27. Jahrgang | Nummer 13 | 17. Juni 2024

Starke Frauen und mehr

von Frank Burkhard

Das von Enthusiasten gegründete und von ihnen zum Teil noch immer organisierte Neiße-Filmfestival (NFF) im Dreiländereck zwischen Deutschland, Polen und Tschechien fand im Mai zum 21. Mal statt. Auch wenn das Herzstück nach wie vor im Kunstbauerkino Großhennersdorf liegt, hat es doch seine Spielstätten in Zittau und Görlitz, in Liberec und Varnsdorf in Tschechien, wie auch in Görlitz´ polnischer Nachbarstadt Zgorzelec und dem niederschlesischen Sieniawka – und nicht nur dort.

Neben dem Wettbewerb der Sparten Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilm liegt alljährlich ein Fokus auf einem anderen Thema, das alle drei Länder bewegt. Diesmal waren es starke Frauen – sowohl vor wie auch hinter der Kamera, und sie stachen auch in allen Sparten hervor. So wurde der Darstellerpreis ex aequo an Magdalena Cielecka und Marta Nieradkiewicz für ihre Performance im polnischen Spielfilm „lęk“ (Angst) von Sławomir Fabicki verliehen. Der Film handelt von zwei ungleichen Schwestern auf einer Schweiz-Reise, von der eine nicht wiederkehren wird. Ihr Zusammenspiel in einer Situation, in der sie sich auf einen endgültigen Abschied vorbereiten müssen, bewies eine große Kraft.

Das Festival wurde im Zittauer Gerhart-Hauptmann-Theater mit einem Fokus-Film eröffnet, der allerdings keine einhellige Zustimmung fand. In dem deutschen Film „Ellbogen“ von Asli Özarslan steht eine oberflächliche, aber aufsässige 18-jährige Berlinerin „mit Migrationshintergrund“ (Melia Kara) im Mittelpunkt. Zusammen mit zwei Freundinnen schlägt sie einen übergriffigen jungen Mann auf dem U-Bahnhof Vinetastraße auf grausamste Weise tot und flieht nach Istanbul, wo sie teils kriminell lebt. In der Schlusseinstellung blickt sie herausfordernd in die Kamera: Sie wird weitermachen. Der spröde angelegte Film sucht nach Entschuldigungen für die Protagonistin, die es nicht geben kann. Vielleicht will die Regisseurin auch vor solchen Personen warnen, mutmaßten einige Zuschauer.

Eine glückliche Wiederentdeckung war hingegen der Berlin-Film „Engelchen“ (1997), den Regisseurin Helke Misselwitz in Großhennersdorf vorstellte und der sich als zu Unrecht vergessenes Meisterwerk erwies. Vom Buch über Kamera, Besetzung, Ausstattung bis zur Musik stimmt alles. Susanne Lothar spielte eine vom Leben enttäuschte Frau am Ostkreuz, die in einem windigen polnischen Straßenverkäufer (Cezary Pazura) einen Partner findet, der sie liebt und doch enttäuscht.

Im Dokumentarfilmwettbewerb siegte der polnische Beitrag „Im Rückspiegel“ (Skąd dokąd) von Maciek Hamela. Er begleitet Zivilisten, die in den ersten Tagen der russischen Invasion in der Ukraine in einem staubigen Transporter flüchten. Wenigstens Kleintiere können von den Mitarbeitern einer Hilfsorganisation gerettet werden, auch Kinder, die staunen, dass es noch unzerstörte Städte gibt. Besonders berühren eine ältere Bäuerin, die ihre beste Kuh, „die Schöne“ genannt, zurücklassen musste, und eine jüngere Frau, die als Leihmutter versucht hatte, ihr kärgliches Dasein zu verbessern. Der Film gewann auch den Spezialpreis des Filmverbandes Sachsen, weil es den Machern gelang, trotz aller Schilderung der Not Hoffnung zu geben.

Eine 14-Jährige stand im Mittelpunkt des deutschen Films „Rohbau“ des Regisseurs Tuna Kaptan, der einen Publikumspreis gewann. Die in Albanien entdeckte Kasem Hoxha spielt ein Mädchen, das auf einer deutschen Baustelle seinen Vater sucht, dessen Tod als illegaler Arbeiter, wie nur der Zuschauer erfährt, vertuscht werden soll. Der Bauleiter, der sie zurück nach Albanien bringt, beginnt tiefe Einsichten zu entwickeln.

Ebenfalls von einer jungen starken Frau handelt die Romanadaption „Jenseits der blauen Grenze“ der aus der Festivalregion stammenden Regisseurin Sarah Neumann, die allerdings nicht zum Festival kommen konnte. Ihr Langfilm-Debüt nahm sich den gleichnamigen Roman der Rostockerin Dorit Linke zur Vorlage, die eine Geschichte von Flucht aus der DDR über die Ostsee mit eigenen Erfahrungen anreichert, so dass das Buch auch Schullektüre wurde. Eine junge Leistungssportlerin (Lena Urzendowsky) erfüllt sich ihren Traum und wird Olympia-Kader, aber weil ihr bester Freund dringend die DDR übers Meer verlassen will, willigt sie ein, ihr bisheriges Leben aufzugeben und mit ihm gemeinsam zu fliehen. Dieser Andreas ist immer etwas aufmüpfig und kommt mir nichts dir nichts für einige Wochen in einen Jugendwerkhof, weil er statt des geforderten Liedes „Spaniens Himmel“ lieber „Freude, schöner Götterfunken“ anstimmte. Nicht nur diese Passage litt an mangelnder Glaubwürdigkeit, und der Film wurde von der Jury nicht berücksichtigt.

Auch ein slowakisch-tschechischer Dokumentarfilm bediente sich bei Beethoven und Schiller. Regisseur Robert Kirchhoff porträtierte mit viel historischem Material und letzten Zeitzeugen den KPČ-Chef und slowakischen Nachwendepolitiker Alexander Dubček. Dafür wählte er die Zeile „Alle Menschen werden Brüder“ aus der Europa-Hymne. Interessant sind viele der aufgeworfenen Fragen, etwa, ob Dubček gegenüber Leonid Breshnew ein Feigling war, und ob er sich als Verräter erwies, als er ab 1990 Sozialdemokrat wurde. Kirchhoff hat eine eindeutige Haltung, gibt dem Zuschauer aber Raum, sich ein eigenes Urteil zu bilden, wie so viele der beim NFF vorgestellten Filme anregenden Diskussionsstoff boten.