27. Jahrgang | Nummer 16 | 29. Juli 2024

Der Fälscher

von Dieter Naumann

Raffinierter Fälscher des 18. Jahrhunderts“, „literarischer Betrüger“, „berüchtigter Urkundenfabrikant“, „sehr gewandter Fälscher“, „berüchtigter diplomatischer Betrüger“, „bekannter Diplomenschmied“ – diese und ähnliche Bezeichnungen betrafen eine Person: Gottlob Samuel Pristaff alias Adam Gerschow.

Der Sohn des Cottbuser Pastors Christian Pristaff und der Pfarrerstochter Margaretha Krüger schlug zunächst eine kirchliche Laufbahn ein. In Grapzow bei Treptow an der Tollense und später, 1724, in Langenhagen bei Treptow an der Rega arbeitete er als Prediger. Wegen „liederlichen“ Lebenswandels musste er sein Amt dort 1726 niederlegen. Der „liederliche“ Lebenswandel bestand darin, dass er als Adjunkt des Pastors Johann Friedrich Meyer dessen junge Frau verführte und mit ihr nach Danzig entwich. Auf Antrag der preußischen Regierung wurde er von dort ausgeliefert und wegen seiner ungewöhnlichen Größe („6 Fuß weniger 1 Zoll“, das sind etwa 1,90 Meter) 1727 als „langer Kerl“ in das Regiment von Adrian Bernhard (?) von Borcke in Stargard eingezogen. Nach einigen Jahren entließ man ihn als „unbrauchbar wegen schwacher Gesundheit“.

Ab 1732 lebte Pristaff abwechselnd in Stettin und Greifswald, von wo er ausgedehnte Reisen durch Pommern und auf Rügen unternahm, bei denen er sich umfangreiche Kenntnis der örtlichen Archive, Bibliotheken und Denkmäler erwarb. Dieses Wissen nutzte er, um gefälschte Chroniken und Urkunden anzufertigen, denen er Landkarten und Abbildungen beifügte, „theils als Abschriften eigener Hand, theils unter fremden Namen, u. A. Adam Gerschow“ („Allgemeine Deutsche Biographie. Sechsundzwanzigster Band“, Duncker & Humblot, Leipzig 1888). Auch Münzen, Siegel und andere Gegenstände wurden von ihm gefälscht. Diese Falsifikate veräußerte er an Bibliotheken und Privatpersonen. Es gelang ihm mit seinen Fälschungen nicht nur honorige Persönlichkeiten des damaligen öffentlichen und kirchlichen Lebens, sondern auch anerkannte Wissenschaftler zu täuschen, die sich auf seine „Forschungen“ bezogen (unter anderem Schwarz: „Versuch einer Pommersch-Rügianischen Lehn-Historie“, 1740). Das galt weniger für die von ihm gefertigten Zeichnungen, die Pyl in „Allgemeine Deutsche Biographie“ als „formlos und ohne Kenntnis der Denkmäler entworfen“ bezeichnete, sondern vor allem für seine Urkunden und Chroniken. Beispiele sind die „Historische und geographische Beschreibung aller zerstörten Städte, Schlösser, Flecken und Dörfer […] des gantzen Pommerlandes aus den alten glaubwürdigen Uhrkunden, Chronicken und Schriften […]“ (Danzig 1670), und die „Nachrichten von den meisten Pfarren des platten Landes in Schwedisch-Pommern und auf der Insel Rügen“ (um 1735). Diesen läge eine „große Belesenheit“ zugrunde, welche dazu verleiten könnte, „die eingewebten Irrthümer und Erfindungen für Wahrheiten anzunehmen“.

Selbst in den Werken von Gelehrten des 19. Jahrhunderts, wie Barthold  („Pommersche Geschichte“, Band 3, 1842), Klempin („Pommersches Urkundenbuch“, 1868) und Fock („Rügensch-pommersche Geschichte“, Band 3, 1865) wurden „Forschungen“ von Pristaff eingearbeitet. Nicht umsonst warnte der Greifswalder Historiker Theodor Pyl in seinem Beitrag über Pristaff in „Allgemeine Deutsche Biographie“ vor der „raffinierten Berechnung“ der gefälschten Urkunden. Zugleich äußerte sich Pyl verwundert, wie Pristaff im kurzen Zeitraum von 1732 bis 1736 (er starb „nach einer 5tägigen hitzigen Kranckheit“ am 10. Januar in Anklam) eine derartige Vielzahl gefälschter Urkunden sammeln beziehungsweise anfertigen konnte.

Auf Rügen, wo er wie in Pommern im Auftrag Greifswalder Professoren zwischen 1731 und 1736 längere Reisen unternahm, um Dokumente zur heimischen Geschichte zu sammeln und abzuschreiben, schien er nach Ansicht von Professor Alfred Haas wohl besonders intensiv tätig gewesen zu sein. Haas verweist auf zwei Münzen mit der Aufschrift „Arkon“, die Pristaff entdeckt haben will, und einen Runenstein, den er, wie die Münzen, am Strand von Drewoldke gefunden hätte. Die Münzen (eine aus Kupfer, die andere aus „schlechtem Silber“) und die Abbildung des Runensteins hatte er dem Greifswalder Professor Schwarz zum Kauf angeboten. Sowohl die Münz-„Funde“ als auch der Runenstein (als Vorbild diente ein Stein im schwedischen Tullstorp) erwiesen sich später als Falsifikate. Professor Schwarz soll übrigens zu den eifrigsten Kunden von Pristaff gehört haben, nutzte einige seiner Falsifikate als vermeintlich echte historische Zeugnisse, gab aber einen Teil dieser Fehler später selbst zu.

