„Die deutsche Öffentlichkeit hat kein Interesse,
ein falsches Bild über die Theaterverhältnisse nach 1933
aus der Sicht eines Emigranten zu erhalten.“
Aus dem Urteil des Oberlandesgerichts Hamburg vom 9. Juni 1966
Es war ein Zufall, der Ariane Mnouchkine in einer Pariser Buchhandlung die französische Ausgabe von ,Mephisto’ in die Hand gab“ – so hebt das Vorwort von Berthold Spangenberg an, in dessen Verlag im Frühjahr 1980 die deutsche Übersetzung von Ariane Mnouchkines Stück erschien unter dem Titel „,Mephisto’ / geschrieben für das Theätre du Soleil / nach Klaus Mann: ,Mephisto, Roman einer Karriere’“. Diesem Zufall aber wird es zu verdanken sein, wenn jetzt – wofür alles spricht – die Akten über einen der größten literarischen Skandale der BRD geschlossen bleiben. Vergessen sollte man diesen Skandal allerdings nicht, weshalb hier seine Geschichte rekapituliert werden soll.
Der „Mephisto“ wurde 1936 vom Querido-Verlag, Amsterdam, herausgebracht. Im Juni des gleichen Jahres kündigt die eben gegründete „Pariser Tageszeitung“ seine Veröffentlichung in ihrem Feuilleton an. Telegraphisch gratuliert der Autor sich und der Redaktion zu diesem Entschluß, verwahrt sich aber zugleich entschieden dagegen, daß sein Werk in der Voranzeige als „Schlüsselroman“ über einen „heute in Deutschland erfolgreichen Schauspieler“ bezeichnet wird: „Mein Schmerz, mein Zorn, meine Entrüstung haben größere Gegenstände, als ein bestimmter Schauspieler es sein könnte, und sei er selbst zum Intendanten aufgestiegen … Nein, mein Mephisto ist nicht dieser oder jener, in ihm fließen vielerlei Züge zusammen. Es handelt sich um kein ,Porträt’, sondern um einen symbolischen Typus…“
Nun sind zweifellos allerhand „Züge“ des einst geliebten und bewunderten Freundes und ehemaligen Schwagers Gustaf Gründgens in die Figur des „Hendrik Höfgen“ eingegangen, nicht nur das „aasige Lächeln“ und die „Juwelenaugen“ – aber auch „Züge“ des Veit Harlan, eines anderen prominenten Karrieristen, hat mancher in ihm entdeckt. Im übrigen kommt kein ernstzunehmender Schriftsteller ohne Modelle aus, und so sind denn auch die „Anreger“ zu weiteren Personen der Handlung leicht zu identifizieren. Wem aber fällt dabei nicht die Beobachtungsgabe des väterlichen Vorbilds ein und die Unbefangenheit, mit der Thomas Mann von ihr Gebrauch machte!
Inzwischen – 1974, bei den Vorarbeiten zur Herausgabe der Korrespondenz von Klaus Mann – tauchte der endgültige Beweis dafür auf, daß das, was der Autor seinerzeit „feierlich zu erklären genötigt war, selbstverständlich dem wahren Sachverhalt entsprach: Ein Brief vom 15. 10. 1935, in dem Hermann Kesten, der Mann auf Stoffsuche wußte, vorschlug, „den Roman eines homosexuellen Karrieristen im dritten Reich“ zu schreiben, „und zwar schwebte mir die Figur des von Ihnen künstlerisch schon bedachten Herrn Staatsintendanten Gründgens vor“. (Damit spielte Kesten auf den Tänzer „Gregor Gregori“ in Klaus Manns 1932 erschienenem Zeitroman „Treffpunkt im Unendlichen“ an; dazu 1968 Werner Rieck in einem Beitrag zur Werkgeschichte von Klaus Manns „Mephisto“, Gregor Gregori und Hendrik Höfgen seien „beide die stilisierte Figur des einen Typs, der in seinem Drang zum Erfolg … zum ‚Affen der Macht’ und zum Clown zur Zerstreuung der Mörder… wurde“.) Hermann Kesten (81), auf jenen Brief aus der Amsterdamer Zeit angesprochen, gab zu, er habe „in der Tat das alles vergessen …“
