27. Jahrgang | Nummer 16 | 29. Juli 2024

Neue babbelonische Sprachverwirrung

Das Wesen der Sprache besteht 

in der Namensgebung; denn erst der Name besagt,

daß ein Wesen erkannt und

damit wirklich geworden ist.

 

Günter Kunert

 

von Jürgen Brauerhoch

Im Mythos von Babylon (Babel) geht es um die spannende Geschichte, wie Gott einen Turmbau bis über die Wolken in seinen Himmel mit einem Trick verhindert hat – mit der Sprache. Unter den vielen hundert Bauarbeitern verursachte er die legendäre Babylonische Sprachverwirrung, die den Weiterbau des Turmes unmöglich machte. „Sie verstanden das Wort nicht mehr“, heißt es in der Bibel.

Heutzutage schafft unsere Bürokratiegesellschaft sprachlichen Wirrwarr in ihrer diffusen Flüchtlingspolitik ganz ohne Gott und trotz Genfer Flüchtlingskonvention. Dort heißt es seit 1951: Flüchtlinge genießen Schutz. Die Konvention enthält eine Reihe von Rechten und hebt auch die Verpflichtungen der Flüchtlinge gegenüber ihrem Gastland hervor. Der Eckpfeiler ist das im Artikel 33 enthaltene Prinzip der Nicht-Zurückweisung. Diesem Grundsatz zufolge darf ein Flüchtling nicht in ein Land zurückgeschickt werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit ernsthaft bedroht sind. Dieser Schutz kann aber nicht von Flüchtlingen in Anspruch genommen werden, die eine Gefahr darstellen oder ein schweres Verbrechen begangen haben.

Eigentlich könnte die Legende von Babylon ein Fingerzeig dafür sein, wie man mit Sprachwirrwar generell fertig werden könnte. Ausgelöst durch die leichtfertige Invasion unkontrollierter Flüchtlingsströme im Jahr 2015 diskutiert die politische, behördliche, humanitäre und soziologische Welt unentwegt, was besser klingt und letzten Endes auch sei: Flüchtlinge oder Geflüchtete. Dass Begriffe wie Flüchtlingswelle oder Flüchtlingsflut all jene, die Schutz suchen, als bedrohliche Masse diskriminieren und womöglich mit Naturkatastrophen gleichsetzen, monieren Flüchtlingsexperten wie zum Beispiel Pro Asyl noch aus anderer Perspektive. Die Endung „-ling“ meinen sie, hätte verniedlichenden Charakter und das Gendern des „Flüchtlings“ fällt schwer, denn eine explizit weibliche Form des Begriffs gibt es nicht. Geflüchtete hätten im Unterschied zum Flüchtling auch den Vorzug, dass „die Ableitung vom Partizip Perfekt ein potenzielles Ende der Flucht schon integriert“. Niemand will auf Dauer ein Flüchtling sein, heißt es lapidar.

Gleichzeitig aber hält das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR nichts davon, das Wort „Flüchtlinge“ durch den Begriff „Geflüchtete“ zu ersetzen. „Wir betrachten das Wort ,Geflüchtete‘ als abwertend und benutzen es nicht“, sagte der UNHCR-Sprecher Chris Melzer in Deutschland. Am deutschen Namen des UN-Flüchtlingshilfswerks werde auch nicht gerüttelt. „Flüchtling“ sei dagegen „quasi ein geschützter Begriff“. „Er ist durch die Genfer Flüchtlingskonvention seit mehr als 70 Jahren fest definiert und hat eine Schärfe und Stärke, die Menschen schützt.“, „Geflüchtete“ sei zu banal, da „wir alle schon einmal vor irgendetwas geflüchtet seien“.

Das hindert die SPD nicht daran, für eine solidarische Migrations-und Geflüchtetenpolitik einzutreten, die Humanität und Ordnung verbindet, wie es im Wahlrogramm heißt. Vor dem sprachlichen Ungetüm Geflüchtetenpolitik schreckt sie nicht zurück, wohl aber vor den sogenannten rechtsextremen Ideen. So sieht die AfD in ihr ihrem Wahlprogramm „den wirksamen Schutz der Außengrenzen gegen illegale Zuwanderung“ als eine der Hauptaufgaben Europas an. Als besonderes Problem erachtet man die Einwanderung von Menschen muslimischen Glaubens aus „den Staaten des islamischen Kulturkreises“, was wiederum die CDU nicht zu befürchten scheint. Und die Grünen schon gleich gar nicht.

Außer den Parteien rangeln natürlich auch die zahlreichen ideologischen Ableger – von der Bertelsmann- bis zur Friedrich-Ebert-Stiftung – um die richtige Wortwahl, wobei die Argumente zwischen Flüchtling und Geflüchteten sich hart im Raume stoßen. Doch das ganze inflationäre Geschreibe und Gerede oder Gebabbel ändert nichts daran, dass die Kommunen stöhnen unter der Last, Flüchtlinge oder Geflüchtete – jedenfalls in immer größerer Zahl – unterzubringen und zu versorgen. Da ist weit und breit kein Gott, der dieser babbelonischen Sprachverwirrung ein Ende machen könnte! Flüchtlinge werden zu Geflüchteten und umgekehrt.