27. Jahrgang | Nummer 12 | 3. Juni 2024

Schwarzer und weißer Feminismus

von Viola Schubert-Lehnhardt

Verspätet und sehr zögerlich haben deutsche Museen angefangen, sich mit unrechtmäßig erworbenen, sprich geraubten, Exponaten auseinanderzusetzen und über deren Rückgabe zu verhandeln. Das Thema (Neo)kolonialismus ist damit in Teilen der Gesellschaft angekommen – ohne dass es bisher umfassend präsent ist.

Die Autorin des Buches „Schwarz. Deutsch. Weiblich“, Natasha A. Kelly, setzt sich an Hand ihrer Lebensgeschichte mit Diskriminierungen nicht-weißer Personen und fehlendem Problemverständnis dazu auseinander. Dies gilt auch für den feministischen Diskurs, der häufig darauf ausgerichtet sei, dass „weiße Frauen dasselbe verdienen wie weiße Männer“. „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ lautet der zentrale Slogan. Wenn aber, so Kelly, „weiße feministische Theorie […] versucht Frauenerfahrungen zu analysieren, ohne dabei die intersektionale Wirkmacht von Race, Class und Gender in den Blick zu nehmen, trägt sie weniger dazu bei, die rassistischen, kapitalistischen und sexistischen Strukturen der Gesellschaft abzubauen, sondern hält diese aufrecht.“ Schwarze feministische Ideengeschichte wird damit unsichtbar gemacht. – notabene gilt dies nicht nur für die feministische Ideengeschichte.

Ich habe fünf Jahre Philosophie studiert: weder in Vorlesungen und Seminaren, noch bei den Literaturempfehlungen tauchten Texte oder Ideen afrikanischer, indischer oder anderer nicht-europäischer oder nicht-angelsächsischer AutorInnen auf. Und auch heute noch sind nicht-weiße Personen nur sehr selten auf Podien oder in Workshops in Deutschland vertreten. Es gibt einige „Vorzeigepersonen“ wie Arabella Kiesbauer, das wars dann aber auch schon. Noch am ehesten finden wir nicht-weiße Personen in der Musikszene oder als Sportler. Selbst in der postkolonialen Forschung in Deutschland spiele die politische Rolle von Schwarzen Frauen kaum eine Rolle (Großschreibung von der Autorin übernommen). Ihre Texte sind kaum in den Bibliotheken vorhanden, geschweige denn, dass sie im Diskurs eine Rolle spielen. Black studies existieren an deutschen Universitäten ebenfalls nicht.

Erwähnt im Buch wird unter anderen der Philosoph Anton Wilhelm Amo aus Ghana, der erste Schwarze Student, dem von der Universität Halle-Saale im 18. Jahrhundert die Doktorwürde verliehen wurde und der daraufhin an der Universität unterrichten durfte. Derzeit wird in meiner Stadt Halle-Saale erbittert darüber gestritten, ob eine Straße nach ihm benannt werden kann …

Schwarze Frauen (und Männer – vor allem aber Frauen) erlebten immer eine spezifische Form der Mehrfachdiskriminierung, die in feministischen Debatten weitgehend unberücksichtigt bliebe. Weiß sein gehe weit über die bloße Hautfarbe hinaus, weiß sei eine soziale Position, die auch Frauen Macht und Privilegien verleihe, betont Kelly, bewußt auch durch die Kursivsetzung.

Kaum thematisiert und auf den Gedenktafeln erwähnt werden Schwarze, die in Konzentrationslagern gelitten und gestorben beziehungsweise zwangssterilisiert worden sind. Überlebende erhielten keine Entschädigung. Auch bei der Nennung von Namen anlässlich des Gedenkens an die Bücherverbrennungen durch die Nazis am 10. Mai jedes Jahres fehlten diese Autoren laut Kelly, ohne dass sie konkrete Namen nennt, sondern nur auf das Projekt „Amo books“ verweist. Natasha A. Kelly gibt einigen Schwarzen Gesicht und Stimme im Buch durch Einschübe zu ihren Biografien. Dies gilt ebenso für eine Vielzahl hierzulande kaum oder nur dem Namen nach bekannter Schwarzer Persönlichkeiten, die in anderen Ländern lebten, arbeiteten und kämpften.

Kaum bekannt und aufgearbeitet ist auch der Fakt, dass die nicht-weißen Kinder unverheirateter deutscher Frauen nach dem 2. Weltkrieg meist den Müttern entzogen und unter Aufsicht westdeutscher Jugendämter und Vormundschaftsgerichte gestellt wurden. Sie sollten zur Adoption in den USA freigegeben werden, da Kirche und Sozialdienste nicht glaubten, dass sie in die westdeutsche Nachkriegsgesellschaft integriert werden könnten.

Eindrucksvoll schildert die Autorin diese vielfachen subtilen oder deutlichen Diskriminierungen an Hand ihres Lebens in Westdeutschland. Dies beginnt schon bei Darstellung und Erzählungen in Kinderbüchern und setzt sich für sie in der Schule fort. Auch die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten sei ein weißes Projekt gewesen. Schwarze sollten nicht mitfeiern, das Gefühl des Nichtdazugehörens sei durch das deutsch-deutsche Zusammenspiel verstärkt worden.

Die Hauptaufgabe des Schwarzen Feminismus besteht nach Meinung Natasha A. Kellys nicht darin, den Rassebegriff zu problematisieren, sondern die Aufmerksamkeit auf anhaltende und sich verändernde Bedeutung von Rasse und ihre Verknüpfung mit Geschlecht, Klasse, Religion und allen anderen Kategorien zu lenken. Das Buch gibt dazu eine Vielzahl von Anregungen und sollte meines Erachtens deshalb gut sichtbar in jeder deutschen Universitätsbibliothek stehen!

Natasha A. Kelly: Schwarz. Deutsch. Weiblich. Warum Feminismus mehr als Gerechtigkeit fordern muss. Piper Verlag, München 2023, 302 Seiten, 22,00 Euro.