28. Jahrgang | Nummer 1 | 13. Januar 2025

Ökologie als Kulturkampf

von Stephan Wohanka

Es steht schlecht um unsere Erde. Das wissen alle. Trotzdem tun wir nicht genug dagegen. Aber behaupte niemand, man debattierte hierzulande nicht über die Ökologie im Allgemeinen, den Klimawandel, das Artensterben, die Verschmutzung der Meere oder die Umweltfolgen neuer Technologien. Wer in Foren und Kanälen der Kritiker unterwegs ist, kann beispielsweise zu Letzterem lebhafte Diskussionen darüber verfolgen, wie umweltschädlich E-Autos und vor allem deren Batterien seien. Er bekommt Videos von Kindern zu Gesicht, die in afrikanischen Minen die dafür nötigen Rohstoffe schürfen. Ein kritisches Gutachten der Experten des Info-Instituts zweifelt generell die Ökobilanz der E-Mobilität an. Gut so; es ist richtig, bei der Einführung einer neuen Technologie über deren Nutzen oder Nachteil informiert zu sein. Wenn, ja wenn nicht mancher, der selbige besonders heftig attackiert, sich nie einen Deut darum scherte, ob nicht das Öl für seinen Diesel oder Benziner Tundren und Flüsse in Sibirien verseuchte oder das archaische Justizgebahren Saudi-Arabiens mitfinanzierte.

Umweltschutz gilt allzu oft als Sache der anderen: Sollen die Grünen erst ihre Urlaubsflüge streichen! Dieselfans ihre Stinker umtauschen! Sollen doch die Chinesen ihre Umwelt besser schützen (was sie schon in einem hohen Maße tun) oder die Amis kleinere Autos fahren! Insbesondere die Ober-Polarisierer der AfD und des BSW haben das begriffen. Umweltdebatten sind Teil einer Auseinandersetzung geworden, in der es mehr um politische Macht und kulturelle Deutungshoheit denn um Suche nach Lösungen geht.

Beim Schutz des Planeten sollten technischer und gesellschaftlicher Fortschritt und soziale Gerechtigkeit Hand in Hand gehen; es sind grundsätzlich politisch zu entscheidende und zu lösende Aufgaben. Diese mutierten jedoch zu kulturellen Konflikten und wurden zum Gegenstand eines Kulturkampfes! Kultur ist ein System von Haltungen, Werten und Kenntnissen, die innerhalb einer Gesellschaft weitgehend geteilt werden. Kultur fungiert als Medium, durch das Ideen und Ideologien weitergegeben und verankert werden. Diese Ideologiehaftigkeit der Kultur macht aus, dass in dieser hitzigen „kulturell-ökologischen“ Debatte schnell der Vorwurf erhoben wird, Umweltpolitik sei „ideologisch“. Er wird namentlich den Grünen gemacht; das „grüne Paradigma“ neige „zur Ideologisierung“.

Richtig ist: Spitzenpolitiker der Grünen – wie Robert Habeck – sind kommunikativ stark und argumentieren oft leidenschaftlich. Dieses engagierte Auftreten kann als missionarisch oder bevormundend wahrgenommen und missgedeutet werden. Auch die häufige Betonung von wissenschaftlichen Fakten und Studien wird als elitär oder belehrend angesehen. Während diese Haltung bei jüngeren und städtisch geprägten Wählerschichten ankommt, wirkt sie auf konservativere und ländlichere Gruppen oft als zu fordernd oder abgehoben. „Übereifer“ sei im Spiel; Menschen haben das Gefühl, dass mit den umfassenden und tiefgreifenden „grünen“ Veränderungsvorstellungen klassische Werte und Traditionen auf der Strecke blieben. Besonders bei Themen wie der Klimapolitik treten die Grünen mit Forderungen auf, die von vielen als (zu) radikal empfunden werden, wie Einschränkungen bei der Nutzung fossiler Energieträger, das Verbot von Verbrennungsmotoren, höhere Steuern auf CO2-intensive Produkte; alles politische Maßnahmen, die das individuelle Verhalten verändern sollen. Auch das „grüne“ Eintreten für eine liberale und weltoffene Gesellschaft, für die Rechte von Minderheiten, soziale Gerechtigkeit und Gleichberechtigung gefällt vielen nicht und befördert diesen Vorbehalt.

Der Ideologievorwurf zeitigt politische Wirkung. Die ökologische Bewegung und insbesondere die grüne Partei opfern in Teilen ihre Positionen und büßen ihr Profil bereitwillig ein, um jenen Anschuldigungen zu entkommen und sich und ihre Politik als pragmatisch, staatstragend, vernünftig – als unideologisch zu verteidigen. Das Hauptargument besteht darin zu sagen, sie handelten auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse, die ja tatsächlich in Hülle und Fülle zu ökologischen Themen und namentlich dem Klimawandel vorliegen. Bundesumweltministerin Steffi Lemke empörte sich dann auch, sie würde ihre politischen Anliegen „nie als grüne Ideologie bezeichnen“; Natur- und Umweltschutz hätten „nichts mit Ideologie zu tun“.

