Julia Klöckner (CDU), Bundestagspräsidentin – Als politisches Urgestein würde man Sie, schon aus Höflichkeitsgründen, noch längst nicht bezeichnen, aber auf über 20 aktive Jahre im Geschäft (darunter auch als Bundesministerin) blicken Sie allemal zurück. Gemäß dem Inlandsprotokoll der Bundesregierung haben Sie nunmehr das – nächst dem Bundespräsidenten – zweithöchste Staatsamt inne. Trotzdem mussten Sie sich am 26. März 2025, nur einen Tag nach Amtsantritt, im Morgeninterview des Deutschlandfunks (um 7:15 Uhr, also quasi noch vor dem Aufstehen) von der offenbar überaus unempathischen Redakteurin Maria Grundwald mit einer Frage begrüßen lassen, für die sich jeder männliche Kollege einen Shitstorm eingehandelt hätte: „Können Sie Bundestagspräsidentin?“ Sie konterten cool: „Warum sollte ich das nicht können? Ich weiß gar nicht, ob man das auch einen Mann fragen würde.“ Daraufhin die Interviewerin: „Das klingt selbstbewusst, Frau Klöckner. Was macht Sie da so sicher?“ Auch dieser zweite Versuch brachte Sie nicht aus dem Konzept. (Zum Wortlaut des Interviews hier klicken.)
Um nicht missverstanden zu werden: Unsere Sympathien für die Union halten sich in äußerst überschaubaren Grenzen. Trotzdem bleibt Fairness eine condicio sine qua non für praktizierte Demokratie.
Wir haben einen Blick auf Ihre Antrittsrede als Bundestagspräsidentin geworfen und konzedieren frank und frei, dass die Bewertung der Neuen Osnabrücker Zeitung durchaus auch von uns stammen könnte: „Dass der Start in die neue Legislaturperiode gelang, dafür sorgte ausgerechnet Julia Klöckner. Ausgerechnet, weil die frühere CDU-Ministerin populistischen Versuchungen schon mehrfach selbst erlegen ist. Das Misstrauen ihr gegenüber zeigte sich im dürftigen Ergebnis bei der Wahl zur neuen Bundestagspräsidentin. Ihre Antrittsrede aber war stark und setzte entscheidende Botschaften, um Spaltung, Verzagtheit und Pessimismus zu überwinden: Mehrheiten, die demokratisch zustande gekommen sind, sind keine Kartelle! Abweichende Meinungen zu hören und verstehen zu wollen, darf keine Überforderung sein! Nicht jede Meinung, die man nicht teilt, kommt Extremismus gleich! Aber auch: Lautstärke ist nicht gleich Mehrheit!“
Peter Florin, 2014 verstorbener Ex-DDR-Diplomat und 1987/88 erster und bisher einziger deutscher Präsident der UN-Vollversammlung in New York – Im Juni 1987 nannte der damalige UN-Generalsekretär Javier Perez de Cuellar Sie während eines Besuchs in Ost-Berlin einen „Beweis für die Hochachtung“, die sich die DDR bei den Vereinten Nationen erworben habe.
Bei Ihrem Amtsantritt bei der UNO (1972/73) hatten Sie einen Lebensweg durch das 20. Jahrhundert hinter sich, auf dem Sie Erfahrungen im Übermaß sammeln konnten. 1921 in Köln-Poll in eine kommunistische Familie geboren – Ihr Vater war der KPD-Reichstagsabgeordnete Wilhelm Florin –, ging die Familie 1933 sofort nach Frankreich ins Exil. Durch die Internationale Rote Hilfe gelangten Sie nach Moskau, wo Sie studierten und sich 1941 zur Roten Armee meldete. Sie kämpften zehn Monate lang als Partisan in Weißrussland und arbeiteten dann beim Nationalkomitee
Freies Deutschland. Nach 1945: Landrat in Wittenberg, Chefredakteur der Zeitung Freiheit in Halle, DDR-Botschafter in Prag, Volkskammerabgeordneter, Mitglied des ZK der SED …
Ihre wahrscheinlich demnächst Amtsnachfolgerin am East River, die verbal überaus vollmundige, politisch jedoch merklich untermaßige Noch-Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), deren Nominierung, folgt man hiesigen Medien, ein intrigantes Geschmäckle begleitet, wird, so vermuten wir, noch nie etwas von Ihnen gehört haben. Was gleichwohl keineswegs gegen Sie und Ihre beachtliche Vita spricht …
Friedrich Merz (CDU), sehr spät Berufener – Die Bundestagswahl vom 25. Februar 2025 brachte für die Unionsparteien folgendes Ergebnis: Erststimmen – 32,1 Prozent, Zweitstimmen – 28,6 Prozent. Das ist das zweitschlechteste in der Geschichte der Partei seit 1949. Trotzdem wird es für Sie dieses Mal wohl zum Einzug ins Kanzleramt reichen.
