27. Jahrgang | Nummer 12 | 3. Juni 2024

Mitläufer, Volksgenossen und Satiriker

von Thomas Behlert

Politischer Humor hatte es in Deutschland schon immer schwer. Besonders nach dem zweiten Weltkrieg wollten viele Bürger nichts mehr von der „glorreichen“ Zeit wissen, beschwerten sich über kleine Witzchen, die über die besiegten Faschisten erzählten und schmunzelten lieber über Karikaturen, die den von der Sowjetunion besetzten deutschen Teil veralberten. Bloß nichts mehr über die eigene Vergangenheit wissen wollen.

Bildwitze, mit vielen Worten im Bild versehen, kamen von bräsigen Karikaturisten, wie Klaus Pielert, Wolfgang Hicks und Peter Leger. Die Drei von der langweiligen Fraktion zeichneten für verschiedene Tageszeitungen (wie die Süddeutsche Zeitung), für Gewerkschaftszeitungen und Wochenblätter.

Dann fanden endlich einige wilde Humoristen zusammen und gründeten die Satirezeitschrift pardon. So durfte man nun die Satiriker Robert Gernhardt, F. W. Bernstein, Hans Traxler, F. K. Waechter, Kurt Halbritter und Chlodwig Poth Monat für Monat erleben. Pardon erschien im Bärmeier & Nikel Verlag, der 1954 in Frankfurt am Main gegründet wurde und neben der Zeitschrift auch viele Bücher der Mitarbeiter veröffentlichte. Hans A. Nikel, Chefredakteur und Herausgeber, machte pardon zeitweilig zur erfolgreichsten Satirezeitschrift Europas. Sein späteres Abdriften in die Yoga-Ecke, die pardon-Kursänderung in Richtung Gemischtwarenheftchen führten dazu, dass wichtige Satiriker absprangen, die Neue Frankfurter Schule „eröffneten“ und als Gegenstück zu pardon die bis heute lebendige Titanic gründeten.

Nun gibt es den Verlag Bärmeier & Nikel wieder, mit den Neuverlegern Patricia Holland-Moritz und Till Kaposty-Bliss an der Spitze, die lange nicht mehr zugängliche Veröffentlichungen präsentieren, neue Druckerzeugnisse verlegen und damit Menschen mit Humor und wachem Geist erfreuen wollen.

Das erste Buch ist das von Kurt Halbritter. Der 1924 in Frankfurt am Main geborene und 1978 auf einer Schiffsreise nach Irland verstorbene Künstler zeichnete seit 1954 unter anderem für den Verlag und gleich ab 1962 für pardon. Jetzt liegt ein Buch in den Buchläden, das mit seiner Aufmachung an Adolf Hitlers „Mein Kampf“ erinnert und Freunden dieser AH-Scheiße einen Schlag in die Magengrube verpasst. Halbritter wirft mit Messer, Gabel, Hammer und Sichel nach all den Mitläufern und Volksgenossen, die Hitler möglich machten und nach dem Krieg von nichts wussten, aber im Schrank immer noch die Hakenkreuzfahne liegen hatten und in der Geldkassette das Eiserne Kreuz.

Wer sich die Karikaturen betrachtet, bekommt ein ungutes Gefühl, denn sie sprühen nicht vor Witz und Humor, sondern sind Böse, voller Wahrheiten und zeigen „Erinnerungen an eine Große Zeit auf“, in der hässliche Deutsche von einer reinen Rasse fabulierten, Kinder weinten, weil sie keine braune Uniform hatten und Hausfrauen sich über zu kleine Hakenkreuzfahnen am Fenster aufgeregten. Außerdem beten bei Halbritter Jungmädchen: „Lieber Gott, hilf, dass Vater unseren Führer endlich versteht.“ Weiter sieht der Leser in einer Ausstellung von faschistischer Kunst eine Dame, die meint: „Ich verstehe nichts von Kunst, aber ich weiß, was schön ist, und das ist sehr schön.“ Regelmäßig taucht ein Nachkriegsstammtisch auf, der die „alte Zeit“ würdigt und mit den immer freier wertenden 1960er Jahren nichts anfangen kann: „Gewiss es war eine böse Zeit. Doch was wir heute an Schmutz in unserer vielgerühmten freien Presse finden, ein Skandal!“, „Nichts als Mord und Totschlag!“, „Unter Hitler gab es das nicht.“

Alle 179 Karikaturen sind bissig, selbst erlebt und immer noch gültig. Sie rammen Hitlers „Mein Kampf“ in Grund und Boden. Die Zitate daraus, die den einzelnen Kapiteln voran gestellt sind, werden zu Fratzen und lächerlichen Aussagen. Das Kapitel „Völkischer Staat und Rassenhygiene“ ist dabei verdammt aktuell und zeigt erschreckende Parallelen zur heutigen Zeit. Schonungslos bringt es der Künstler auf den Punkt, wie die Mittäter, Mitläufer, Mitwisser, und nicht nur einzelne Personen, das System stützten, schwiegen und sich feige gegen die Juden wendeten. Da darf die Tochter nicht mehr zum Spiel raus, weil die wartende Freundin einen Stern trägt. Nationalsozialisten äußern bei einer Feier: „Bin ich froh, dass wir keinen Fremdblütler in der Familie haben!“ und in einer Kneipe beim Bier: „Diese Intellektuellen, und dann noch Jude!“

Das Buch gehört in jeden deutschen Bücherschrank und in die Hände des Faschisten Björn Höcke, nach dem, was letztens in den Antworten zu lesen war.

Kurt Halbritter: Adolf Hitlers Mein Kampf. Erinnerungen an eine große Zeit. Verlag Bärmeier & Nikel, Berlin 2023, 238 Seiten, 24,00 Euro.