Die Winterzeit war mit langen, oft sehr kalten Nächten, kurzen Tagen mit früh einbrechender Dunkelheit sowie ohne moderne Beleuchtung und Heizung durchaus strapaziös für Mensch und Tier.
Die Beleuchtung bestand zumeist aus Kienstengeln oder Talgkerzen (teure Wachslichter konnten sich selbst begüterte Familien nur zu besonderen Anlässen leisten), später kamen die um eine Halterung gewickelten dünnen Kerzen (Wachsstöcke) sowie Rüben- und Tranöl als Brenn- bzw. Leuchtstoffe hinzu, ehe ab den 1820er Jahren erschwingliche Kerzen und nach 1850/60 Gas- oder Petroleumbeleuchtung Einzug fanden. Wärme spendete anfangs nur das offene Herdfeuer, später der von der Küche aus befeuerte Ofen („Bilegger“) im einzigen beheizbaren Raum, der „Döns“. Beim Essen beziehungsweise Füttern war man auf das angewiesen, was man rechtzeitig und ausreichend eingelagert hatte.
Alle mit der Weihnachtszeit verbundenen Bräuche, selbst die notwendigen Besorgungen und Vorbereitungen stellten willkommene Ablenkungen von diesen schwierigen Bedingungen dar.
Ein Weihnachtsbaum existierte zunächst nicht, man stellte lediglich Obstbaumzweige ins Wasser, die zu Weihnachten Blüten bekamen, was Glück und Gesundheit bedeuten sollte. Generell soll das Weihnachtsfest im 19. Jahrhundert viel „blütenreicher“ als heute gewesen sein. Selbst künstliche und Strohblumen sowie immergrüne Pflanzen wurden zur Ausschmückung verwendet. Es folgten Deckengehänge in Form von Stroh- oder Drahtkronen, die mit Buchs und Tannengrün oder buntem Papier umwunden und mit Bändern, Wachskerzen und Flitterfolie geschmückt waren. Auch der auf Hiddensee als Weihnachtsbaumersatz dienende Bügelbaum, ein Holzgestell mit Drahtringen, mit grünen Zweigen umwickelt und geschmückt, wurde auf Rügen genutzt.
Günter Käning berichtet, dass auf Wittow erst zwischen 1870 und 1890 mit Aufforstungen begonnen wurde und etwa ab 1890 größere Mengen an Jungweihnachtsbäumen anfielen, die von den Wieker Schuljungen vom Waldwärter übernommen und für 5 Pfennige das Stück verkauft wurden. Bis dahin waren Weihnachtsbäume für die meisten Wittower unerschwinglich, weil sie von weither geholt werden mussten. Nur in der Altenkirchener und Wieker Kirche wurden große Weihnachtsbäume aufgestellt, die mit dem Dampfer vom Darßer Wald gebracht wurden.
Mindestens ab 1840 wird in Verordnungen und Zeitungen vermehrt von Baumdiebstählen berichtet. So wurde in einem Schreiben vom 20. Dezember 1842 in Stralsund vom Verdacht des Holzdiebstahls durch Schiffer berichtet und festgestellt, dass „eine Menge Knaben und ehrsamste Leute die abgebrochenen Tannen und Fichten und Kiefern zu Weihnachtsbäumen feilbieten“. Gar nicht so selten sollen auch die Rüganer „ihre“ Weihnachtsbäume aus den Forsten entwendet haben, teilweise sogar für den illegalen Weiterverkauf. Nicht umsonst forderte eine Polizeivorschrift, dass sich derjenige, der Weihnachtsbäume in Ortschaften transportierte, „bei Aufforderung der Polizei-, Forst- und Steuerbeamten durch eine ausreichende Bescheinigung der Polizeibehörde seines Wohnortes oder des Waldeigentümers über den redlichen Erwerb dieser Hölzer auszuweisen (hat)“.
Das Schmücken des Baumes mit Lichtern, Nüssen, Äpfeln, Girlanden mit Rosinen („Rosinenboom“) und Mandeln, verschiedenem Back- und Naschwerk, Papier- oder aus Teig geformtem Figuren, Püppchen, Flitter aus Blattgoldabfall und „Silber“-Schmuck aus gewalztem Zinnblech erfolgte meist am Heiligabend. Erst am Morgen danach wurden auf Mönchgut die Lichter auf dem Tannenbaum angezündet. Hatte der Baum seine Schuldigkeit getan, sollte er laut einer Warnung des Rügenschen Kreis- und Anzeigenblatts im Dezember 1905 nicht etwa im Ofen verbrannt werden. Das sei wegen der entstehenden Gase „eine sehr gefährliche Sache“, denn diese könnten denselben auseinandertreiben. Solche Ofenexplosionen seien alljährlich ziemlich häufig und mancher wundere sich über deren Ursache. Eine anrührende, noch heute zum Beispiel an der Schaabe gepflegte Tradition wohl aus dem 17. Jahrhundert stellen mit Futter und anderen Dingen geschmückte Tannenbäume für die Tiere im Wald dar.
Eine Bescherung im heutigen Sinne gab es zunächst nicht. Familienangehörige oder Nachbarn warfen anfangs einzelne in Stroh, später in Papier eingewickelte Geschenke mit den Worten „Hu Julklapp“ durch die Tür und versuchten rasch unerkannt zu entkommen. Der so Beschenkte wickelte die Gabe aus, meist erschien ein neues Paket mit dem Namen eines Nachbarn. Nun war es am Beschenkten, das Paket bei diesem einzuwerfen. Der letzte Adressat sah sich oft mit seltsamen oder unangenehmen Dingen konfrontiert. Die Kinder wurden ursprünglich nicht am Heiligabend oder am ersten Weihnachtstag, sondern am 6. Dezember beschenkt. Die Erwachsenen bedachten sich Neujahr mit kleinen Geschenken. Erst ab dem ausgehenden Mittelalter setzte sich Weihnachten als Gabentag durch. Der eigentliche Geschenkebringer war auf Rügen noch im späten 19. Jahrhundert der „Heilige Christ“; zunehmend gewann aber der Weihnachtsmann als Gabengeber die Oberhand.
