Einfache Haus- und Reiseapotheken waren bereits im Mittelalter bekannt, in größerem Umfang kamen sie ab dem 17. und beginnenden 18. Jahrhundert zum Einsatz. Einer der Gründe war, dass noch im 18. Jahrhundert nur größere Ortschaften eine Apotheke besaßen. Aber selbst dann, wenn dies der Fall war, konnte ein Reisender oder der zu einem Patienten gerufene „landfahrende“ Arzt nicht davon ausgehen, die speziell von ihm benötigten Mittel zu erhalten. Die Reiseapotheke für den Arzt beinhaltete deshalb die für die gängigsten Krankheiten nötigen Medikamente und Instrumentarien.
Parallel dazu erschienen Bücher, die Anleitungen zu Aufbau, Inhalt und zweckmäßiger Verwendung derartiger Reiseapotheken gaben. Anfangs beinhalteten sie auch Hinweise zur Selbstherstellung von Medikamenten, weil es noch einige Zeit dauerte, bis Medikamente mit standardisierten Wirkungen auf den Markt kamen. Beispiele derartiger Bücher waren „Pharmacopoea extemporanea oder Handbuch für selbstdispensirende Ärzte am Krankenbett“ von Dr. Johann Balthasar Wollkopf (1811 bei Johann Ambrosius Barth in Leipzig erschienen) und „Hufeland´s Haus- und Reiseapotheke“, empfohlen von der Stralsundischen Zeitung vom 5. Oktober 1835. Der 189 Seiten umfassende Ratgeber war für 15 Silbergroschen unter anderem in der Löfflerschen Buchhandlung in Stralsund, in Greifswald bei L. Bamberg und in der F. H. Morin´schen Buchhandlung Léon Saunier in Stettin erhältlich. Mit Hilfe dieser Bücher sollte man „auf dem Lande, wo keine Apotheke in der Nähe ist […] mit dem Allernothdürftigsten bekannt und versehen sein, um Hilfe zu leisten und sich selbst Hilfe schaffen zu können“.
Größe, Ausstattung und Inhalt der mobilen Apotheken für den Reisenden richteten sich nach dessen Reiseziel, Reisedauer, Reisestil und Finanzkraft. Es versteht sich, dass weltliche und geistliche Würdenträger, begüterte Kaufleute und andere Luxus- und Bildungsreisende, die mit der Kutsche und oft auch in Begleitung eines Arztes unterwegs waren, andere Anforderungen an ihre Reiseapotheken stellten, als der weniger betuchte, zu Fuß Reisende. Die Palette der früheren Reiseapotheken reicht deshalb von kostbar ausgeführten und luxuriös ausgestatteten „Medicinkästen“ mit teilweise über hundert verschiedenen Ingredienzen und Hilfsmitteln, bis hin zu schmucklosen, leichten und wenig Raum einnehmenden Behältnissen, die nur die nötigsten Arzneien enthielten, um kleinere Beschwerden auf Reisen selbst behandeln zu können. Etwa ab 1900 gab es Taschenapotheken, die kleiner waren als ein Brillenetui. Genannt werden zum Beispiel die Taschenapotheken „Gloria“ der Firma Hartmann mit einem kleinen Arzneisortiment, oder „Unentbehrlich“ von Edmund Biehler, „Verbandstoff-Fabrik“, Chemnitz. Das 15 x 9 x 2 cm große Behältnis aus Pappe und Textil beinhaltete englisches Pflaster, Mull-Binde, Nähzeug, Vaseline, Vulnoplast und blutstillende Watte.
Auch für den einfachen Reisenden gab es Ratgeber zur Anwendung und gegebenenfalls Selbstherstellung von Medikamenten. Ein Beispiel ist die 270 Seiten umfassende „Neue Haus- und Reise-Apotheke, oder medicinisches Noth- und Hülfsbüchlein […]. Für Oekonomen, Gutsbesitzer, Dorfprediger, Landleute und Reisende“ von Gottfried Wilhelm Becker, 1803 in Leipzig erschienen. Allerdings wird das Buch im zweiten Heft von „Neue allgemeine deutsche Bibliothek. Des LXXXIII. Bandes Erstes Stück“ (1803 bei Friedrich Nicolai in Berlin und Stettin erschienen) völlig verrissen: Es hätte „billig ungedruckt bleiben“ können. Vor allem der „aufgewärmte diätetische Kohl von Hausmitteln“ wird heftig kritisiert, zumal der Verfasser nicht annehmen könne, dass der Reisende das umfangreiche Buch mit sich führen würde. „Wir wünschen, daß der Verf. sein Pfund besser anlegen möge, als zu solcher Papierverderberey!“
Dr. med. F. Bernhart empfahl in der Sonntagsbeilage der Stralsundischen Zeitung vom 1. Juli 1905 („Wie man hygienisch reist“) für die Reiseapotheke: Aseptische Verbandgage, um bei Unfällen Hilfe leisten zu können, Baldriantinktur zur Bekämpfung von Schwächezuständen, elastischen Gurt (zweckmäßig elastische Hosenträger) zur ersten Blutstillung, Hirschtalg zum Einreiben der Füße beim Wundgehen, Lanolin oder Borsalbe zur Behandlung wunder Körperstellen oder kleinerer Verletzungen, Mullbinde, Opium, am besten in der modernen Tablettenform, Watte, Zink- oder Salizylpulver um Wundlaufen zu verhüten.
