiligen Ort, genauer als die heutigen Postleitzahlen. Die Anfrage richtete sich in der Regel an den Lehrer oder Pastor des Ortes, ausgefüllt wurden die Karten meist handschriftlich. 28 der Karten enthalten Hinweise auf Bräuche von der Insel Rügen, eine von der Insel Hiddensee und weitere 14 von Rügen wurden entweder nicht ausgefüllt oder mit „nein“, „nicht mehr gebräuchlich“ oder „nicht mehr lebendig“ beantwortet.
An der Spitze der früher praktizierten Osterbräuche steht mit 20 mehr oder minder ausführlichen Beschreibungen das Osterwasserholen. Das Wasser musste vor Sonnenaufgang meist durch junge Mädchen, aber auch junge Leute beiderlei Geschlechts von einem Bach oder einer Quelle gegen die Fließrichtung entnommen werden; dabei und auch auf dem Hin- und Rückweg durfte nicht gesprochen werden. Das Wasser wurde zum Waschen und Trinken benutzt, sollte Schönheit verleihen, vor Krankheiten schützen, Glück bringen und heilende Wirkung besitzen. Angeblich soll das in eine Flasche gefüllte Wasser selbst nach einem Jahr nicht schlecht geworden sein. Auch die Kühe bekamen am Ostermorgen einen Eimer Wasser und sollten dann das ganze Jahr gesund bleiben. Aber wehe, wenn beim Wasserholen gesprochen wurde, dann verlor das Osterwasser seine Wirkung, es wurde zu Schlabber-, Plapper-, Schlodder- oder Brabbelwasser. Die jungen Burschen machten sich bisweilen einen Spaß daraus, die Mädchen zum Lachen oder Reden zu bringen. Selten klappte das; obwohl die Mädchen die ihnen geltenden Bemühungen der Jungen durchaus genossen.
Eine vergleichbar heilende Wirkung versprach man sich auch davon, am Ostermorgen auf nüchternen Magen einen Apfel zu essen. Das Verstecken und Suchen von Ostereiern wurde nur auf fünf Karteikarten als Brauch genannt. Am Vortag sollen die Kinder schon Nester hergestellt haben, teilweise wurden die Eier aber an anderen Orten im Freien oder im Haus versteckt.
Eine Besonderheit stellte der erwähnte Brauch dar, bei dem die Kinder aufgefordert wurden, am Ostersonntagmorgen den Sonnenaufgang zu beobachten. Laut Überlieferung freue sich die Sonne über die Auferstehung Christi, tanze oder hüpfe drei Mal. Manche wollten in der tanzenden runden Scheibe auch ein (Oster-)Lamm erkennen. Hintergrund ist wohl, dass die durch das Sonnenlicht gereizten Augen die Freudenbewegungen der Sonne suggerierten. Der 1542 in Bernau geborene Schriftsteller und Prediger Georg Rollenhagen verwies auf „alte Postillen“, in denen dieses Phänomen ähnlich beschrieben wurde: Die Einwohner ganzer Dörfer hätten den Sonnenaufgang beobachtet. „Wann sie nun dieselbe so lang angesehen haben, dass ihnen Blau und Braun, Licht und Finsternis für die Augen kommt, so ruft einer hier, der andere dort: Jetzt tat sie den ersten. Da bald den anderen. Und denn den dritten Sprung. Wer nun sagen wollte, er hätte es nicht gesehen, den würde man für blind oder für einen Gottes-Lästerer halten.“
Die meisten dieser Osterbräuche sind auf Rügen entweder nicht mehr bekannt oder werden kaum noch, allenfalls modifiziert befolgt. Bereits in den 1930er Jahren wurden sie auf Befragungskarten als „selten“, „vor Jahren selten“, „war üblich“, „vereinzelt“, „Brauch längst verschwunden“, „ausgestorben“ oder „noch gelegentlich“ bezeichnet. Andere Bräuche, die zum Beispiel unter „Familientradition – lebendige Ostern auf Rügen“ beschrieben werden, spielten in der genannten Befragung erstaunlicherweise überhaupt keine Rolle: Das betrifft unter anderem das „Stiepern“, bei dem sich die Kinder am frühen Ostersonntag ins Schlafzimmer schlichen, mit „Stiep Stiep Osterei, gibst du mir kein Osterei, stiep ich dir das Hemd entzwei“ auf die Eltern stürzten und mit Birkenreisig zuschlugen. Die Folgen waren nicht selten Striemen auf den Allerwertesten, zerwühlte Betten und jede Menge Reste von Birkenreisig. Die Eltern zahlten deshalb schnell Ablösegeld, meist ein Schokoladenei. Eine Mutter soll sich später erinnert haben, sie sei nie auf Rosen gebettet gewesen, „aber einmal im Jahr auf Birkengrün“. Häufig wurden auch die Mädchen durch junge Burschen auf diese Weise „traktiert“. Ursprünglich sollte das „Stiepern“ Gesundheit bringen.
Eine weitere Tradition war das „Eierkullern“: Von den aus den Nestern gesammelten Eiern wurden ein oder zwei je Familienmitglied ausgewählt und zum Beispiel vom Drachenhaus- oder Plansberg (Göhren), vom Schafsberg (Middelhagen) oder vom Fliegerberg (Alt Reddevitz) hinabgerollt. Sieger war das Familienmitglied, dessen Ei heil geblieben und die weiteste Strecke gerollt war. Beschädigte Eier wurden sofort verspeist. Von diesem Brauch gab es verschiedene Variante, bisweilen gewann auch, wer die meisten Eier heil hinunterbrachte. Bis heute werden zu Ostern bunte Eier an Sträuchern und Bäumen in Rügener Gärten aufgehängt. Früher wurden sie gemeinsam von Eltern und Kindern ausgeblasen und bemalt, heute sind sie freilich meist aus Kunststoff. Dass damit einst böse Hexen und Geister vertrieben werden sollten, dürfte kaum noch eine Rolle spielen. Inzwischen lebt die heidnische Tradition des Osterfeuers wieder auf, mit dem der Winter vertrieben und der Frühling eingeläutet werden sollte. Vor allem die Strände von Binz („Osterfeuer-Meile“) und Baabe werden in diesem Zusammenhang erwähnt. Eine Modifikation der Verwendung des Osterwassers ist mir in „meinem“ Hotel auf Mönchgut beim Gang zum Frühstück begegnet: Zwei Service-Damen „lauerten“ mir auf und besprühten mich mit Wasser: Eine lebendige Tradition ihres Heimatlandes Polen.
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