Diesmal: „Pick me Girls“ – Berliner Ensemble / „Café Populaire Royal“ – Gorki Theater
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BE: Rockerin mit Grips und Witz
Konfettikanonen, Lamettavorhang, dröhnende Popmusik („Anti-Hero“ von Taylor Swift), kreisende Scheinwerfer und ein kochender Saal: Auftritt Sophie Passmann! Vor verspiegeltem Revuefächer (oder Pfauenrad oder Venusmuschel?). Das Publikum, gefühlt hundert Prozent jungweiblich, bejubelt seinen Star. Sein Sprachrohr. Seine Schwester im Geiste. Seine Heldin. Wir sind die Sophie!
Denn: Sophie Passmann ist Feministin; scharf im Denken, schnell im Reden, ironisch bis zynisch, lässig und, wie sie sagt, ein „Showpferd“. Das toll aussieht. – Doch das ist mein männlicher Blick. Und mit dem hat sie’s. Mit der seit Ewigkeiten rigoros eingeübten männlichen Sichtweise auf alles, auf die ganze Welt. Das muss sich ändern. Selbstverständlich. Und daran arbeitet sie: Mit gerade 30 hat sie zwei Bestseller („Alte weiße Männer“, „Komplett Gänsehaut“). Im ZDFneo hat sie eine Talkshow („Neo Ragazzi“). Und einen Podcast hat sie natürlich auch („Sunset Club“).
Jetzt debütiert Sophie im BE mit „Pick me Girls“, dem neuen Produkt aus ihrer längst kultigen Schreibwerkstatt (bei Kiepenheuer & Witsch). Für neunzig Minuten furioses Stand-up-Entertainment auf großer Theaterbühne extra hergerichtet (Regie: Christina Tscharyiski).
Es ist eine funkelnde Selbstbespiegelung. Da geht‘s äußerst freimütig um erlebte, teils gar schmerzliche Fremdbestimmung schon von Kindheit an, vornehmlich durch Männer; aber eben nicht nur. Und um den Widerstand dagegen. Also Griff ins (Eigen-)Leben plus Reflexion, Anekdotisches plus Kommentar. Immer im spielerisch flotten Hin und Her. Mit kessem Charme und ätzendem Humor.
Schon als Baby sei sie zu dick ins Leben gerutscht; also nicht normgerecht für weibliche Wesen. So der Befund im Elternhaus, in der Schule, auf der Partyszene und Instagram. Da grub sich früh schon der fatale Wunsch ein: „Ich wär gern anders als ich bin.“ Denn wer die Norm bricht bezüglich Fettgewebe, Pflegeleichtigkeit, Anschmiegsamkeit, Glanz, Schick, Sexappeal und Lockerheit, der wird nicht gesehen. Dann ist man kein Pick me Girl, das aufgelesen und (mit)genommen wird von den Kerlen. Oder von sonst wem. Und wer will schon übrigbleiben?
Eine Kernfrage, die Passmann immer wieder listig durchbuchstabiert: Das Weibliche und das Menschliche. Immer wieder schaut sie vergleichsweise unorthodox über den feministischen Tellerrand: Einerseits erwehrt man sich feministisch regelkonform patriarchisch oktroyierter Rollenmodelle, Verhaltensmuster, Körperideale. Anderseits verführt man ganz gern auch alle Welt als Weib. Und das am besten so, wie man ist. Selbstbewusst!
Das Verführerische der Passmannschen Sicht auf die Geschlechter: Sie rennt mit Lust und gelegentlich heiligem Ernst – eben nicht in eine Einbahnstraße. Das rockt die Bude, das reißt die Girlies von den Sitzen. Da hat das BE seinen Blockbuster!
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Gorki: Aufgespießt – Populistisches von links und rechts
Am Bahnhof Zoo, unter Brücken oder Torbögen: Das Elend der Süchtigen und Obdachlosen – nur rasch vorbei sturen Blicks. Mit peinlich gemischtem Gefühl aus Naserümpfen, Verachtung und achselzuckendem Mitleid. Das Bürgerliche in uns trifft auf seinen Gegensatz draußen. Zwei Welten, und wir stehen dazwischen – was für ein dramatischer Stoff. Nora Abdel-Maksoud packt ihn – komödiantisch! – in ihrer Farce „Café Populaire“. 2018 fürs Zürcher Neumarkt-Theater gemacht, tourt sie seither durch die deutschsprachigen Länder. Jetzt hat sie, fürs Gorki, das Ping-Pong der entlarvend bösen Sottisen über die, die oben grinsend hocken, und die, die saufend unten liegen im Dreck, Berlinisch aufgemischt unter aufgedonnert neuem Titel „Café Populaire Royal“.
Da sind die Kulturaktivistin Svenja (Aysima Ergün), die als Bespaßungsclown im Mariendorfer Hospiz jobbt, und Dienstleistungsproletarier Aram (Amanda Babaei Vieira). Beide bewerben sich um den „Spatz“, Mariendorfs Edelkneipe für Knödel und Kleinkunst mit heiß begehrter Einliegerwohnung und alternativkulturell sozialem Konzept. So preist man denn gefallsüchtig dementsprechende Kompetenz.
Dabei kommt es zu bis ins Absurde getürmten Witzkaskaden über Gutmenschen-Spießer, Kulturbürger, Salonrevolutionäre, Prolls oder Unterschichten-Assis. Klar, da fallen genug provokante Stichworte zum Eingreifen für Oma Pippi (Cigdem Teke), altbolschewistische Hospizerin, sozialisiert in der Roten Zelle der FU-Germanistik.
Dem Trio gegenüber wiederum steht Don (Yanina Zeron), die interessante Figur einer „Abspaltung“ von Svenja. Sie schimpft: „Meine innere Arschlochstimme!“ Die nämlich kontert mit lustvollem Zynismus Svenjas behauptetes Gutmenschentum. Und obendrein all das „antidiskriminatorische“ Getue der Drei mit ihrer aufgesetzten Einfühlerei ins schlimme Dasein der Unterschicht. Hämisch trällert sie allem wohlfeilen Linkssein zum Trotz noch ein Lob der Gentrifizierung und des neoliberalen Fortschritts. So stellt die ätzende Arschlochstimme in uns allen jede Menge ideologische Phrasen bloß, kühlt hitzigen Wahn.
Soweit das nicht unkompliziert konstruierte kabarettistische Grundgerüst der spitzen Worte und durcheinander gewälzten Diskursbrocken ums Populistische von links bis rechts. Leider hatte Regisseur Nurkan Erpulat der Idee, die fürs Brettl (oder Studio) pässliche Chose auf große Bühne zu ziehen. Und den falschen Ehrgeiz, sie mit reichlich Klamauk und Trallala klamottig breitlatschen und in Leerstellen auslaufen zu lassen. Klar Gedachtes verschwimmt, Schärfe wird stumpf. Unübersichtlichkeit wuchert. Doch immerhin; als Rausschmeißer wird uns noch eine bissige Bemerkung an den Kopf geknallt: „Warum man hier so gut Witze über Arme machen kann? Weil sie sich die Karten eh nicht leisten können.“ – Oder wollen, könnte man hinzufügen.
Schlagwörter: Berliner Ensemble, Café Populaire, Gorki-Theater, Reinhard Wengierek, Sophie Passmann