28. Jahrgang | Nummer 6 | 24. März 2025

Revolutionärer Mystiker und Widersacher Luthers

von Manfred Orlick

Der deutsche Bauernkrieg von 1524-26 ist eines der markanten und spektakulären Kapitel der deutschen Geschichte, in dem die Bauern für ihre Rechte und eine gerechtere Gesellschaft kämpften. Die Aufstände nahmen ihren Anfang zunächst in Süddeutschland und breiteten sich dann immer weiter nach Norden aus. Mitteldeutschland, besonders die heutige Region Mansfeld-Südharz, wurde dann nicht nur Schauplatz eines entscheidenden Wendepunktes des Aufruhrs, sondern auch finaler Wirkungsort des radikalen Reformators Thomas Müntzer, der innerhalb der reformatorischen Bewegung eigene Akzente setzte.

Bereits 1989 veröffentlichte der Theologe und Historiker Hans-Jürgen Goertz unter dem Titel „Thomas Müntzer. Mystiker, Apokalyptiker, Revolutionär“ eine Müntzer-Biografie, die 2015 als „Thomas Müntzer. Revolutionär am Ende der Zeiten“ eine überarbeitete und aktualisierte Neuauflage erlebte. Zum 500. Jahrestag des Bauernkrieges und zum 500. Todestag von Thomas Müntzer erschien nun eine Nachauflage.

In seiner Einleitung betont Goertz, dass das Urteil über Müntzer je nach Sichtweise starken Schwankungen unterliegt – vom „ruhelosen Fanatiker“ bis zum „Vorkämpfer für eine gerechte Gesellschaft“. Obwohl Müntzers überlieferte Lebenszeugnisse und sein publizistisches Werk recht schmal sind, um eine ausgewachsene Biografie tragen zu können, versucht der Autor, in dreizehn Kapiteln den Lebensweg des Revolutionärs nachzuzeichnen.

Als sein Geburtsort ist Stolberg im Harz belegt. Schwieriger ist es mit dem Geburtsdatum (sogar mit dem Geburtsjahr). Heute wird angenommen, dass er am 20. oder 21. Dezember 1489 geboren wurde. Vieles über seine frühen Jahre ist nur Spekulation. Das erste gesicherte Lebenszeichen ist seine Einschreibung „Thomaß Munczer de Quedilburck“ in die Matrikelliste der Universität Leipzig 1506, wo er sich das wissenschaftliche Grundgerüst aneignete und Ulrich von Hutten ein Studienkollege war. Später setzte er sein Studium an der Brandenburgischen Universität Frankfurt an der Oder fort. 1513 wurde Müntzer in der Diözese Halberstadt zum Priester geweiht. Seit 1516/17 wirkte er dann als Präfekt am Kanonissenstift Frose bei Aschersleben und zog von dort nach Braunschweig. Hier muss Müntzer schon seine antiklerikale Haltung entwickelt haben, denn bald wurde er aus Braunschweig verwiesen und kam nach Wittenberg, wo er Kontakt mit Luther und den Wittenberger Theologen hatte.

Auf Empfehlung Luthers wurde Müntzer 1519 nach Jüterbog und später nach Zwickau auf eine Vertreterstelle berufen. Hier predigte er gegen die Missstände der katholischen Kirche und forderte von der Kanzel gesellschaftliche Reformen. Damit geriet er jedoch in Konflikt mit Luther. Außerdem propagierte er eine Erneuerung der traditionellen Amtskirche nach dem Vorbild des Urchristentums und setzte mit einer volkstümlichen Mystik eigene Akzente. Die Konfrontation zwischen Luther und Müntzer, zwischen Reformation und Revolution, erörtert Goertz an vielen Stellen seiner Biografie.

Nachdem Müntzer aus Zwickau verwiesen worden war, wandte er sich nach Prag. Mit seinen im sogenannten „Prager Sendbrief“ formulierten radikalen theologischen Ansichten vollzog er endgültig den Bruch mit dem großen Wittenberger Vorbild. Von Böhmen aus wollte Müntzer seine „neue Kirche“ verbreiten, um mit ihr Gottes Wort zu verteidigen. Trotz anfänglicher Erfolge wurde er gezwungen, Prag wieder zu verlassen. Danach war Müntzer über ein Jahr lang auf Achse – ein Wanderleben von einem Ort zum anderen.