Das Stralsunder Tageblatt vom 16. Mai 1912 befasste sich in einer Beilage unter dem Titel „Die Reiseapotheke“ mit den Mitteln, die man in der warmen Jahreszeit bei größeren Fuß- oder Radpartien mit sich führen sollte: Kalter Kaffee und Wasser, mit Zucker gesüßt und mit gepulverter Zitronensäure oder Essigsäure versehen, wären die besten Mittel gegen Durst. Eine Lage Fließpapier zwischen Strumpf und Fußsohle und Salizylpräparate in Pulver-oder Salbenform könnten die Folgen von Schweißbildung lindern. Baldriantropfen würden bei Schwächezuständen belebend auf das Herz wirken, wobei einige Tropfen ätherischer Baldriantinktur auf Zucker ausreichend wären. Weiter empfiehlt die Zeitung Verbandsstoff (Gaze) und einige Sicherheits- oder englische Nadeln, eine einzige Binde (Mullbinde, Kambrikbinde) als ersten sauberen Verband bei Verletzungen irgendwelcher Art, Oel oder Vaseline zum Einreiben ermüdeter Beine.
Solange Rügen nur auf dem Seeweg erreicht oder verlassen werden konnte, gaben historische Reiseführer Empfehlungen, wie man die Wirkungen der Seekrankheit mildern konnte. Die Ratschläge wichen teilweise gravierend voneinander ab, zum Beispiel was die günstigste Lage an Bord betraf, oder ob man etwas essen und trinken oder besser nüchtern bleiben sollte. Für den Brockhaus von 1886 war allerdings klar, dass die früher gegen die Seekrankheit empfohlenen „Spezifica“ (alkoholische Getränke, Chloralhydrat, Cocain, Opiate und andere) sich sämtlich als nutzlos erwiesen hätten. 1914 wurde im Reiseführer von Richter Nautilin, „eines der photo-dynamischen Heilmittel aus dem Dr. Ritterschen Laboratorium, München“ gegen die Seekrankheit empfohlen. Allerdings hieß es vorsichtshalber: „Verbürgen kann sich für den Erfolg niemand …“ 1931 nannte der Reiseführer von Meyer als Mittel gegen die Seekrankheit die Medikamente Thalassan und Vasano von der Firma Scheering. In einem Fahrplan der Ostseebäderlinien von 1932 hieß es: „VASANO MACHT SEEFEST. Das Mittel gegen See-, Luft- und Eisenbahn-Krankheit ist in allen Apotheken erhältlich“. Es musste zwei Stunden vor Reiseantritt genommen werden. Der Reiseführer von Grieben vermerkte 1935 lakonisch, es gäbe verschiedene bewährte Mittel gegen Seekrankheit, die den meisten, doch nicht allen Menschen helfen. Der legendäre Leuchtturmwärter am Kap Arkona, Schilling, mischte ein Mittelchen gegen die Übelkeit bei Seefahrten und beschrieb es in seinem 1855 erschienen Kochbuch: „Man nehme 2 Unzen rohes Opium, 2 Drachmen Bilsenkraut-Extract, 10 Gran gepulverte Muskatenblüthe u. 2 Unzen harte Seife, koche dies in 60 Unzen frischen Wassers eine halbe Stunde lang u. rühre es während der Zeit oft um.“
1902 und 1911 gab Leo Woerl, Herausgeber der gleichnamigen Rügen-Reiseführer, in den „Merktafeln für die Reise“ getrennte Empfehlungen für Herren und Damen, welche Medikamente zum Reisegepäck gehören sollten. In der Ausgabe von 1902 für Herren waren das: Baumwolle, Brausepulver, Chininpulver, Citronensäure, Chocolade, Dover’sche Pulver, Englisches Pflaster, Heftpflaster, Salmiak und Karbol zu gleichen Teilen gegen Kopfweh und Schnupfen, Talg nebst kleinem Läppchen, kleinem Löffel und Zucker. Für Damen wurden zusätzlich empfohlen: Coldcréme, Hoffmann’s Tropfen, Karbolwatte, Opium (fehlt bei den Empfehlungen für die reisenden Herren!), Pfefferminzzeltchen, Senfpapier, Streifen alter Leinwand für Verbandzwecke und eine Taschenapotheke. Statt Heftpflaster (englische Pflaster) besser die neuen Heftpapiere carta adhaesiva. Schokolade und Zucker fehlen bei den Empfehlungen für die Damen! 1911 sollte die Reiseapotheke der Herren nur noch Schokolade, Talg, Baumwolle, Heftpflaster, Mückenstift und Verbandzeug enthalten. Die Empfehlungen für die Damen verzichteten jetzt auf Opium und enthielten lediglich die im Woerl von 1902 im Vergleich zu den Männerangaben zusätzlich genannten Medikamente. Hinweise, wie und in welchen Dosen die Medikamente und anderen Mittel anzuwenden waren, fehlten. Der Reiseführer von Meyer mahnte in seiner Ausgabe von 1921: „Insbesondere vergesse man nicht die allernötigsten Medikamente“. Das waren nach seiner Meinung Chinipulver, Coldcream, Heftpflaster, Insektenpulver, Salmiak, Verbandwatte und Zitronensäure.
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