In der C. Löffler´schen Buchhandlung in Stralsund erschien 1839 die „Buchhaltung für Kinder oder Anweisung zur Ordnung und Sparsamkeit in Geldsachen für den Selbstunterricht und Gebrauch in Schulen“. Autor war Dr. Albert Gerth, Adjunkt („Hilfslehrer“) am Königlich Preußischen Pädagogium zu Putbus auf Rügen.
Da, wo die Gesetze und die Methode des Staatshaushalts streng und weise gehandhabt würden, herrschten Friede und Zufriedenheit, erklärte er einleitend. Eine lange Reihe von Jahren sei erforderlich, ehe im Organismus der Staaten dasjenige Gleichgewicht der Ökonomie gefunden sei, welches den Besitz auch des kleinen Mannes mittrage, mitstütze und mitvermehre. Dieses Gleichgewicht im Großen beruhe auf dem Gleichgewicht im Kleinen, letztlich auf den „Handthierungen des gewerbsfleißigen Unterthans“. Es liege also auf der Hand, wie wichtig Ordnung und Methode sind, die der einzelne Bürger im Gebrauch der ihm zu Gebote stehenden Erwerbsmittel anwende. Am besten könne der Einzelne dies in der „Schule der Knaben“ erlernen, statt erst durch Erfahrung, also durch Schaden und Verlust, klug zu werden und seinen Eltern Schande und sich selbst Elend zu bereiten.
Jedem Lehrer entgehe nicht, dass die gehässigsten und meisten Disziplinarfälle durch leichtsinnige Verwendung des von den Eltern den Zöglingen zugestandenen Taschengeldes herbeigeführt würden. „Denn der kleine Verschwender ist allermeist zugleich ein Faulenzer und Taugenichts in der Schule.“ Zwar würden die meisten Väter zur Sparsamkeit, nützlichen Verwendung und genauen Berechnung des Taschengeldes ermahnen, aber was dann, wenn der „schmeichelnde Knabe“ der Mutter, der Tante und der Großmutter heimliche Spenden zu entlocken wisse? In offenen Kaufläden und „Conditorbuden“ würde das zugesteckte Geld vernascht, schließlich lasse man in der Hoffnung auf neue „Spenden“ anschreiben und schon stünde der Knabe als Schuldner und der Schuldner als Betrüger da.
Ein solcher zu Unordnung, Verschwendung und Genusssucht verführter Knabe würde nie etwas Tüchtiges als Schüler und noch weniger als künftiger Staatsbürger leisten. Dem Vorwort schloss Dr. Gerth „einige Maximen für den angehenden Geschäftsmann“ an:
- Ordnung vermindere die Arbeit, vermehre verhältnismäßig den Gewinn des Geschäfts und liefere zu jeder Zeit eine vollständige und unmittelbare Übersicht über unser Geschäft.
- Beste Methode sei ein bedächtiges, ruhiges, geordnetes System. Polternde Geschäftigkeit sei unverträglich mit erfolgreicher Tätigkeit. „Der polternde Geschäftsmann hat gewöhnlich einen wirren Kopf: er spricht viel und beginnt viel, aber vollendet wenig und das Wenige schlecht.“
- Was heute geschehen könne, verschiebe man nicht auf morgen.
- Ein „geschriebenes Memorandum“ sei dem bloßen Vertrauen in das eigene Gedächtnis vorzuziehen.
In den Erläuterungen zur Buchführung geht der Autor von einem fiktiven Beispiel aus: Carl, zwölf Jahre alt, wohnhaft in einer Pension, bekommt zur Bestreitung seiner jährlichen Ausgaben an vier Terminen je 90 Reichstaler von seinem Vater. Außer seinem Schul- und Kostgeld rechnet Carl überschlägig mit Ausgaben für Bücher, Landkarten, Kleider, möchte Privatstunden in Sprachen und Musik nehmen, benötigt Schreibmaterialien, verschiedene Gerätschaften und Werkzeuge, will aber auch etwas „zurücklegen“. Um aber den genauen Überblick zu erhalten, wird er von seinem Lehrer angeregt, zwei Bücher, „ein Cassa-Buch und ein Haupt-Buch“ anzulegen. „Die Wage“, auch Bilanz genannt, soll die Gegenüberstellung der Einnahmen laut Cassa-Buch und der Ausgaben laut Haupt-Buch beinhalten.
Interessant sind die fiktiven Einnahmen und Ausgaben. Sie basieren zu jener Zeit auf folgenden Währungsdaten: 1 Reichstaler entsprach 30 Silbergroschen, 1 Groschen entsprach 12 Pfennigen, 1 Taler entsprach damit 360 Pfennigen. Carls Einnahmen werden 1893 in Höhe von 365 Reichstalern und 20 Groschen (360 Reichstaler vom Vater, 5 Taler und 20 Groschen als „Geschenk von der Mutter“) angenommen. Keine kleine Summe, wenn man sie mit den Verdienstbeispielen auf der Website „preussenthaler.de/wahrungen-verdienste“ vergleicht: So erhielt ein preußischer Schulmeister um 1830 ein Jahresgehalt von 100 bis 200 Taler. Um die „drückendsten Nahrungssorgen“ zu bewältigen, wären laut Zeitgenossen eigentlich 200 bis 300 Taler notwendig gewesen. Ein Schuhmacher oder Schneidermeister verdiente um 1840 in den westlichen Provinzen Preußens jährlich etwa 100 Reichstaler. Davon ging ein Drittel für Wohnung, Holz, Licht, Kleidung, Wäsche und andere Bedürfnisse ab. Für die Kost blieben nur 5 1/3 Silbergroschen übrig, wofür man in Hessen entweder 3,4 kg Brot oder 800 g Fleisch erhielt – wohlgemerkt für eine Familie im ganzen Jahr.