Der „Mephisto“ wurde im Lauf der Jahre in 11 Sprachen übersetzt; nach der Befreiung vom Hitlerfaschismus erschien er auch in Österreich und erst recht in der DDR*. Die für die BRD bestimmte Herausgabe unterblieb, weil der Westberliner Verleger Jacobi nach Bayern übergesiedelt war! Aus seinem Absagebrief an den Autor unterm Datum vom 5. Mai 1949: „Von hier aus aber kann man schlecht den ‚Mephisto’ starten, denn Herr Gründgens spielt hier eine bereits sehr bedeutende Rolle … Von Berlin (West – d. R.) aus hätte man so etwas leichter starten können; im Westen ist diese Aktion aber keinesfalls einfach.“
Aus Klaus Manns Antwortbrief, geschrieben am 12. Mai 1949, also neun Tage vor seinem Tod: „Das heiße ich mir Logik! Und Zivilcourage! Und Vertragstreue! – Ich weiß nicht, was mich mehr frappiert: die Niedrigkeit Ihrer Gesinnung oder die Naivität, mit der Sie diese zugeben. Gründgens hat Erfolg, warum sollten Sie da ein Buch herausbringen, das gegen ihn gerichtet scheinen könnte? Nur nichts riskieren! Immer mit der Macht! Mit dem Strom schwimmen! Man weiß ja, wohin es führt: zu eben jenen Konzentrationslagern, von denen man nachher nichts gewußt haben will … Bitte schreiben Sie mir nicht mehr.“
Diesen Brief, so teilt Berthold Spangenberg mit, habe Ariane Mnouchkine „zum Ausgangspunkt ihrer dramatischen Bearbeitung des Klaus Mannschen Mephistostoffes“ gemacht. 1980 trat ihre Truppe damit auch auf dem Theater-Festival in München auf, und aus eben diesem Anlaß erschien auch deren deutsche Übersetzung von Lorenz Knauer.
Es ist klar, daß diese Bühnenfassung des „Mephisto“, 44 Jahre nach seinem Erscheinen, keine bloße Dramatisierung des Romans sein kann. Ein halbes Jahrhundert politischer Erfahrung und stilistischen Wandels sind einbezogen. Zentrale Figur ist nicht der Karrierist, sondern sein Gegenspieler „Otto Ulrich“ (der Widerstandskämpfer Hans Otto). Abweichend vom Roman heißt hier das Thema: Wie hat es dahin kommen können? So endet das Schauspiel, in dem Kabarettistisches, Clowneskes und Genreszenen kunstvoll miteinander verflochten sind, auch bereits 1933. Es folgen die Projektionen von Bildern aus einem KZ und der Namen der Persönlichkeiten, denen das Stück gewidmet ist.
Doch zurück zum eigentlichen Thema. In der BRD hatte, nach Spangenbergs Informationen, Gründgens tatsächlich „einiges unternommen, um drei oder vier Verlage an der Herausgabe des Romans zu hindern“. 1963 starb dann auch er, und in der Werkausgabe von Klaus Mann, die Spangenbergs „Nymphenburger Verlagshandlung“ damals vorbereitete, war natürlich auch der „Mephisto“ vorgesehen. Zwar erhob Peter Gorski, Gründgens Adoptivsohn und Alleinerbe, Einspruch dagegen, doch nachdem seine Klage mit Urteil vom 25. August 1965 vom Landgericht Hamburg abgewiesen worden war, brachte der Verlag den Roman in einer Auflage von 10 00 Exemplaren heraus.