Endlich im Frühjahr 1523 bekam der bislang glücklose Thomas Müntzer im kursächsischen Allstedt eine Pfarrstelle. Hier fasste er schnell Fuß und heiratete die ehemalige Nonne Ottilie von Gersen. Noch vor Luther hielt er den Gottesdienst in deutscher Sprache und lockte damit tausende Bauern und Bergknappen nach Allstedt. Dies hat den Fortgang der Reformation ganz allgemein beschleunigt.

Am 13. Juli 1524 hielt Müntzer vor dem Herzog und späteren Kurfürsten Johann dem Beständigen und seinem Gefolge auf dem Schloss Allstedt seine berühmte „Fürstenpredigt“, in der er in flammenden Worten mit der mittelalterlichen Vorstellung aufräumte, der Mensch lebe in einer gottgegebenen Ordnung, der er sich bedingungslos zu unterwerfen habe. Er forderte die anwesenden weltlichen Fürsten sogar zu radikalen Gesellschaftsreformen auf, sie sollten sich nicht mit Luthers konservativen Vorstellungen zufrieden geben. Müntzer träumte im Gegensatz zu Wittenberg von einer Allstedter Version der Reformation – doch er hatte den Bogen überzogen: Über Nacht musste er Allstedt verlassen.

Zunächst war Müntzer nach Mühlhausen geflohen; reiste dann aber weiter nach Süddeutschland, wo er vor aufständischen Bauern predigte. Inzwischen hatten die Bauernaufstände auf Thüringen übergegriffen, worin Müntzer ein strafendes Zeichen des Gottesgerichts an den Gottlosen sah. Er wurde zum geistigen und geistlichen Führer der aufständischen Bauern und mit einer Schar von bewaffneten Mühlhausenern zog er nach Frankenhausen, wo es am 15. Mai 1525 zur Entscheidungsschlacht kommen sollte. Das Bauernheer erlag der Übermacht des Fürstenheeres und wurde vernichtend geschlagen. In dem blutigen Gemetzel verloren Tausende Aufständische ihr Leben. Müntzer konnte zunächst fliehen, wurde dann jedoch gefasst. Zwölf Tage lang ließ ihn der Graf von Mansfeld in seiner Festung Heldrungen verhören und foltern. Am 27. Mai wurde Thomas Müntzer auf den Richtplatz von Mühlhausen gezerrt. Seine letzten Worte sollen gewesen sein: „Ich habe nichts zu bereuen! Wir haben großes gewagt, und leider ist unsere Kraft noch zu schwach gewesen. Doch der Tag wird kommen, an dem unsere gerechte Sache gelingt. Der Sieg wird unser sein!“

Das öffentliche Wirken Müntzers umfasste nur wenige Jahre, doch diese Zeit war von allergrößter Intensität geprägt. Goertz lässt in die einzelnen Lebensstationen immer wieder Informationen zur sozialpolitischen Lage einfließen, wobei er eine Analyse von Müntzers Schriften einbezieht. Er rückt das verzerrte Geschichtsbild des oft missverstandenen Reformators zurecht und lässt ihm späte Gerechtigkeit widerfahren. Im Anhang gibt er eine ausführliche Übersicht der Müntzer-Forschung und geht dabei der Frage nach: „Thomas Müntzer und die Theologie heute“. Hier setzt sich Goertz mit dem verzerrten Bild und dem Schattendasein Müntzers in der Geschichtskultur der Deutschen auseinander. Ein weiterer Anhang ergänzt die Biografie mit einer Karte der Lebensstationen Müntzers, einer Zeittafel und einer umfangreichen Bibliografie.

Hans-Jürgen Goertz: Thomas Müntzer – Revolutionär am Ende der Zeiten. Eine Biographie. Verlag C.H. Beck, München 2025, 352 Seiten, 29,90 Euro.