Widerspruch: Neben politischen Kosten dieser Strategie sowohl hinsichtlich der eigenen Wählerattraktivität als auch der Fähigkeit, die eigene Programmatik durchzusetzen, ist eine solche Position erkenntnis- sowie ideologietheoretisch schwer haltbar! Es ist wohl sicher, dass Wahrnehmen, Denken und Handeln nie vollständig von Ideologien losgelöst sein können, da Ideologie als Rahmen funktioniert, der unsere Wahrnehmung von Realität und unser Denken sowie die darauf fußende Tätigkeit strukturiert. Wenn jemand behauptet, „neutral“, „objektiv“ oder „pragmatisch“ zu sein, hieße das nichts anderes, als dass diese Behauptungen selbst ideologisch sind und nur bestimmte Werte und Sichtweisen betonen – eben Neutralität, Objektivität und Pragmatismus. Der stärkste Ausdruck von Ideologie liegt wohl in der Behauptung, außerhalb einer Ideologie zu stehen, zu denken und zu handeln.

Diese strikte Auslegung dessen was Ideologie sei, macht aus, dass die Grünen grundsätzlich ideologisch argumentieren; auch die unter ihnen, die meinen, auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse und Tatsachen Politik zu machen. Auch ihnen muss man sagen, dass sie „ideologisch“ vorgehen, denn was man für wissenschaftliche „Wahrheiten“ hält, ist durch Diskurse geformt, die gesellschaftliche Kontexte und Machtverhältnisse widerspiegeln, die die Wissenschaftsproduktion beeinflussen.

Aber auch die „unideologische“ politische Gegenseite der Grünen muss sich sagen lassen, dass sie desgleichen ideologisch argumentiert und handelt! Das ist – wie abgeleitet – „objektiv“ gar nicht anders möglich; wird aber bestritten. Und tritt selten so eklatant hervor wie im Juli 2022, als Habeck im thüringischen Schleusingen entgegengehalten wurde: „Wind und Sonne sind keine Freiheitstechnologien, sondern der Krieg gegen Umwelt und Landvolk“.

Moderat und vermeintlich „unideologisch“ klingt die umweltpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Anja Weisgerber: „Der Schutz der Umwelt ist Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung. Das heißt für uns: Die Sorgen der Menschen ernst nehmen und diese in einer konsequenten, aber pragmatischen Umweltpolitik berücksichtigen“. Hinter derartigen Verlautbarungen stehen materielle Interessen, die sich einer ambitionierten, gerechten und wirkungsvollen Klimapolitik bewusst in den Weg stellen. Der vermeintliche Pragmatismus versteckt ein „Weiter so“, der die Energiewende wenn nicht grundsätzlich torpediert, so doch verzögert, Deutschland in fossiler Abhängigkeit halten will und damit dem menschgemachten Klimawandel unverändert den Weg ebnet. Ohne hier weitere Beispiele zu häufen – die wachsende Diskursmacht von rechts (außen) gefährdet eine wirksame Ökologie- und Klimapolitik und setzt die Zukunft von Land und Demokratie gleichermaßen aufs Spiel.

Wenn schon alles politisches Handeln ideologisch ist, ist mir das Handeln auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse und Fakten das „liebere“! Es steht gegen „postfaktisches“ Erkennen, das populistisch imprägnierte Überzeugungen und Emotionen – „Gefühle“ – zunehmend gegen wissenschaftliche Fakten und rationale Argumente in Stellung bringt. Dies ist besonders sichtbar in Debatten um Themen wie Klimawandel, Impfungen und Pandemien. Die Herausforderung besteht darin, sich gegen diese Verzerrungen zu behaupten und gleichzeitig eine gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen, um in den öffentlichen Diskurs sachliche und fundierte Fakten einzuspeisen. Dazu bieten immer noch die Wissenschaft und ihre Erkenntnisse sowie Annahmen die beste Gewähr; sie bewirken nach menschlichem Ermessen dann doch etwas Positives im Kulturkampf pro und contra Umwelt- und Artenschutz, Ablösung der Karbonwirtschaft und dergleichen mehr!

Die Quintessenz des Ganzen: Die Grünen sollten ihre Position als ideologisch anerkennen, um so die konkurrierenden Auffassungen politischer Gegner gezielt als ebenso ideologisch brandmarken zu können. Mit anderen Worten – die ideelle Grundlage zu bereiten für eine ökologische Ideologiekritik an den konkurrierenden Ideologien, um letztlich wieder in die Vorhand bei der Durchsetzung einer ökologischen Politik zu kommen.