Die Allianz der fünf Brics-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika hat vom 22. bis zum 24. August 2023 in Johannesburg (Südafrika) ihr 15. Gipfeltreffen durchgeführt, das man angesichts des Ergebnisses wohl mit Fug und Recht als historisch bezeichnen darf. Denn abgesehen von der in Johannesburg recht harmonisch verlaufenen Diskussion über den derzeitigen Zustand und die künftige Entwicklung der internationalen Beziehungen, war es vor allem dank des starken Drängens der politischen Führung Chinas gelungen, sechs neue Mitglieder, nämlich Saudi-Arabien, Iran, Vereinigte Arabische Emirate, Argentinien, Ägypten und Äthiopien, in die Staatengemeinschaft aufzunehmen.
Ungeachtet der mit dieser Erweiterung verbundenen zunehmenden Heterogenität der Brics-Staatengemeinschaft ist es den beteiligten Regierungen möglich gewesen, zu gemeinsamen Positionen und Vorgehensweisen im Rahmen der internationalen Politik zu gelangen und ein beachtliches Gegengewicht zu den bisher dominierenden westlichen Staaten unter Führung der USA zu bilden. Man wird künftig allerdings die Fähigkeit zeigen müssen, dass man nicht nur die Rivalität zwischen China und Indien, sondern auch die Spannungen zwischen dem Iran und Saudi-Arabien sowie zwischen Ägypten und Äthiopien eingrenzen kann.
Nach dem Treffen führender Repräsentanten der Brics-Staaten in Johannesburg müssen wir damit rechnen, dass diese neuartige Staatengemeinschaft den Charakter der internationalen Beziehungen verändern wird. Mit der auf dem Treffen in Johannesburg beschlossenen Aufnahme von neuen Mitgliedern zum 1. Januar 2024 wird diese Staatengemeinschaft geopolitisch und wirtschaftlich an Gewicht gewinnen. Auch trotz des nach den jüngsten Wahlen in Argentinien durch Javier Milei, den neuen Präsidenten dieses Landes, ausgesprochenen Verzichts auf die Mitgliedschaft in der Brics-Gruppe. Wie weit die politische Zuneigung des seit dem 10. Dezember 2023 amtierenden argentinischen Präsidenten zu den USA in Zukunft geht, wird sich erst noch erweisen müssen. Der Erfolg seines ehrgeizigen Regierungsprogramms ist keineswegs garantiert. Die umfangreichen und von vielen unterschiedlichen Gruppen organisierten Demonstrationen gegen seine Politik zeigen dies bereits an.
Die zehn verbleibenden Staaten der Brics+-Gruppe repräsentieren allerdings schon heute zirka 35 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) und etwa 42 Prozent der Weltbevölkerung. Ihnen ist gemeinsam, dass sie das bisher für die internationale Politik charakteristische Dominanzstreben westlicher Länder und die damit verknüpfte Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten strikt ablehnen. Und anders als dies in dem westlich dominierten Teil der Welt üblich ist, lassen die führenden Brics-Staaten die auch zwischen ihnen vorhandenen unterschiedlichen politischen Sichtweisen und Interessen gelten. Schließlich sind etwa die Länder Brasilien, Indien und Südafrika nicht nur innenpolitisch anders strukturiert als China und Russland. Sie haben auch nicht die Absicht, mit den führenden westlichen Ländern vollständig zu brechen.
