Zwei Schriftsteller auf Reisen

von Mathias Iven

Anfang der Zwanzigerjahre lebte der britische Autor Aldous Huxley mit seiner Familie für einige Jahre in Italien. Während dieser Zeit reiste er viel im Land umher – und er schrieb darüber. Erstmals liegt jetzt in deutscher Übersetzung sein 1925 veröffentlichtes Buch „Along the Road. Notes and Essays of a Tourist“ vor, das uns einiges über die von ihm besuchten Orte verrät. So führt uns Huxley unter anderem in das nahe Florenz gelegene Kloster von Montesenario, er zeigt uns die kleine Renaissancestadt Sabbioneta und wir erfahren Interessantes über den zwei Mal jährlich stattfindenden Palio di Siena, eines der härtesten Pferderennen der Welt. An der einen oder anderen Stelle weist Huxley zudem auf außergewöhnliche Kunstwerke hin. Im Kloster von Subiaco, „das im hinterletzten Winkel hinter Tivoli liegt“, entdeckt er „eine Reihe von Fresken eines Meisters aus dem 13. Jahrhundert namens Conxolus […], von dem nichts weiter bekannt ist, als dass er diese Werke geschaffen hat.“ Und in Sansepolcro stößt er im Palazzo dei Conservatori auf das seiner Meinung nach „beste Bild der Welt“: die Mitte des 15. Jahrhunderts entstandene „Auferstehung Christi“, gemalt von Piero della Francesca.

Noch spannender als seine Ortsbeschreibungen lesen sich allerdings Huxleys Gedanken über das Reisen an sich, eingeleitet durch die Frage: „Warum nicht lieber zu Hause bleiben?“ Touristen sind für ihn „im Allgemeinen ein recht trübseliger Haufen“, und man kann sich zu Recht fragen, warum sie verreisen. Huxley kennt die Antwort: „In Wahrheit reisen die wenigsten Reisenden gern.“ Eher tun sie das, „weil es die bessere Gesellschaft tut. Es gehört dazu, an bestimmten Orten auf der weiten Welt gewesen zu sein, und war man einmal dort, ist man allen überlegen, die nicht dort waren.“ Für Huxley selbst war das Reisen „ein reines Laster“. Seine Erkenntnis lautete: „Die Versuchung, mich im Reisen zu verlieren, ist für mich ähnlich unwiderstehlich wie alles verschlingend, quer durcheinander und ohne Ziel und Zweck zu lesen.“

Um auf alle Eventualitäten eingestellt zu sein, bedarf es der Vorbereitung, am besten mit Hilfe eines Reiseführers. Da jedoch mahnt Huxley: „Wer als Reisender seinem eigenen Urteil vertraut, wird als Reiseführer nur das Buch nützlich finden, das er selber geschrieben hat. Alle anderen treiben ihn zur Verzweiflung.“ Sollte man, so wie Huxley, Brillenträger sein, so empfiehlt es sich zum einen, immer den entsprechenden Ersatz mitzuführen; zum anderen sollte man auch die Sonnenbrillen nicht vergessen. „Sie beruhigen nicht nur die Augen, sondern verschönern auch die Landschaft.“ Und noch ein Wort zum Reisegepäck. „Alle Touristen pflegen eine Illusion, von der sie auch noch so viel gegenteilige Erfahrung nicht abbringen kann, sie glauben, dass sie auf ihrer Reise Zeit finden würden, ganz viel zu lesen.“ Packen sie, rät er, lediglich einen schmalen Band Maximen ein. „In einer Minute sind sie gelesen und liefern genug Stoff für stundenlanges Nachdenken.“

Lassen wir Huxleys Meinung einmal außer Acht. Die Empfehlung hier lautet: Dieses Buch gehört unbedingt ins Gepäck für die nächste Italienreise.

Aldous Huxley: Along the Road. Aufzeichnungen eines Reisenden. Aus dem Englischen und mit einem Nachwort versehen von Willi Winkler, Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2024, 288 Seiten, 25,00 Euro.