Zugetraut hatten Sie sich das bereits vor 20 Jahren.
Erinnern wir uns – 2005 hatte Angela Merkel als Unions-Spitzenkandidatin folgende Werte eingefahren: Erststimmen – 40,8 Prozent, Zweitstimmen – 35,2 Prozent. Das galt seinerzeit als grottenschlecht, weswegen Sie Morgenluft witterten und gegen Merkel auskeilten: 2,6 Millionen Wähler, so rechneten Sie in der Wirtschaftswoche vor, die der Union ihre Erststimme gaben, hätten CDU und CSU die Zweitstimme bewusst verweigert: „Das Potenzial der CDU kommt in den Erststimmen mit 40,8 Prozent zum Ausdruck. Nur 35,2 Prozent bei den Zweitstimmen sind eine überdeutliche Antwort der Wähler an Wahlprogramm und personelles Angebot der Union.“ Und für alle, die noch immer nicht verstanden hatten, was Sie meinten, legten Sie nach: Die Union habe zwar jetzt „den Auftrag zur Regierungsbildung“, von Merkel hingegen – an dieser Stelle keine Rede. Auch wussten Sie damals: „Die gigantischen Haushaltsprobleme“ ließen sich „mit Fiskalpolitik“ (sprich: Sparen, Schulden und Steuererhöhungen) nicht lösen, weshalb man ein erhöhtes Wirtschaftswachstum brauche.
Wie das Palastrevolutiönchen seinerzeit endete – nämlich mit Ihrem Ausscheiden aus der aktiven Politik – ist Geschichte.
Jetzt äußern Wirtschaftsexperten schon vor Ihrer Vereidigung zum Kanzler Zweifel daran, dass die von Ihnen unter Bruch eines zentralen Wahlkampfversprechens der Union in Gang gesetzte gigantische neue Staatsverschuldung zum dringendst benötigten Wirtschaftswachstum führen werde. Für den Fall, dass sich dies bewahrheitete, erinnern wir hier vorsichtshalber, doch nicht ungern schon mal an noch einen Ihrer Sprüche von 2005: „Dann sollte man der großen Koalition schon am Anfang ein schnelles Ende wünschen. Alles andere kostet nur noch mehr Zeit.“
André Mielke, SvD* – In Ihrer jüngsten Kolumne in der Berliner Zeitung (01.04.2025) erinnern Sie an den psychopathischen US-Verteidigungsminister James Forrestal, der Ende der 1940er Jahre in dem Militärhospital, in dem man sich seines Leidens angenommen hatte, erst Sowjetsoldaten gesichtet haben und wenig später mit dem Ruf „Die Russen kommen!“ aus dem 16. Stock gesprungen sein soll. Mit Blick auf die aktuelle Bedrohungsindoktrination der deutschen Öffentlichkeit fahren Sie fort: „Momentan allgegenwärtige Vertreter von Politik, Wissenschaft und Medien sind wahrscheinlich nicht selbst psychotisch. Sie erschrecken nur die Bevölkerung. Das ist ein Dienst am Staatswohl. Denn ein stabiles Bedrohungsgefühl gestattet es den Bürgern, künftige Wohlstandsverluste und Grundrechtsschrumpfungen noch gleichmütiger zu akzeptieren als angesichts von Klima und Seuche.“ Handwerklich gäbe es allerdings dringlichen „Verfeinerungsbedarf“: „Laut BND-Präsident Kahl kommen die Russen ‚bis 2030‘, bei Generalinspekteur Breuer ‚ab 2029‘. ‚Wäre ich Putin‘, sagt Sigmar Gabriel, ‚würde ich 2028 kommen.‘ Ex-NATO-General Shirreff hat den ‚März 2027‘ im Auge, Wehrexperte Gressel ‚allerfrühestens Mitte 2026‘ und Militärhistoriker Neitzel den kommenden Herbst. Die Datenfülle verwirrt das Volk. Sie erschwert Feindfokussierung und Urlaubsplanung.“
Zugleich haben Sie nicht eine, sondern die Lösung gleich mit zur Hand: „Besser wäre, in Talkshows einheitlich die 1984 entwickelte Präzisionsformel ‚In 15 Minuten sind die Russen auf dem Kurfürstendamm‘ zu verwenden. Udo Lindenberg machte damals einen Scherz. Aber irgendwann ist eben Schluss mit lustig.“
Da bleibt nur noch zu hoffen, dass die KahlBreuerGabrielShirreffGresselNeitzel und wie sie sonst noch alle heißen den Schuss nun auch endlich hören.