Dies zeigte sich einmal mehr, als es im Zuge des G20-Gipfeltreffens der führenden Industrie- und Schwellenländer am 9. September 2023 in Neu-Delhi, zu denen neben Indien, China und Russland ja auch die USA, Japan, Großbritannien, Frankreich, Deutschland und die Europäische Union gehören, dank der Initiative von Indiens Premierminister Narendra Modi gelang, die Afrikanische Union in die G20-Staatengruppe aufzunehmen. Dies zu erreichen, war nicht einfach und weist darauf hin, dass das Management der unterschiedlichen politischen Interessen der Brics-Staaten mit der Erweiterung der Staatengemeinschaft ab 2024 schwieriger werden könnte. Das erfolgreiche Vorgehen in dieser wichtigen Frage wird darüber entscheiden, ob relativ bald weitere Staaten in die Brics+-Staatengemeinschaft aufgenommen werden. Die entsprechenden Anträge von mehr als 20 Ländern vor allem aus Afrika, Asien und Südamerika für den Beitritt zu der neuen Allianz liegen schon vor. Darunter befinden sich insbesondere einige afrikanische Länder, die in jüngster Zeit durch Militärputsche bekannt geworden sind. Sie neigen in jüngster Zeit eher Russland und China zu und erhalten folgerichtig die notwendige politische, wirtschaftliche und militärische Unterstützung, die es ihnen erlaubt, ihre Interessen gegenüber den führenden westlichen Ländern und den bislang noch dem Westen zuneigenden afrikanischen Ecowas-Staaten wahrzunehmen.
Die Verhängung von Sanktionen seitens der USA und der Europäischen Union gegen jene Regime, die sich vom Westen abwenden und in den Einflussbereich Russlands und Chinas abgleiten, dürfte wohl nichts nützen. Im Zusammenhang mit diesem charakteristischen Wandel mussten auch Frankreich und Deutschland ihre in einigen afrikanischen Ländern (zum Beispiel Mali und Niger) stationierten Streitkräfte zurückziehen.
In jedem Fall hat schon die aktuelle Erweiterung der Brics-Staatengemeinschaft die machtpolitischen Interessen vor allem Chinas und Russlands befördert und die antiwestliche Ausrichtung dieser Allianz verstärkt. Wir werden diese Entwicklung künftig immer deutlicher im politischen, wirtschaftlichen und militärischen Bereich beobachten können. Schon das diplomatisch geschickte Vorgehen Chinas und Russlands während des G20-Gipfeltreffens am in Neu-Delhi machte dies deutlich. Mit Blick auf das schwierige Ringen um die Abschlusserklärung zu diesem Treffen gelang es China und Russland trotz der Abwesenheit von Staatspräsident Xi Jinping und Staatspräsident Wladimir Putin Formulierungen durchzusetzen, die den Krieg Russlands um die politische Zuordnung der Ukraine nicht explizit erwähnen, sondern einen Formelkompromiss zu erzielen, der die russische Position eher bestätigt. Die Ukraine wird in dem Text der Abschlusserklärung überhaupt nicht erwähnt.
Man sollte in den westlichen Ländern auch nicht darauf setzen, dass Russland den Krieg um die Zuordnung der Ukraine verliert und oppositionelle Kräfte in Russland die Macht übernehmen. Ungeachtet der schweren Belastungen, die der Krieg für die russische Bevölkerung mit sich bringt, und des konsequenten politischen Handelns des Putin-Regimes ordnet sich die große Mehrheit der Russen in die gegebenen Verhältnisse ein und sucht das Beste daraus zu machen. Eine handlungsfähige Opposition in Russland gibt es nicht und ist in nächster Zeit auch nicht zu erwarten.
Beim nächsten Treffen der Brics+-Gruppe – möglicherweise entsprechend der bereits erfolgten Einladung durch Staatspräsident Wladimir Putin im Oktober 2024 in Kasan (Russland) – werden wir sehen, wie weit sich die internationale Staatenwelt verändert hat und den Interessen vor allem Chinas und Russlands entgegenkommt. Angesichts der Professionalität, mit der die politischen Führungen dieser beiden Länder gegenwärtig agieren und dabei die Gemeinsamkeiten vor allem mit den Staaten des Globalen Südens betonen, könnte dies zu einer grundlegenden Veränderung der Machtverhältnisse im internationalen System führen. Dies dürfte auch die heute noch vorhandenen internationalen Institutionen, die im vergangenen Jahrhundert gegründet wurden – wie etwa die UN – und die globale Finanzarchitektur nicht unberührt lassen.
