Diesmal „Ciao“ – Maxim Gorki Theater / Ein toller Hecht – Nachruf auf Alexander Lang, Schauspieler und Regisseur
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Gorki: Plüschtiere zwischen Punkrock
Was für ein Kumpelnest! Was für Kerle – hautenge Höschen, rosa Blousons, dünne Leibchen, durchtrainiert. Muskeln und jede Menge Testosteron. Und jede Menge Können – die charismatischen Gorki-Stars Emre Aksizoglu, Knut Berger, Jonas Dassler, Taner Sahintürk. Sie rocken als Boygroup die Bude. Mit Pop-Klassikern, mit Selbstkomponiertem. Ein kollektiv zusammengedonnerter Abend. Da dampft die Luft; da blitzt das Licht. Und wenn nicht, lassen sie – Ciao! – Schnipsel ihrer persönlichen Lebens- und Weltsichten los.
Mit Zorn, Melancholie, Witz, Sarkasmus und Selbstironie geht‘s comedyhaft, bierernst oder küchenphilosophisch sowie selbstredend korrekt gegendert gegen Zumutungen des Daseins. Gegen Dunkeldeutsches, Rassismus, toxische Männlichkeit, das Elend mit dem Patriarchat sowie dem lieben Gott, der einen Penis trägt, und gegen Ausbeutung, auch am Theater. Und natürlich gegen Rechts.
All die Reizthemen mit Fleiß gebrüllt und beweint. Trotzdem: Das bleibt meist platt wie Wahlkampflosungen. Wären da nicht die herzbewegenden, auch qualvollen Einblicke in die Familienverhältnisse der vier Jungs; vor allem die bitteren Opfergeschichten ihrer Mütter und Schwestern.
Dazwischen aber immer wieder verführerisch rotzfreches Schäkern mit dem enthusiasmierten Publikum. Und reichlich Hard- und Punkrock – allein das Konzert im Kabarett, das ist der Hammer. Außerdem: Anfangs ausgeteilte Plüschtierchen fliegen hin und her zwischen Podium und Parkett – das Kindliche im Männlichen. Total süß.
Als Rausschmeißer zum Mitsingen dröhnt „Don’t stop believin‘“ von Journey. Tschau-Tschau! Der Saal kocht.
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Ciao! – Abschied von Alexander Lang
Der ellenlange, spindeldürre Kerl mit den eingezogenen Schultern, der so schön verträumt den Kopf drehen und zugleich eine so spitze Lippe riskieren, der wunderbar scheu und zart und dann wieder scharf, schnell und rasend sein konnte, der schlug ein wie der Blitz. Alexander Lang, gelernter Plakatmaler aus Erfurt, Jahrgang 1941, kam als Mittzwanziger von der Berliner Schauspielschule und wurde prompt zum Idol. Ruppig, voll beinharter Skepsis und doch verführerisch romantisch.
Ein toller Hecht, hart am Nerv der Zeit – Ende der 1960er Jahre: Nickelbrille, Wuschelhaar, jungenhafter Furor, durchsetzt mit Verweigerung idealischer Hingabe, mit spröder Distanz gegenüber allem und jedem. Und das Störrische umwölkt von Traurigkeit, von geheimnisvoller Verletztheit. Das alles machte diesen Schauspieler so aufregend, sonderlich in einer, in seiner damaligen Welt voller verordneter Gewissheiten und befohlener Einverständnisse: eben die identitätsstiftende Mischung aus Held und Antiheld.
Vom Studium weg engagiert ans Berliner Gorki und das Berliner Ensemble und dann schnell weiter gleich ganz oben ans Deutsche Theater. Dort war er Ferdinand, Caliban, Philoktet (Heiner Müller). Und der Prinz von Homburg in Adolf Dresens epochaler Kleist-Inszenierung, die das hochfahrend Entrückte, Naive, Luftige in eins brachte mit den schweren Schmerzen zerbrochener Träume. Eine Wegmarke des anderen, des nicht politisch-affirmativen DDR-Theaters – später, als Regisseur, nannte es Alexander Lang „fantastisch realistisch“.
Man darf sagen: Er blieb in allen seinen vielen Rollen auch beim Film (etwa in Konrad Wolfs „Solo Sunny“) und später, ab der zweiten Hälfte der 1970er Jahre, als Theaterregisseur im Grunde der Prinz, der da traurig und trotzig spielt mit seinen herrlichen, aber unheilbar gebrochenen Flügeln. Und der Himmelsstürmer, der nur zu gut weiß: Alle Himmel sind bloß selige Fluchträume; der Acker des wirklichen Daseins aber ist steinig, dreckig, blutig.
Dieses Wissen freilich war seinerzeit nicht eben gefragt. Doch die staatsoffizielle Übertünchung aller Daseinswidersprüche mit fundamentalistischem Optimismus war der immense Motor seiner Kunst. Seines, wie er sagte „Theaters der Komödianten“, das er von ideologischem Krampf, von jedweder Wirklichkeitsverweigerung zu lösen vermochte. Durch – von Brecht gelernt und auf eigene Art vorangetrieben – poetisch-signifikante Verfremdung sowie – gelernt im Volkstheater bei Arlecchino oder Shakespeare – durch lässiges, saftiges Spiel, changierend zwischen Komik und Tragik.