* – Schandmaul vom Dienst
James Kirchick, ehemals Radio Free Europe/Radio Liberty, aktuell Mitglied des Axel Springer Global Reporters Network – Dank der Springerschen Welt vom 21.03.2025 (online) sind wir folgender fundamentaler Botschaft teilhaftig geworden: „Acht Jahrzehnte lang waren die USA eine treibende Kraft für das Gute.“ Dieses goldene Zeitalter „begann nach dem Zweiten Weltkrieg, als ein isolationistisches Land widerwillig die Führung der Welt übernahm, ein gewaltiges und vielfältiges Unterfangen, das zu beispiellosem Wirtschaftswachstum führte, zu wissenschaftlichen Entdeckungen, zu Wohlstand und Frieden.“ Nicht nur Hunderte Millionen Amerikaner, sondern auch unzählige Menschen auf der ganzen Welt hätten die Überzeugung geteilt, „dass die Vereinigten Staaten eine außergewöhnliche Nation sind, in einzigartiger Weise in der Lage, eine treibende Kraft für das Gute in der Welt zu sein“. Im Mittelpunkt stets – „Unterstützung von Demokratien und […] Widerstand gegen Diktaturen“. Doch selbst wenn die USA „sich unmoralischer Mittel bedienten, taten dies amerikanische Staatschefs, um Ziele zu erreichen, die sie für moralisch hielten“. Auch in Indochina – das Ende des Vietnamkrieges jähre sich dieser Tage zum 50. Male – sei das US-Engagement „verdienstvoll“ gewesen.
Abgesehen davon, dass allein die geschätzt zwischen 1,3 und drei Millionen vietnamesischen Kriegsopfer* womöglich anderer Meinung wären – gegen eine derart quasi religiöse Verkündigung und womöglich auch Überzeugung des Verkündigers ist mit historischen Fakten und darauf beruhenden Argumenten wohl nicht anzukommen.
Doch als eine Art Basisschutz für alle noch nicht restlos infizierten Amerikagläubigen empfehlen wird mindestens die Lektüre von Bernd Greiners „Made in Washington: Was die USA seit 1945 in der Welt angerichtet haben“ (siehe auch Blättchen 20/2021).
* – Unter anderem der US-amerikanischen Flächenbombardements, mit denen Nordvietnam in die Steinzeit zurückgebombt werden sollte – O-Ton US-Militär, 1965. Zwischen 1965 und 1975 warfen die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten mehr als 7,5 Millionen Tonnen Bomben auf Vietnam, Laos und Kambodscha ab – doppelt so viel wie im Zweiten Weltkrieg auf Europa und Asien. Quelle – Cooper Thomas: Bombing missions of the Vietnam War.
Gabriele Susanne Kerner, geboren im nordrhein-westfälischen Hagen am 24. März 1960 – Hagen von Tronje stammte nicht aus der Stadt und andere Persönlichkeiten aus dem Ort selbst, die es bis in den deutschen Allgemeinbildungskanon geschafft hätten, gibt es nicht wirklich. Womit Sie den Slogan „Keine Zukunft ohne Herkunft!“ allerdings nicht ad absurdum führen, sondern als Ausnahme von der Regel nur bestätigen.
In der 11. Klasse des Gymnasiums brachen Sie die schulische Ausbildung ab, um stattdessen eine Lehre als Goldschmiedin zu absolvieren. Das war letztlich aber auch nicht das Richtige. Nach ersten musikalischen Gehversuchen als Schlagzeugerin der Mädchenband „Mausis“ rückten sie ab 1977 als Frontfrau der „Stripes“ erstmals ins Rampenlicht. Die New Wave Formation landete 1980 mit dem Song „Ecstasy“ einen ersten, viel beachteten Disco-Hit. Ungeachtet des Erfolges löste sich die Band 1982 auf. Gut so, denn als Solistin starteten Sie danach erst richtig durch und wurden binnen kurzem und bis heute die weltweit bekannteste deutsche Sängerin. Mit über 25 Millionen verkauften Tonträgern zugleich eine der erfolgreichsten. Knapp vor Helene Fischer!
Ihr bekanntester Song, 1983 eingespielt, erreichte Platz eins der deutschen Charts und wurde auch international zum Mega-Hit: In Japan, Australien, Kanada und Mexiko kletterte er an die Spitze der Charts. In den USA erreichte der Titel Platz zwei der Billboard Hot 100. Kein anderer deutschsprachiger Titel war in den Vereinigten Staaten je erfolgreicher. Die Plattform Spotify wurde zwar erst im Jahre 2006 gegründet, doch abgerufen wurde der Song dort bereits 521.759.138 Mal (Stand: 27.03.2025).
Von Ihrem 65. Geburtstag erfuhren wir zu unserer Schande erst am Erscheinungstag unserer vorangegangenen Ausgabe, so dass wir nachträglich erst jetzt gratulieren. Allerdings dafür – umso herzlicher.
PS: Manche können vielleicht mit Ihrem bürgerlichen Namen nichts anfangen. Für die sind Sie einfach – Nena. Und in dem Song, von dem hier die Rede ist, ging es um irgendwas mit Luftballons.
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