Wie war es Pristaff möglich, nicht nur Privatleute, sondern auch Pastoren, Bürgermeister, Wissenschaftler und andere Persönlichkeiten derartig zu täuschen?

Der Mitbegründer der „Gesellschaft für pommersche Geschichte und Altertumskunde“ Ludwig Giesebrecht schrieb in „Baltische Studien“ 1850, dass zurzeit, als Pristaff aus der Armee entlassen wurde, eine Neigung zum Sammeln herrschte. Urkunden, Siegel, Münzen, bewegliche Altertümer verschiedener Art, Zeichnungen unbeweglicher Denkmale, Landkarten et cetera wurden „eifrigst“ zusammengebracht. Liebhaber derartiger Gegenstände waren auch bereit, dafür gut zu zahlen. Pristaff nutzte dies dazu aus, als vermeintlicher Kenner von Altertümern seine Dienste zu deren Aufspürung und Erwerbung anzubieten. Mit gedruckten Empfehlungsschreiben honoriger Gelehrter der damaligen Zeit ausgestattet, fand er leichten Zugang zu Bibliotheken, Archiven und bei Privatpersonen. Eines dieser Empfehlungsschreiben, ausgestellt „Greiffswald den 28. Martii 1735“ vom damaligen Generalsuperintendenten Timotheus Lütkemann, stellte Alfred Haas in Monatsblätter der „Gesellschaft für Pommersche Geschichte und Alterthumskunde“ (Stettin 1890) vor. Gerichtet war das Schreiben an „Hochwohl-Ehrwürdige Herren Praepositi, Wohl-Ehrwürdige Herren Pastores, Meine in Christo Hertzlich-geliebte und werth-geschätzte Herren Mitbrüder“. Aus dem Schreiben geht hervor, dass Pristorff sich zu einer Reise bereit erklärt habe, bei der er alle Nachrichten von Pommern sammeln und die noch vorhanden Altertümer aufsuchen wolle. Er habe Lütkemann um Unterstützung gebeten, der seinerseits der Meinung war, dass durch diese Bemühungen nicht nur der gelehrten Welt, sondern auch den Bewohnern des Landes „möchte gedienet werden“. Er bat deshalb, Pristaff als „einen mit schönen Wissenschafften ohnedem geschmückten und begabten Manne“ mit Güte aufzunehmen und ihm in Kirchen oder wo sonst noch Urkunden und Altertümer vorhanden seien, „geneigt zu communiciren“.

Bereits am 3. Januar 1735 hatte Pristaff eine Bekanntmachung in Greifswald drucken lassen, in der er auf „guten Ingreß und Approbation“ (Zugang und Bestätigung), den seine Bemühungen um Herbeischaffung verschiedener Dokumente zur Geschichte Pommerns bei der königlichen Akademie zu Greifswald und „anderwärts“ gefunden habe, hinwies. Er sei nunmehr bereit, ganz Pommern zu bereisen und alle Antiquitäten genauesten zu untersuchen, zu protokollieren und zu zeichnen. Für diese Unternehmung bat er „alle Hohe und Niedere im Lande“ ihn zu unterstützen. „Wofern jemand etwas an Documentis und dergleichen benöthiget wäre, solches an mich nach Greifswald zu melden, so soll demselben möglichster massen gegen billige Contentirung gewillfahret werden“ (Johann Carl Conrad Oelrichs: „Ausführliche und zuverläßige Nachricht von zween Pommerschen historischen, diplomatischen und geographischen Betrügern […]“, in: „Historisch-Diplomatische Beyträge zur litterarischen Geschichte […]“, Berlin 1790).

Ein Ergebnis seiner zahlreichen Kontakte mit den seinerzeit amtierenden Pastoren ist ein Gedicht auf die rügenschen Geistlichen, das Alfred Haas in der Sonntagsbeilage der Stralsundischen Zeitung vom 11. November 1900 auf (vermutlich) 1733 datiert. Das handschriftliche Original soll sich in einem Manuskript der „Gesellschaft für Pommersche Geschichte und Alterthumskunde“ befunden haben. Haas nimmt an, dass Pristaff bei seinen Reisen von der Mehrzahl der Pastoren „bereitwilligst“ aufgenommen wurde und ihnen deshalb gebührende Anerkennung in seinem Gedicht schenkte. Bei denjenigen, die ihn abgewiesen hatten, habe er sich wohl dadurch gerächt, dass er sie nicht namentlich nannte und/oder ihnen „Geiz und Filzigkeit“ vorwarf. So heißt es bei Zudar: „Wenn man nach Zudar kommt und will alldort logiren,/So sieht der Prediger vor Geiz zum Fenster aus,/Läßt keinen Fremden nicht in sein Haus einfliehen,/Es saget seine Frau: Mein Herr ist nicht zu Haus!“ Landow bleibt ebenfalls nicht ungeschoren: „Wenn man nach Landow komt, ist das nicht zu beklagen,/Da stellt der schnöde Geiz sich auch beym Priester ein:/Um einen Bissen Brod stellt sich krank Herr Sternhagen;/Ein solcher karger Filz muß ja beschäme seyn.“