27. Jahrgang | Nummer 10 | 6. Mai 2024

Fluch des Frühlings

von Rainer Maria Rilke

Zugleich mit Sonnenschimmer,
mit Blüte, Sang und Bach,
da werden leider immer
viele Dichterlinge wach.

Ein mächtiger Gedanke
Lässt sie nicht ruhn, o Graus,
sie graben aus dem Schranke
die alte Leier aus.

‘s will sie zum Spiel verleiten,
sie wissen nicht warum,
sie zerren an den Saiten,
den staubigen, herum.
Bald sind sie voll Vergnügen
Sich ihres Sangs bewusst,
und reimen, leimen, fügen
zusammen Brust und Lust.

Und fordern ohn Erbarmen
Dann noch ein willig Ohr,
und lesen alles armen
unschuld’gen Opfern vor.

So plärren sie abscheulich
und ihre Zahl ist Zunft!
Als hätte man sie neulich,
des Frühlings Wiederkunft.
zu grüßen streng beeidigt.
Wär ich der Lenz, auf Ehr
ich fühlte mich beleidigt
und käme gar nicht mehr.