Da gibt es eine Gesamtausgabe, der Nachlass ist aufgearbeitet und die Sekundärliteratur füllt etliche Regalmeter – ist damit wirklich schon alles über das Leben und Wirken eines Schriftstellers gesagt? Ganz offensichtlich nicht, wie das neue und sehr anregend geschriebene Buch der Düsseldorfer Architektin Ursula Muscheler zeigt. Moment mal: eine Architektin auf dem Feld der Literatur? Warum nicht! Schließlich kommt es auf die Fragestellung an.
Geht es um Bertolt Brecht, steht zumeist dessen literarisches Werk im Mittelpunkt. Dass er sich auch immer wieder mit baulichen und städtearchitektonischen Problemen befasste, ist weniger bekannt. Vor allem lagen ihm, wie Muscheler im Prolog betont, „die speziellen [Fragen] des eigenen Wohnens am Herzen, selbst unter den materiell schwierigen Bedingungen des Exils“. Im Zusammenhang damit kam er in Kontakt mit mehreren Architekten. So beriet ihn der Däne Mogens Voltelen beim Umbau des Svendborger Hauses. Max Frisch machte ihn mit Fragen des Entwurfs, der Konstruktion und der Bautechnik bekannt, zeigte ihm neue Wohnsiedlungen und nahm ihn mit zu seiner eigenen Baustelle, dem Zürcher Freibad Letzigraben. Und schließlich half der DDR-Stararchitekt Hermann Henselmann beim Umbau der Wohnung in der Berliner Chausseestraße und des Hauses in Buckow.
Was die Ausstattung von Häusern und Wohnungen betraf, so bevorzugte Brecht eher das Alte und Schlichte vergangener Epochen. Auf den Punkt brachte er das in seiner im Januar 1927 in den Münchner Neuesten Nachrichten veröffentlichten Kurzgeschichte „,Nordseekrabben‘ oder Die moderne Bauhaus-Wohnung“, deren Credo sich mit den Worten zusammenfassen lässt: „lieber unaufgeräumt-behaglich als allzu passend geordnet, lieber auf weichem Plüsch als auf hartem Stahl“. Allerdings, das sei dazugesagt, stand Brecht mit seiner Ablehnung der neusachlichen Bestrebungen nicht allein. Muscheler verweist auf Joseph Roth, Kurt Tucholsky, Ernst Bloch oder Walter Benjamin – „kaum einer der kritischen Köpfe […] konnte der neuen Baugesinnung viel abgewinnen“.
Wichtig war, egal wo und unter welchen Umständen Brecht lebte, das Arbeitszimmer. Praktisch und zweckmäßig möbliert musste es sein, ein oder mehrere Tische sollten Platz haben, dazu weiß gestrichene Wände. Ob in den Berliner Wohnungen in der Spichernstraße oder in der Hardenbergstraße, ob im dänischen, schwedischen, finnischen oder amerikanischen Exil – immer kümmerte sich Helene Weigel zuerst darum, dass Brecht arbeiten konnte.
Bei all dem, so betont Muscheler zu Recht, darf man eines nicht vergessen. Spätestens 1932, als er sich ein Haus in Utting am Ammersee kaufte, hatte sich gezeigt: „Askese war nur die eine Seite Brechts, die andere forderte Besitz und bürgerliche Bequemlichkeit. Brecht wohnte nun einmal nicht gern zur Miete, er sah sich als Hausbesitzer. Er fuhr auch nicht gern mit der Bahn, er bevorzugte das eigene Auto.“ Wie tief ihn der Verlust all dessen traf, zeigte sein 1934 entstandenes Gedicht „Zeit meines Reichtums“, in dem es heißt: „Die Lust des Besitzes fühlte ich tief und ich bin froh / Sie gefühlt zu haben. Durch meinen Park zu gehen, Gäste zu haben / Baupläne zu erörtern, wie andere meines Berufs vor mir / Gefiel mir, ich gestehe es.“
Ursula Muscheler: Ein Haus, ein Stuhl, ein Auto. Bertolt Brechts Lebensstil, Berenberg Verlag, Berlin 2024, 159 Seiten, 26,00 Euro.
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