Am Deutschen Nationaltheater Weimar gelingt Christian Weise ein verblüffend kurzweiliger Ausflug in Thomas Manns „Zauberberg“-Sanatorium.
Gerade noch ging in Kiel eine neue Oper von Ludger Vollmer über die Bühne. Die hat sich Thomas Manns „Buddenbrooks“ an die Fersen geheftet. Mit eingedampftem Personal und einem Libretto, das auf seinem Weg von der Vorlage dorthin etwas allzu weit vom Pfad der Mann’schen Ironie abkam, so dass aus der hanseatischen Kaufmannsfamilie skrupellose Waffenhändler wurden.
Wer weiß, wie der immer auch auf sein Publikum orientierte Thomas Mann darüber gedacht hätte, heute mit dem einen oder anderen seiner Werke immer mal auf einer Theaterbühne zu landen. Er gab ja gerne und gekonnt hin und wieder selbst den Darsteller seiner Worte. Seine Reden in Frankfurt, Weimar oder Lübeck sind nachwelttauglich und mit einem gehörigen Quantum Unterhaltungswert verbunden. Samt einer Portion Eitelkeit versteht sich. Da Thomas Mann sich selbst als späten Erbe des Großklassikers Goethe sah und er auch Weimar mit seiner Lotte ebendort ein Denkmal gesetzt hat, an dem man sich auch in der kongenialen Verfilmung von „Lotte in Weimar“ erfreuen kann, darf sich die deutsche Klassikerhauptstadt mit einigem Recht auch mit Thomas Mann schmücken.
Von Zeit zu Zeit sieht man hier auch diesen Alten gern. Und zahlt sozusagen zurück. Vor zehn Jahren mit einem hübschen „Lotte in Weimar“-Event an authentischem Ort im Hotel Elephant. Vor zwei Jahren dann mit einer famosen „Buddenbrook“-Bühnenversion von Christian Weise im Deutschen Nationaltheater. Und jetzt mit einem verblüffend amüsablen „Zauberberg“, auch von diesem Regisseur mit der selten wirklich glücklich funktionierenden Fähigkeit, große Literatur auf die Bühne zubringen.
Ausgerechnet der Mann’sche „Zauberberg“ hat es den Theatermachern angetan. Seltsamerweise funktioniert es meistens sogar, wenn man dieses Stück Literatur (natürlich nur auszugsweise oder als Destillat) auf die Bühne bringt beziehungsweise damit spielt. In Leipzig, in Wien, in Düsseldorf, um nur die jüngsten Versuche zu nennen. Weltliteratur als Vorlage für eine Art Welttheater, das die in dem Falle ohnehin ist. Nach Weimar passt das – schon wegen des redlich erworbenen Hausrechts, das der Dichter hier genießt. Da Christian Weise schon mit den „Buddenbrooks“ einen sinnlich unterhaltenden Volltreffer gelandet hatte, war man gespannt, wie wohl der Besuch von Hans Castrop im Davoser Sanatorium bei ihm ausgeht. Der kommt bekanntlich nur, um seinen kranken Vetter zu besuchen, bleibt dann aber sieben Jahre. Um zwar wieder ins Flachland, aber eben auch in den Ersten Weltkrieg entlassen zu werden.
Nach drei Netto-Stunden kann man nicht nur einen zwar langen, aber höchst kurzweiligen Abend für sich verbuchen, sondern auch die überraschende Erkenntnis mitnehmen, dass sich der Thomas-Mann-Sound sogar als Musicalvorlage durchaus eignet. Zumindest, wenn man ihm einen Rhythmus auf den Wortleib schneidert, wie es Jens Dohle gelungen ist. Der Soundanzug jedenfalls putzt ungemein, um mal ein Wort aus den „Buddenbrooks“ zu borgen. Im Hintergrund der Bühne begleitet Dohle mit einer kleinen Gruppe von Musikern der Staatskapelle selbst den Abend.
Christian Weise versucht gar nicht erst eine Kurzfassung des Romans. Ihm gelingt es aber, mit einer Sequenz dessen Atmosphäre zu treffen. Wer das Jahrhundertbuch irgendwann mal gelesen hat, wird spätestens beim notorischen Türenknallen, mit dem die kapriziöse Madame Chauchat den Speisesaal betritt, ein Dejà-vu haben. Was Nina Peller auf die Bühne gebaut hat, ist ein verführerisches Ambiente mit Panoramablick. Mit Kronleuchter (wie im Weimarer Bahnhof) und einer gemütlich einladenden Einrichtung. Das aparte knallende Leitmotiv lässt sich Weise natürlich nicht entgehen.
Nadja Robiné trifft den Reiz dieser Frau mit einer Melange aus Charme und Arroganz, die die Männer anzieht und die Frauen nervt. So ähnlich ist es mit den 28 verschiedenen Fischsoßen der Frau Stöhr, die am Kochtopf eine höhere Trefferquote hat, als beim Gebrauch von Fremdwörtern. Dascha Trautwein gibt sie als hochtoupierte Ulknudel der Extraklasse. Famos Calvin-Noel Auer und Rosa Falkenaugen als frivoles Russenpärchen, das aus jedem Fiebermessen einen erotischen Auftritt macht. Natürlich nutzen Krunoslav Šebrek und Nahuel Häfliger ihre Chance, den Diskurs zwischen Settembrini und Naphta wenigstens zu skizzieren. Als Oberschwester Mylendonk sorgt Alexander Günther für eine Portion Geschlechtertausch, die sich hier aber wie von selbst einfügt. Fabian Hagen ist der geschmeidig gelenkige Hans Castrop, der sowas wie eine Spielmacherhauptrolle hat und über die Zeit philosophieren darf.
Um mit 13 der 1000 Seiten den Roman nicht zu verraten, braucht es schon Geschick und Instinkt. Beides hat Weise. Er lässt ein und dasselbe Treffen im Speisesaal insgesamt sieben Mal durchspielen. Immer gleich und immer anders. Von der leicht überdrehten Show, die man sich gegenseitig vorspielt, über eine Krimivariante bis hin zu einer Musicalgaudi vom Feinsten. Ein so opulenter wie hintersinniger Theaterabend für eine virtuos aufspielende Truppe. Jenseits von plakativem Brülltheater. Ohne Pausenverluste im ausverkauften Saal. Grandios!
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