Langs Figuren sind, wie er gelegentlich sagte, „vorurteilsfrei“ erzählt, gebunden an seinen Blick aufs Gegenwärtige. Das wurde unversehens zu hinreißendem, wundersamem Spiel mit Überkommenem und seinerzeit Heutigem. Dabei sei letztlich nicht der Autorentext das Material, das sei vielmehr die Potenz des Schauspielers, so Langs Prämisse von der Dominanz des Spiels. Da gilt: Leidenschaft weggesteckt, Kühle vorgeschoben; und: Leidenschaft rausgelassen, ob nun Wut oder ob Liebe, gut oder böse oder beides zusammen.
Dabei trieb er die kritisch realistische Spielweise von Regisseur Adolf Dresen, seinem Vorbild, Lehrer, Förderer am Deutschen Theater vor dessen Weggang in den Westen, furios fort ins „fantastisch Realistische“. Das Psychologische wurde mythologisch vertieft und kräftig aufgeladen mit expressiver Energie. Etwa in Inszenierungen von Büchners „Danton“, Shakespeares „Sommernachtstraum“ oder in seiner so geheißenen Trilogie der Leidenschaften (Grabbes „Herzog Theodor von Gotland“, Goethes „Iphigenie“, Strindbergs „Totentanz“) – in inniger Zusammenarbeit mit dem Bühnenbildner Volker Pfüller.
Klassiker nicht ausgestellt. Sondern belebt durch den Clinch der Widersprüchlichkeiten und Ungereimtheiten innerhalb und zwischen den Figuren, in denen immer auch ihre fatalen oder glückseligen Bindungen an Unbewusstes mitschwangen. Dieses damals neuartige, authentische Haltungen findende, komödiantisch gewitzte, erhellend phantastische Klassikerspiel brachte Lang selbst auf den Punkt: „Zeigen, was sich sonst keiner traut; dabei aus ganz wenig viel machen auf der Bühne.“ Das überraschte Publikum reagierte irritiert, hingerissen, aufgewühlt oder angewidert; jedenfalls war es vehement gepackt. Und immer auch ein bisschen aufgeklärter als zuvor.
So blühte denn im Deutschen Theater, hinter den Kulissen trickreich durchgesetzt von einer frei denkenden Parteigenossenschaft, glühendes zeitgenössisches Welttheater – mit toten Dichtern. Deren Werke auszugraben und wie in Vitrinen bloß auszustellen, ohne sie lebendig zu machen, das sei Leichenschändung, gab Lang unverblümt zu Protokoll, was damals einem Sakrileg glich. Denn Belebung bedeutete für Lang (mit Brecht als Schutzschild): radikal zeitgenössischer Gestus, ob der nun in den Dogmen-Kosmos der SED-Diktatur passte oder nicht.
Im Rausch des mehr oder weniger diplomatisch durch die Zensur geschmuggelten Erfolgs wollte Lang etwa Mitte der 1980er Jahre nach den Sternen greifen und eine Direktion, das Deutsche Theater oder ein anderes großes Ostberliner Haus. Die Staatsmacht sagte: Nein! Lang sagte: Ade! Und ging in den Westen, wo er in München und Hamburg seinen Regie-Ruhm fortsetzte.
Anfang der 1990er Jahre scheiterte seine Intendanz am Berliner Schillertheater innerhalb eines – unsägliches Konstrukt! – Intendanten-Quartetts. Langs kurze Regie-Rückkehr ans Deutsche Theater, später nach Leipzig, blieb erstaunlich blass. Die neuen Verhältnisse entzogen diesem großen Regisseur die Kraft zur spannungsgeladenen Dringlichkeit und Bedrängnis. Das einst so Leichte, das Liebevoll-Spöttisch-Sarkastische oder eben ätzend Entsetzliche, das Souverän-Spielerische, seine suggestive Magie – alles dahin. Es herrschten Lamento, Trostlosigkeit, Kalauern, Verbitterung. Lang erlag eigenen, zwanghaften Daseins-Vorstellungen, nicht zuletzt wohl auch aufgrund gesundheitlicher Probleme, die ihn zunehmend bedrängten. Ein wachsendes Unglück, das ihm eine große Alterskarriere als Schauspieler, ein spätes Wiederaufleuchten seiner hohen Spielkunst verwehrte.
„Was ich an den Altvorderen meiner Zunft bewundere, ist ihr Glaube an das Theater, nicht die stolze Distanz vieler heutzutage. Ich will mit Spiel die große Erregung auslösen im Saal, Lachen und Heulen, das Begeisterte, das Außersichsein“, schrieb Alexander Lang – noch zu DDR-Zeiten. Zwar spät, doch nicht zu spät, flocht ihm die Akademie der Künste einen Lorbeerkranz, nannte ihn „Wahrsprecher und wutbeseelten Wahrspieler“ und ehrte ihn mit dem Konrad-Wolf-Preis 2020. Es rührte ihn sichtlich. Hat er doch als in allen Wandlungen toller Prinz, der er eigentlich immer war, das Seine auf wunderbare, unvergessliche Art getan.
Nun ist er im Alter von 82 Jahren am letzten Tag im Mai in Berlin gestorben.
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