Polens Regional- und Lokalwahlen im April 2024 haben den Schwenk bestätigt, der mit den Parlamentswahlen im Oktober 2023 eingeläutet wurde. Zwar feierte Jarosław Kaczyński am Wahlabend ein weiteres Mal das Abschneiden seiner Partei als stärkste Gruppierung, er sprach vom neunten Wahlerfolg hintereinander, womit er zugleich wiederholte, im Herbst 2023 gar nicht verloren zu haben. Auf der Ebene der 16 Wojewodschaftsparlamante kamen die Nationalkonservativen dieses Mal auf 34,3 Prozent der abgegebenen Stimmen, doch reicht das nur, um in den vier Wojewodschaften im Südosten alleine zu regieren. In drei weiteren Wojewodschaften ist man zwar stärkste Kraft, doch wird man in den zwei wichtigen Wojewodschaften im Zentrum des Landes vom zusammengerechneten Regierungslager übertrumpft – in Masowien und in Łódź. Auch deshalb sprach Kaczyński von der Notwendigkeit, künftig auf Koalitionsfähigkeit zu bauen. In erster Linie dürfte er dabei an den konservativ-liberalen Teil im Regierungslager denken, doch das ist ferne Zukunftsmusik.
Im Regierungslager hat sich die liberal ausgerichtete Bürgerplattform erneut als die mit Abstand stärkste Kraft erwiesen, die landesweit auf 30,6 Prozent der abgegebenen Stimmen kam. Bestätigt sieht sich der konservative und rechtsliberale Flügel (der Dritte Weg), der 14,3 Prozent einheimste. Federn lassen mussten die Linken, die mit 6,2 Prozent an abgegebenen Stimmen unter dem Ergebnis vom Herbst blieben. Doch zusammengerechnet ist der Abstand zum Kaczyński-Lager deutlich geblieben. Anders gesagt: Am allgemeinen Trend im Lande hat sich nichts geändert, die von Kaczyński zum Jahreswechsel hochgepeitschten Sturmwellen haben nichts eingebracht – die Oppositionsbänke bleiben hart.
Es gibt Beobachter, die noch auf anderes verweisen. Der Blick auf die landesweiten Ergebnisse trüge insofern, weil er eine weitere Zementierung der Verhältnisse auch dort vorgaukelt, wo bereits stärkere Bewegung ins Spiel gekommen sei. Während also Kaczyński fast schon ein wenig siegestrunken das sehr gute Abschneiden in den traditionellen Hochburgen im Osten und Südosten als Ausgangsbasis für kommende Wahlschlachten feiert, traf der bei den Nationalkonservativen verhasste Ministerpräsident ins Schwarze. Donald Tusk nämlich nahm die Städte ins Visier – nicht nur die vier, fünf großen und pulsierenden Metropolen – und stellte heraus, dass die Nationalkonservativen in den einhundert größten Städten Polens kaum noch zum Zuge gekommen seien. In lediglich 16 von denen haben sie die Stichwahlen erreicht! Anders die Bürgerplattform, die überall die Spitzenposition halten oder Positionen ausbauen konnte. Für den Soziologen Rafał Matyja steht der Sieger der Wahlen deshalb fest: Regierungschef Tusk. In der Gazeta Wyborcza meint er aber zugleich, dass die Kaczyński-Opposition ihre Reihen geschlossen halte, also nicht auseinanderfalle, und dass die empfindliche Wahlniederlage vom Herbst fast schon wieder verkraftet scheine.
Vielleicht illustriert das Ergebnis in der östlichen Wojewodschaft Lublin recht gut die Situation: Dort erreichten die Nationalkonservativen fast 50 Prozent der abgegebenen Stimmen, werden im Wojewodschaftsparlament mit 21 Mandaten gegen 12 der anderen regieren. Doch das Amt des Stadtpräsidenten in Lublin selbst ist bereits im ersten Wahlgang und mit klarem Vorsprung an den Vertreter der Regierungskoalition gefallen. So ähnlich übrigens auch in den anderen Hochburgen – die Wojewodschaftsstädte bleiben liberal geführte Inseln im nationalkonservativen Meer!
Zwei Sachverhalte sollen noch angeführt werden.
Erstens ist mit Rafał Trzaskowski, dem strahlenden Sieger in Warschau, auf liberaler Seite ein aussichtsreicher Kandidat für das im nächsten Jahre vakant werdende Amt des Staatspräsidenten erwachsen. Er würde im Juni 2025 wahrscheinlich auf Mateusz Morawiecki treffen, der bei den Nationalkonservativen immer ernsthafter als Kandidat gehandelt wird. Doch bis dahin wird noch viel Wasser die Weichsel hinabfließen, so dass alle Voraussagen darüber, wer am Ende die Nase wenigstens ein kleines Stück vorn haben könnte, jetzt vollkommen ins Leere liefen.
Zweitens soll an dieser Stelle auf ein Grundproblem der Linken verwiesen werden. Ihr Ergebnis wird als ein schwaches eingeschätzt, wobei Regional- und Lokalwahlen zuletzt immer schwieriges Terrain gewesen waren. Nun ist aber heftiger Streit darüber entbrannt, ob die Regierungsarbeit in einer im Kern liberal geführten Koalition nicht das eigene Profil unkenntlicher mache, wie lange man also ungestraft im Namen einer „Einheitsfront“ gegen den Kaczyński-Nationalismus im Fahrwasser der erfolgreicher werdenden Liberalen schwimmen dürfe. Es gibt bereits hier und dort Unkenrufe, die meinen, so werde man untergehen. Und umgekehrt wird entgegnet, dass unter den herrschenden Bedingungen Wahlerfolge nur dann zu verzeichnen seien, wenn die Opposition gegen Kaczyński kenntlich bleibe, wozu im Augenblick der Schulterschluss mit den Tusk-Liberalen gehöre. So oder so, ein tieferer Blick auf Polens Linke wäre auch aus deutscher Sicht überaus interessant.