Frieden, Realismus und Vernunft“ steht über einem Text in einer Berliner Zeitung; in der Unterzeile dazu heißt es: „Am Sonntag will Alexander King Vorsitzender der Wagenknecht-Partei in Berlin werden. Was treibt ihn an?“ Ja was – das wollen wir doch einmal sehen …
Zuvor komme ich jedoch auf die Gründungsversammlung dieser Partei vom 27. Januar des Jahres zu sprechen. Die Galionsfigur und Namensgeberin der Partei hielt eine Rede, und selten habe ich eine intellektuell dürftigere, gespickt mit primitiven Anbiederungen an politische Instinkte gehört als diese. Da musste – um es bei diesem Beispiel zu belassen – die Lieferung von 150 Raketen an Saudi-Arabien herhalten, um gegen „unsere grünen Moralapostel“ und deren „feministische Außenpolitik“ zu wettern – schon der Begriff sorgt im Saal für erste Lacher. „Wenn in den Rüstungsverträgen gegendert“ werde, dann sei wohl „die grüne Welt in Ordnung“ und immerhin trügen die Raketen ja den Namen Iris: „So viel Feminismus muss im Hause Baerbock wohl sein“. Das Parteitagspublikum, von dem eine andere Berliner Zeitung meint, es erinnere „ein wenig an einen Aufstand alter Männer (und Frauen)“, ist begeistert.
Einen Tag vor dem Parteitag konnte noch ein prominenter Neuzugang vermeldet werden: Oskar Lafontaine gab bekannt, der Partei seiner Ehefrau beizutreten. Lafontaine nur schlichtes Mitglied? Ohne Einfluss? Schon im Markusevangelium heißt es „Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden […].“ Auch das schlichte Mitglied ließ sich nicht lumpen und erfüllte die Erwartungen des Publikums: „So wie es angesichts unserer Geschichte niemals vertretbar wäre, wieder Waffen zu liefern, mit denen Juden ermordet werden können: Genauso verwerflich ist es, Waffen zu liefern, mit denen wieder Russen ermordet werden“. So einfach kann man es sich machen … Programmatisch war insgesamt wenig zu hören, aber der Ton des Austeilens gegen andere und namentlich die Ampel war gesetzt.
Nun also Berliner BSW. Weltpolitik spielt für die Stadt zwar auch eine gewisse Rolle, aber es geht doch eher um Lokales. Was bietet King also den Einwohnern Berlins an, um die tatsächlich irritierenden städtischen Unzulänglichkeiten auszuräumen? Gegründet worden sei der Berliner Landesverband „mit dem Ziel, Realismus und Vernunft auch in die Berliner Politik zu bringen, den arbeitenden Menschen […] das Leben zu erleichtern, anstatt es durch ausufernde Bürokratie, ideologische Verkehrspolitik […] immer komplizierter zu machen“.
„Ausufernde Bürokratie“ ist quasi zum Synonym für Berlin geworden. Diesen Zustand nun zum x-ten Mal zu benennen, ist müßig – was meint King dagegen tun zu können, skizziert wenigstens in groben Zügen? Die eigentliche Aufgabe der Organisation einer effektiv und reibungsarm funktionierenden Stadt ist seit 1990 unerledigt liegengeblieben. Reicht es da, wie es der Senat vorhat, Zuständigkeiten und Aufgabenverteilung zwischen Bezirken und dem Land Berlin zu überprüfen und neu zu sortieren? Oder sollten bei Einwohnerzahlen von Berliner Bezirken von bis zu 400.000 Menschen nicht anstelle von Bezirksstadträten, die nur mit dem Mandat ihrer Partei ausgestattet, aber fachlich wenig erfahrenen sind, solche Posten nicht nach bundesweiter Ausschreibung mit qualifizierten Personen besetzt werden wie in vergleichbaren Großstädten?
Verkehrspolitik – dass diese „ideologisch“ sei, ist die politische Standardbeschuldigung der jeweils anderen Partei per se. Ich hätte gern gelesen, was King unternähme, um sie zu entideologisieren und vor allem um praktikable Auswege aus dem täglichen Verkehrschaos zu zeigen. Es ginge ja (noch) nicht um elaborierte Pläne, aber ich hätte schon gern gewusst, wo seine Präferenzen lägen – beim Öffentlichen Nahverkehr oder beim tradierten Autoverkehr (schließlich ist die Partei wie andere auch gegen das „Verbrenneraus“ ab 2035). Soll es mehr oder weniger Fahrradwege geben, sollte der Bau der A 100 weiter betrieben werden? King wird überhaupt nur in einem Punkt konkret: „Umsetzung des Volksentscheids (in Sachen Vergesellschaftung großer privater Wohnungsbestände – St. W.) ohne Wenn und Aber“.