Natürlich gab es am Heiligabend auch ein Festessen, was sich freilich von den heute verbreiteten Weihnachtsessen teilweise deutlich unterschied. Auf Mönchgut bestand das Festessen am ersten Weihnachtstag aus Schweinebraten mit Reis und Backpflaumen, im übrigen Rügen laut Alfred Haas aus zusammengenähten und mit Äpfeln und Gewürzen gefüllten gebratenen Schweinsrippen, geräuchertem Schweinskopf oder Schweinekamm („Genicksbraden“) mit Grünkohl oder Lungenwürsten. Beim städtischen Bürgertum, dem Adel und in reichen Pfarrersfamilien war das Festessen „natürlich“ anspruchsvoller gestaltet.
Schon zum Ende des Mittelalters wurden zur Weihnachtszeit Süßigkeiten vor allem an die Kinder verschenkt. Die Bäcker, Konditoren und Krämer der pommerschen Städte und Rügens annoncierten ausführlich zu den von ihnen hergestellten beziehungsweise aus Hamburg und Königsberg (Marzipan), Berlin (Bonbons), Nürnberg (Pfefferkuchen) oder gar Frankreich (Zuckerwaren, Konfitüren), England (mit Zimt und Ingwer gewürzte Plätzchen), Griechenland und Italien (Mandeln) bezogenen Backwaren, Süßigkeiten und Backzutaten. Auf Rügen mussten sich die Kinder mit bescheideneren Back- und Süßwaren begnügen, die jedoch nicht weniger begehrt waren. Beliebt war das so genannte „Weihnachtsgebildebrot“ aus mit Sirup gesüßtem Semmelteig, der mit Ausstechformen zu tierischen und menschlichen Figuren mit Rosinenaugen geformt wurde. Hinzu kamen die meist selbst gesammelten Nüsse.
Den heute in vorweihnachtlicher Zeit üblichen Konsumstress gab es schon vor mehr als 100 Jahren auch auf Rügen. Der so genannte „Goldene Sonntag“, der verkaufsoffene Sonntag am vierten Advent, „brachte nun in die Geschäftsläden […] etwas mehr Leben als sonst üblich und mit Paketen versehen sah man die Käufer allenthalben aus den Läden treten“ – schrieb im Dezember 1903 das Rügensche Kreis- und Anzeigenblatt.
Den Umsatz versuchten die Händler unter anderem mit Rabatten anzukurbeln. Ernst Gaede aus Putbus, der sein Geschäft in der Alleestraße neben dem Theater hatte, warb mit einem Rabattkalender, den die Ostsee-Zeitung vom 19. Dezember 2007 wie folgt beschrieb: Für 15 Pfennige bot der geschickte Kaufmann seinen Kunden das Produkt an, das auf der Rückseite 365 Tageszettel mit Rabattangeboten zierte. Bei einem Bareinkauf von 5 Mark erhielt der Käufer 20 Pfennige Rabatt. Sehr schön, wenn man das nötige Kleingeld hatte, denn um die 73 Mark Gesamtrabatt zu bekommen, musste man 1.825 Mark im Jahr im Geschäft ausgeben. In der Stralsundischen Zeitung vom 5. Dezember 1895 sah sich der „Verein gegen Unwesen in Handel und Gewerbe“ gezwungen, vor auffallend billiger Ware zu warnen, „die auch gewöhnlich auffallend schlecht ist“.
Unbekannte Versandgeschäfte und Geschäfte, „welche sich durch aufdringliche Reklame auszeichnen“ sollten unbedingt gemieden werden. Bereits 1890 hatte ein anonym gebliebener Einsender in der Stralsundischen Zeitung vom 14. Dezember vor Werbeslogans wie „zu Einkaufspreisen“, „unter dem Selbstkostenpreis“, „Auflösung des Geschäfts“ oder „Ausverkauf“ dringend gewarnt. 1908 machte sich das Rügensche Kreis- und Anzeigenblatt für die regionalen Händler stark: Jeder wolle den Seinen durch eine Weihnachtsgabe eine Freude bereiten. Hierzu böten mancherlei Weihnachtsausstellungen reichlich Gelegenheit, und es dürfte Ehrensache sein, seine Weihnachtseinkäufe möglichst am Orte zu bewerkstelligen. „Haben doch beispielsweise unsere Geschäftsleute hier am Orte [Altenkirchen – D.N.] für reiche Auswahl Sorge getragen, und sowohl für die Großen als auch für die Kleinen allerliebste Gebrauchs- und Luxusgegenstände ausgestellt.“
Nicht wenige Rüganer, Arme, Witwen, Kinder und Waisen, waren stattdessen auf milde Gaben und die Unterstützung durch verschiedene Vereine angewiesen. Für mehr als 300 von ihnen gab es 1908 eine Weihnachtsbescherung durch das fürstliche Paar im Schloss zu Putbus, über die das Rügensche Kreis- und Anzeigenblatt berichtete. Nach der Bewirtung mit Punsch, Kaffee und Kuchen erfolgte die Verteilung der Gaben. Diese bestanden aus warmen Unterzeugen, praktischen Kleiderröcken und ähnlichem. Den Kindern wurden noch Bilder- und Geschichtenbücher, Schreibmaterialien und für jedes eine Tüte mit Weihnachtssüßigkeiten beigefügt.
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