Da ging Gorski in die nächste Instanz, um eine Einstweilige Verfügung gegen den Vertrieb zu erwirken. Hier, beim Oberlandesgericht, befand man, bis zur Entscheidung im Hauptprozeß könne das Buch ausgeliefert werden, vorausgesetzt, daß man es mit einem Vorwort versehe, dessen Text das Gericht mitbestimme. Nolens volens fügte sich der Verlag dieser Auflage, und auch besagtes Vorwort zitiert die Versicherung des Autors: „Alle Personen dieses Buches stellen Typen dar, nicht Porträts.“ Trotzdem untersagte das gleiche Oberlandesgericht am 9. Juni 1966 die weitere Verbreitung des Romans, und auch der Bundesgerichtshof machte sich dann die Argumentation des Klägers, daß der „Mephisto“ eine „Schmähschrift in Romanform“ sei, zu eigen, denn in der Revision bestätigte er am 10. März 1968 das Verbot. Damit waren die zivilrechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft; es blieb nur noch die Verfassungsbeschwerde. Auch sie erbrachte keinen Erfolg. Von den sechs mit ihr betrauten Verfassungsrichtern hielten drei sie für begründet, drei für unbegründet. Bei Stimmengleichheit gilt aber eine Beschwerde als zurückgewiesen.
Am 14. Juli 1971 – einen Tag nach der schriftlichen Ausfertigung dieses Gerichtsbescheids – referiert die „Rhein-Neckar-Zeitung“ über ein Gespräch ihres Mitarbeiters Gerhard Becker mit Berthold Spangenberg. Es heißt da: „Der Verleger hat … diesen ganzen Prozeß von vornherein politisch betrachtet. Die Entscheidung des Verfassungsgerichts ist ihm symptomatisch für die Lage der Bundesrepublik auf dem schmalen Grat zwischen Reaktion und Fortschritt …“ Wie denn auch nicht! Deshalb hatten auch – das stimmt ebenfalls – die noch jungen Richter der Ersten Instanz als einzige „die Chance“, als Nichtbetroffene zu urteilen. Die meisten ihrer Kollegen an den höheren Instanzen hätten sich rechtens für befangen erklären müssen. Als Angehörige der Filbinger-Generation waren sie, wenn nichts Schlimmeres, zum mindesten Opportunisten im Dienst der Hitlerdiktatur gewesen, und auch ihre Maxime ist es, daß, was damals Recht war, auch heute Recht bleiben muß. In seinem „symbolischen Typ“ hat Klaus Mann sie alle zutiefst beleidigt, was also soll ihnen das Finassieren über den Unterschied zwischen der Wirklichkeit und deren künstlerischem Abbild! In den Orkus damit!
Es sah ganz so aus, als hätten sie es geschafft. Fast 10 Jahre lang blieb es still um den „Roman einer Karriere“ – bis dann eben Ariane Mnouchkine „auf Gastspiel zu den Hunnen“ (Karl Kraus) kam. Kurz danach schon gab es in manchen bundesdeutschen Buchhandlungen einen offenbar in Frankreich produzierten Raubdruck des Original-Romans zu kaufen, ohne daß die Justizbehörden auf dieses sozusagen doppelte Vergehen nennenswert reagierten. (Man ließ das „Verfahren gegen Unbekannt“ im Sande verlaufen.) Dieses Verhalten der Justiz rief Rowohlt auf den Plan, der bereits 1966 die Lizenz für eine Taschenbuchausgabe des „Mephisto“ erworben hat. In Übereinstimmung mit dem Original-Verleger Spangenberg, im übrigen aber klammheimlich und unter Verzicht auf den sonst unentbehrlich erscheinenden Propagandaapparat, bereitete man die rororo-Ausgabe vor. Da nunmehr auch die deutschsprachigen Aufführungen der Mnouchkine-Bühnenfassung ins Haus standen – in Stuttgart und Freiburg haben sie bereits stattgefunden, andernorts stehen sie bevor –, glaubte man eine Auflage von 30 000 Exemplaren riskieren zu können. Das war zu Beginn des Jahres. Inzwischen ist das 250. Tausend überschritten. 32 Jahre nach dem Tod seines Autors ist der „Mephisto“ zu einem „Knüller“, zu einem „Bestseller“ geworden. Von einem Verbot kann nun nicht mehr die Rede sein.
Weltbühne, 11/1981. Die Schreibweise des Originals wurde beibehalten.
* – Die DDR-Erstausgabe erschien 1956.
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Schlagwörter: BRD, DDR, Gustaf Gründgens, Klaus Mann, Max Pechstein, Mephisto