Ihr Umbau und ihre politische Ausrichtung stehen vor allem auf der Tagesordnung Chinas und Russlands, aber auch mancher Staaten des Globalen Südens. Sie richten sich vor allem gegen jene Staaten der westlichen Welt, die mit Hilfe des wirtschaftlichen Drucks, des gelegentlichen Einsatzes militärischer Kräfte und der Instrumentalisierung der „Menschenrechte“ den Fortgang der internationalen Politik beherrschen wollen. Die Zielrichtung der politischen Führungen Chinas und Russlands zeigte sich einmal mehr im Rahmen des Besuchs von Russlands Staatspräsident Wladimir Putin am 16. Mai 2024 in Peking. Es wurden eine „enge strategische Zusammenarbeit” der beiden Brics-Länder beschlossen und Maßnahmen vereinbart, um die Allianz gegen den Westen zu stärken.
Mit Blick auf den grundlegenden Wandel der internationalen Staatenwelt, der sich in der Formierung der Brics-Länder und deren unmittelbaren Folgen ausdrückt, agiert das führende Mitglied in dieser Staatengemeinschaft, nämlich China, mit seinem Investitions- und Einflussprojekt „Neue Seidenstraße” sehr erfolgreich und zielstrebig, um die Macht der westlichen Länder zurückzudrängen und neue Partner zu gewinnen.
Wie die jüngste Tagung des Internationalen Forums zum Projekt „Neue Seidenstraße” am 17. und 18. Oktober 2023 in Peking gezeigt hat, zu dem hochrangige Vertreter aus 130 Ländern angereist waren, nahm nicht nur Russlands Staatspräsident Wladimir Putin an diesem Forum teil. Selbst die Taliban in Afghanistan wollen sich dem „Seidenstraßen”-Projekt anschließen. Auch der ungarische Regierungschef Viktor Orbán traf sich dort sowohl mit dem chinesischen Staats-und Parteichef Xi Jinping als auch mit Russlands Präsident Wladimir Putin zu intensiven Gesprächen und machte einmal mehr klar, dass er sich auch weiterhin aktiv an der Errichtung und dem Ausbau des Projekts „Neue Seidenstraße” beteiligen werde. Dieses Verhalten Ungarns belegt auf eindrucksvolle Weise, dass es führenden Brics-Ländern zunehmend gelingt, in die Staatenwelt der Europäischen Union hineinzuwirken und ein Verhalten zu erzielen, das ihren politischen Interessen entgegenkommt. Es war daher nur konsequent, dass Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping im Zuge seiner Europa-Reise im Mai 2024 neben Frankreich und Serbien auch Ungarn besuchte, um eingehende Gespräche mit Viktor Orbán zu führen und die Beziehungen zu Ungarn zu vertiefen. Es wurde dabei sogar eine „umfassende strategische Partnerschaft” zwischen China und dem EU-Land Ungarn vereinbart.
Insbesondere mit Blick auf das Verhalten Chinas müssen wir mit einem deutlichen Wandel der Machtverhältnisse im Weltstaatensystem rechnen. Dabei setzt man in Peking neue Maßstäbe, wenn es gilt, die militärische Macht zu entfalten und mit großem Geschick anzuwenden. Die auf dem jüngsten Volkskongress am 11. März 2024 in Peking beschlossene erneute Erhöhung der Militärausgaben um 7,2 Prozent weist darauf hin, dass der Kurs Chinas entschlossen verfolgt wird. Nahezu täglich wird darüber hinaus sichtbar, wie professionell die politische Führung dieses Landes vorgeht und neben dem zielstrebigen Ausbau ihrer militärischen Macht auch das eigene Wirtschaftsmodell zur Durchsetzung ihrer strategischen Interessen zu nutzen versteht. China hat nicht nur in der Energietechnik, wie auf dem Felde der Solarenergie und der Nuklearenergie, sowie der Künstlichen Intelligenz (KI) eine dominante Position in der Welt erreicht. Die politische Führung in Peking demonstriert ebenso, die neuen Kapazitäten sinnvoll einzusetzen, um neue Einflusskanäle im Weltstaatensystem zu öffnen.
Vor diesem Hintergrund werden sich nicht nur die Europäer, sondern auch künftige Regierungen der USA daran gewöhnen müssen, dass China seine Interessen selbstbewusst wahrnehmen und die weitere Entwicklung des Weltstaatensystems prägen wird.
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