Bei den 17 Ausgabepositionen, die der Autor für Carl aufführt, orientiert er sich augenscheinlich an den durchschnittlichen Ausgaben damaliger Internatszöglinge des Pädagogiums. So entsprachen die von Carl ausgegebenen 130 Taler für Kostgeld und 50 Taler Schulgeld 1836 den entsprechenden Ausgaben eines Zöglings am Pädagogium. 67 Taler 5 Groschen werden für Privatunterricht, 10 Taler 25 Groschen für Bücher und Landkarten, 15 Groschen für Musikalien, weitere 15 Groschen für Zeichnungen, 48 Taler 22 Groschen für Kleidungsstücke, 7 Taler 20 Groschen für Wäsche, 8 Taler 9 Groschen für Gerätschaften und 3 Taler 17 Groschen für Schreibmaterialien ausgegeben. 4 Taler 25 Groschen 6 Pfennige wendet Carl für nicht näher erläuterten „Dienstlohn“ auf. 1836, im Eröffnungsjahr des Pädagogiums, waren außer drei Dienern zusätzlich zwei Reinemachefrauen angestellt, zu deren Aufgaben es auch gehörte, die jüngeren Schüler zu waschen. Vermutlich galt ihnen der „Dienstlohn“. 8 Groschen 6 Pfennige gab Carl für Almosen aus, 9 Taler 13 Groschen 6 Pfennige für „Lustbarkeiten“, die leider nicht näher erläutert werden, 3 Taler 13 Groschen 6 Pfennige für Verschiedenes, darunter zwei warme Bäder, 7 Taler 22 Groschen für Reisen, 2 Taler 24 Groschen 6 Pfennige für Porto. Mit „Sparkasse“ sind 3 Taler 15 Groschen für unvorhergesehene Ausgaben bezeichnet. Übrig blieb ein Kassenbestand von 6 Talern 9 Groschen 6 Pfennigen.
Fazit: Der Autor rechnete wohl damit, dass einige seiner Kollegen – wenn sie es nicht überhaupt verschmähten, das Büchlein zu lesen – die Tendenz des Textes bedenklich finden und ausrufen könnten: „O tempora! Handelsmaximen in die Schule einführen und das verderbliche Unkraut des Geizes und der Habsucht methodisch pflegen!“ Wohl deshalb seine – wie er selbst andeutet – vergleichsweise umfangreiche Einführung. Etwas pathetisch erscheint in diesem Zusammenhang die Betonung des Autors, er habe weder Vermögen noch Schulden, auch kein einträgliches Amt, „noch gehe er auf Beute aus wie ein kriechender Israelit“. Vielmehr sei er nur ein Schulmann, der Schaden wegen mangelnder Belehrung in Geldsachen verhindern wolle. Praktische Unterweisungen wie den Umgang mit Geld in den tradierten Schulunterricht einzuführen, war nach Übersicht von Dr. Gerth bisher nur an Schulen in der Schweiz gelungen. Ihr Beispiel zeige, dass die in der Jugend erlernte Ökonomie keinesfalls Jeden geldgierig und gewinnsüchtig mache. Vielmehr sei der reiche (schweizerische) Kaufmann oft „ein Freund der Künste und des Geschmacks, nicht selten ein Freund der Wissenschaft und ein Unterstützer aufkeimender Talente“.
Auffällig, aber zeitgemäß ist die Adressierung des Buches ausschließlich an Knaben. Auch am Putbuser Pädagogium, dem Arbeitsort des Autors, wurden nur männliche Zöglinge im Internat untergebracht und unterrichtet. Die Frauen, Mütter, Tanten und Großmütter, erscheinen im Buch nur als die durch den „schmeichelnden Knaben“ zu heimlichen Spenden manipulierbaren Randfiguren. Folgerichtig geht der Autor auch im fiktiven Fall des zwölfjährigen Carl davon aus, dass sich dieser (nur) beim Vater das Lob abholt, wenn er das Geld nützlich und zweckmäßig verwendet hatte.
Ob die Bemühungen von Dr. Gerth, „Geldsachen“ in den Selbstunterricht und in die Schulen einzubringen, Früchte trugen, geht aus der Literatur leider nicht hervor.
Wie auch immer: „Banal“ erscheinen dagegen die aktuellen Probleme an einigen deutschen Schulen – richtiges Lesen, Schreiben und Rechnen …
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