„Die Europawahl hat […] das weitgehende Scheitern der Klimaschutzpolitik quittiert“, schreibt King; der Bevölkerung sei „versprochen worden, sie […] vor den Folgen des Klimawandels zu schützen“. Das Versprechen wurde nicht eingelöst; da könnte King doch vorangehen und den Berlinern als Bewohnern einer hitzebedrohten Großstadt seine grundlegenden Vorstellungen einer klimaangepassten Stadt aufzeigen. Jedoch nicht die mindeste Andeutung dazu, wie vielleicht weniger Versiegelung, weniger Asphalt- und Betonflächen und mehr Begrünung auf Dächern, Fassaden und Straßen umzusetzen wären oder ob er überhaupt derartige Maßnahmen in Betracht zöge. Um bei Hitze die Stadt zu kühlen und bei Starkregen das Wasser besser versickern zu lassen.
Die Berliner Politik vertreibe sich „die Zeit mit Scheindebatten über neue Großprojekte wie den Umzug der Landesbibliothek in die Galaries Lafayette“. Warum nicht ein Nebensatz dazu, wie King zu dieser Idee steht? Seit 2015 ist verabredet, die beiden Standorte der Berliner Zentral- und Landesbibliothek zusammenzuführen; und das aus gutem Grund: „Wir havarieren uns seit Jahrzehnten durch den Betrieb mit immer wieder neuen Problemen mit maroden Gebäuden und vor allem maroder Betriebstechnologie“ – so Volker Heller, Generaldirektor der Zentral- und Landesbibliothek Berlin. Durch Kellerräume, in denen Bücher und Schallplatten lagern, musste Heller bereits in Gummistiefeln waten.
King kommt auch zurecht auf die Asylpolitik zu sprechen und merkt desgleichen an, dass es bei der Unterbringung von Flüchtlingen zu einer Unwucht zulasten der Berliner Ost-Bezirke käme – „ohne Rücksicht auf die soziale Situation oder die Infrastruktur vor Ort“. Bei diesem Thema ist wie bei keinem anderen lokaler Natur die Verbindung zur Bundes- und Europapolitik gegeben und insofern wäre es diesmal hilfreich zu wissen, ob King die grundsätzliche Position der Partei teilt, Asylverfahren an den Außengrenzen und in Staaten außerhalb der EU vorzunehmen. Eine Position, die Die Linke, aus der bekanntlich die wichtigsten der Protagonisten der King-Partei stammen, strikt ablehnt, da sie einer Aushebelung des individuellen Asylrechts nahekommt.
Mein Text verhehlt nicht, dass ich der Partei BSW aus grundlegenden Erwägungen heraus kritisch bis ablehnend gegenüberstehe; das gilt namentlich für die Parteispitze und die grundsätzliche Programmatik. Die Partei wird natürlich auch auf Landes- und Lokalebene gewählt (werden), wo es um andere Themen und praktische Lösungen vor Ort geht. Die Einschätzung, die Bürger unterschieden nicht zwischen den einzelnen Politikebenen – Bund, Länder und Kommunen –, weshalb auch das Verhalten bei Kommunalwahlen nur ein Reflex auf die jeweils herrschende politische Großwetterlage sei, hält sich hartnäckig bei den Medien, der Politik, aber auch der Bevölkerung selbst, ist aber dennoch falsch. King hätte so durch Fingerzeige auf seine Vorstellungen zur Berliner Kommunalpolitik die Möglichkeit gehabt, Vorbehalte gegenüber seiner Partei abzubauen, ja teils gar auszuräumen respektive für sie werben können mit klaren Alternativen zur aktuellen Politik. Leider blieb es auch bei ihm weitgehend beim „Austeilen“ gegen den Senat und beim Beschreiben der Phänomene „schlechter Politik“. Aus dem Gehäuse der abgedroschenen Allgemeinplätze kam er kaum heraus. Eine vergebene Chance …
PS: Inzwischen ist Alexander King zum Berliner Ko-Vorsitzendem der Partei gewählt worden.
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