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Die Namen der Orte klingen teils vertraut und dennoch exotisch: Beirut, Homs, Palmyra, Deïr-Ez-Zor, Bseïra, Mayâdïne, Hassetché, Aâmoȗda. Eine, die sich in diesen Gegenden gut auskannte, war Agatha Christie. In zweiter Ehe hatte sie im September 1930 den 14 Jahre jüngeren Archäologen Max Mallowan geheiratet, den sie mehrmals auf Expeditionen begleitete und an dessen Seite sie etliche Jahre in Syrien und im Irak verbrachte. Vieles von dem, was sie während dieser Zeit erlebte, beeinflusste ihr schriftstellerisches Werk. Fand sie doch neben der täglichen Arbeit an den Grabungsorten und der Begutachtung der zutage geförderten archäologischen Funde immer wieder Zeit, „mit Feuereifer die blutigen Einzelheiten eines Mordes in die Maschine“ zu tippen. So entstanden ganz nebenher vor Ort angesiedelte Kriminalromane wie Mord im Orient-Express (1934), Mord in Mesopotamien (1936) und Tod auf dem Nil (1937). Zudem fing Christie die Atmosphäre in zahlreichen Fotografien ein, und – was kaum bekannt sein dürfte – sie drehte 1938 zwei Filme, die nicht nur zu den frühesten privaten Farbfilmen überhaupt gehören, sondern die auf humorvolle Weise einen einzigartigen Einblick in den Grabungsalltag geben.

Natürlich interessierten sich Christies Leserinnen und Leser für deren seit 1920 im Jahresrhythmus erscheinende Krimis, aber sie hatten auch andere Fragen: „Ach, Sie graben in Syrien? Erzählen Sie doch. Wie leben Sie dort, in einem Zelt?“ Eine umfassende Antwort sollten ihre Fans erst 1946 erhalten. Mit Come, Tell Me How You Live (in der aktuellen deutschen Neuauflage unter dem Titel Reise in ein fernes Land) legte sie allerdings, wie es im Vorwort hieß, „kein tiefschürfendes Buch“ vor. „Es vermittelt keine aufregenden Einsichten in die Archäologie, es fehlen auch wunderschöne Landschaftsbeschreibungen, die Lösung der ökonomischen und gesellschaftlichen Probleme sowie ein historischer Abriss. Genau besehen ist es ein Leichtgewicht, dieses Büchlein, es erzählt vom alltäglichen Leben und Treiben.“ Denn der „echte Ausgräber“, wie ihn Christie verstand, interessiert sich „vorzugsweise für das tägliche Leben – für den Töpfer, den Bauern, den geschickten Siegel- und Amulettschneider, kurz und gut für Schuster, Schneider, Leinenweber – Doktor, Kaufmann, Totengräber“.

Und sie hat Recht behalten. Gerade diese Herangehensweise macht den besonderen Reiz des Buches aus. Hinzu kommt eine Offenherzigkeit, die berührt. Da haben wir zum einen die Zweifelnde, die abends vor dem Zelt sitzt und sich im Stillen beklagt: „Von morgens bis abends habe ich keine Ruhe, da sich ganze Fliegenschwärme auf mir niederlassen. Bitter bereue ich meine Teilnahme an dieser Expedition und verschweige das nur mühsam.“ Zum anderen spricht aus jeder Zeile eine tiefe Verbundenheit mit dieser für sie so ganz anderen Kultur: „Ich liebe dieses sanfte, fruchtbare Land und seine einfachen Bewohner, die zu lachen verstehen und das Leben genießen können, die mit Fröhlichkeit faul sind, Würde, Stil und gewaltig viel Humor besitzen und die den Tod nicht fürchten.“ Und schließlich gibt es die Vorfreude: „Wie schön, England wiederzusehen, das grüne Gras, die großen Bäume und die Freunde. Wie schön aber auch, im nächsten Jahr erneut hierherzukommen.“

Folgen wir also der Lady of Crime in den Orient …

Agatha Christie: Reise in ein fernes Land. Aus dem Englischen von Claudia Mertz-Rychner, Atlantik im Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2024, 283 Seiten, 24,00 Euro.