Im Augenblick wirkt das polnische Ufer am Oderfluss wie das ruhigere – von Dingen, die ein ganzes Land plötzlich lahmlegen können, fehlt hier jede Spur. Und doch kocht und gärt es unter der Oberfläche, die verfeindeten Lager rüsten für die nächsten Gefechte. Zunächst aber hat der Wähler das Wort, denn am ersten Sonntag nach Ostern stehen die Wahlen zu den sogenannten Selbstverwaltungsstrukturen auf der Regional- und Lokalebene an. Anders als in Deutschland geschieht das bei den Nachbarn einheitlich im ganzen Land zum gleichen Zeitpunkt. Insofern ist, was am Ende des Tages als Ergebnis feststehen wird, zusammengezählt ein verlässlicher Stimmungstest für Regierende und Opposition. Eigentlich hätten – der Zufall wollte es so – Parlaments- und Selbstverwaltungswahlen im Herbst letzten Jahres zusammenfallen können, doch war es wohl eine kluge Entscheidung, sie zeitlich zu entzerren.
Im nationalkonservativen Lager wusste man zu gut, dass dann, wenn territorial vereinzelt von unten nach oben gewählt wird, die in Stimmenzahlen ausgedrückten Vorteile des politischen Gegners schwer auszugleichen sind. Deshalb schien die Trennung der beiden Wahlgänge nicht nur angeraten, sondern einfach geboten. Ein Sieg bei den Parlamentswahlen im Oktober 2023 sollte neuen Schwung bringen für den schweren Wahlgang im Frühjahr 2024. Es kam anders, jetzt sitzen die Konservativen auf den harten Oppositionsbänken und müssen damit rechnen, auf der Selbstverwaltungsebene die Niederlage vom letzten Herbst bestätigt zu bekommen. Auch deshalb wirkten die stürmischen Wochen um den Jahreswechsel wie der Versuch, noch rechtzeitig in die Vorhand zu kommen. Der misslang allerdings, weshalb jetzt die Präsidentschaftswahlen im Frühsommer 2025 als neue Ziellinie für die politische Revanche aufgebaut werden. Der jetzige Wahlgang soll zumindest den Status quo sichern: Die eigene Wählerschaft im Bereich zwischen 30 bis 35 Prozent an Umfragewerten soll fest zusammengehalten werden, gewissermaßen als zuverlässiger und sturmfester Ausgangspunkt für künftige Angriffswellen.
Mit den Körperschaften der Selbstverwaltung – strukturiert nach den Maßgaben einer zentralistisch ausgerichteten Republik – reicht der Wählerwille hinauf bis zu den kleinen Landtagen (Sejmiki) der 16 Wojewodschaften. Die sehen sich an dieser Schnittstelle aber zugleich konfrontiert mit den von der jeweiligen Zentralregierung in Warschau eingesetzten Wojewoden. Übertragen auf die Verhältnisse in Deutschland hieße das immerhin, dass dem gewählten Ministerpräsidenten in den Bundesländern noch ein politischer Beauftragter der jeweiligen Bundesregierung übergestöpselt wird, dem umfangreiche Befugnisse zustünden! Weiter unten werden die entsprechenden Kreis-, Stadt- und Gemeinderäte gewählt sowie in direkter Wahl die Bürgermeister, Landräte und Stadtpräsidenten, die allerdings noch einmal durch eine Stichwahl müssen, wenn nämlich kein Kandidat im ersten Wahlgang die erforderliche Stimmenmehrheit erhält.
Die Großstädte werden in der Hand des liberal geführten Regierungslagers bleiben; erst nach Osten und Südosten hin werden die Hochburgen der nationalkonservativen Opposition herausstechen, wobei auch hier Städte wie Lublin oder Rzeszów eine andere Option wählen als die Umgebung. Interessant ist überdies ein weiteres Phänomen, über das Soziologen und Meinungsforscher seit Jahren rätseln: In jenen Landesteilen, die einst preußisch waren, haben – wenn es „normal“ läuft – die Liberalen die Nase vorn, in ehemals russischen oder österreichischen Gebieten hingegen in der Fläche die Nationalkonservativen. Insofern sind dort die großen Zentren wie Warschau, Kraków oder Łódź immer von ganz besonderem Interesse, sie waren in den nationalkonservativen Regierungsjahren wahre Trutzburgen für die liberale Opposition. Dass es in Polens Hauptstadt auch andersherum kommen kann, hatte übrigens Lech Kaczyński demonstriert, der von 2002 bis 2005 die Stadt regierte, bevor er sich von hier aus und gekonnt ins höchste Staatsamt katapultierte.
In diesem Jahr werden dem amtierenden Warschauer Stadtpräsidenten Rafał Trzaskowski gute Chancen eingeräumt, bereits im ersten Wahlgang die 50-Prozent-Marke an abgegebenen Stimmen zu überspringen. Sein Sieg wäre die beste Empfehlung für die Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr – er wäre die erste Wahl im liberalen Lager. 2020 unterlag er dem Amtsinhaber Andrzej Duda denkbar knapp, beide hatten damals jeweils mehr als 10 Millionen Wählerstimmen für sich mobilisieren können.
Polens Wahlen auf der Lokal- und Regionalebene öffnen einen langen Zyklus, der die Wahlen zum Europäischen Parlament einschließt und den die Wahlen des nächsten Staatsoberhauptes abschließen werden. Die nationalkonservative Opposition hofft auf die Chance, am Ende dieser Wegstrecke mit einem weiteren Staatspräsidenten wieder triumphieren zu können, wobei noch völlig unklar ist, wen sie 2025 ins Rennen schicken könnte. Im Regierungslager werden die zentrifugalen Kräfte an Bedeutung gewinnen, denn die beiden Flügel – rechts wie links – müssen aufpassen, kenntlich zu bleiben und nicht unterzugehen bei etwaigen liberalen Höhenflügen in der Mitte. Diese Tendenz ist eine feste Größe in den Berechnungen der Opposition, doch hieße das andererseits, nicht alles leichtfertig auf die eine Karte von Sturm und Drang zu setzen, denn polarisierender Druck von der Straße schweißt das breite Regierungsbündnis automatisch zusammen.
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