Erneut ist Krieg. Ich bin Buchhändlerin geworden im Verlauf jenes anderen Krieges, im November 1915.“ – Fünfundzwanzig Jahre später blickt Adrienne Monnier auf ihr Leben im Dienste der Literatur zurück. Als Dreiundzwanzigjährige hatte sie ihren Laden im Pariser Stadtviertel Saint-Germain-des-Prés eröffnet. „La Maison des Amis des Livres“ in der Rue de l’Odéon wurde sehr schnell zu einer Institution. „Ich liebte ganz einfach Bücher“, erinnerte sie sich, „und der Beruf der Buchhändlerin würde es mir ermöglichen, ganze Wände damit zu bedecken; ich würde in den Ozean des Wissens hinabtauchen.“
Schon sehr bald ging es ihr nicht allein mehr um den Verkauf von Büchern. Sie wollte den Schriftstellern eine Bühne bieten, sie mit ihren Lesern zusammenbringen. Und sie kamen alle: André Gide und Paul Valéry, Paul Claudel, Jean Cocteau oder André Breton genauso wie Thornton Wilder, Francis Scott Fitzgerald oder Ezra Pound. Pierre Klossowski, der ältere Bruder des Malers Balthus, brachte Rilke mit, der eigens für Monnier im Juni 1926 ein Gedicht schrieb. Daneben lud sie Komponisten wie Darius Milhaud, Eric Satie oder George Antheil ein. Auch die Fotografin Gisèle Freund, der wir die zahlreichen Porträts der heute berühmten Schriftsteller verdanken, war oft bei Monnier zu Gast. 1930 kam Walter Benjamin zum ersten Mal in ihre Buchhandlung. „Zehn Jahre lang gehörte er zu meinen engsten Freunden“, so Monnier, „mit ihm hatte ich wohl den fruchtbarsten Gedankenaustausch.“
Eine der denkwürdigsten Veranstaltungen fand am 7. Dezember 1921 statt. An diesem Abend stellte Valery Larbaud den „Amis des Livres“ den damals zwar in Paris lebenden, dem französischen Publikum jedoch völlig unbekannten irischen Schriftsteller James Joyce vor. Monnier war von ihrer Lebenspartnerin Sylvia Beach auf ihn aufmerksam gemacht worden. Beach, die 1919 gegenüber von Monniers Geschäft ihre eigene Buchhandlung „Shakespeare and Company“ gegründet hatte, erzählte ihr von dem außergewöhnlichen Manuskript des „Ulysses“. Schnell sprach sich herum, was das für ein Buch sei, und sofort wurde der Wunsch nach einer Übersetzung ins Französische laut. Dem voran ging allerdings zunächst die Veröffentlichung des englischen Originals, die Sylvia Beach 1922 auf eigene Kosten bewerkstelligte. Es sollten noch sieben Jahre vergehen, bis endlich die französische, von Adrienne Monnier herausgegebene und finanzierte Ausgabe vorlag, für die sie in einem ihrer Aufsätze eine phantastische, nur wenige Seiten umfassende Inhaltsangabe lieferte.
Buchhändlerin, Herausgeberin, Verlegerin, Schriftstellerin – all das war Adrienne Monnier. Nach mehr als drei Jahrzehnten gab sie ihre Buchhandlung 1951 wegen eines Rheumaleidens auf. Da keine Aussicht auf Heilung bestand, nahm sie sich vier Jahre später das Leben. Das „helle Universum der Bücher“, wie es Siegfried Kracauer einmal genannt hatte, existierte fortan nicht mehr. Doch wir haben zum Glück ihre Aufzeichnungen, die uns zurückversetzen in die einmalige Atmosphäre der Pariser Literaturszene zwischen den beiden Weltkriegen.
Was uns Literatur zu geben vermag, hat Adrienne Monnier mit einem schlichten Satz beschrieben: „Der Geist der Bücher ist ein Lächeln, das allen gilt.“ – Vielleicht sollte man öfter einmal daran denken …
Adrienne Monnier: Aufzeichnungen aus der Rue de l’Odeon – Schriften 1917-1953. Aus dem Französischen von Nicolaus Bornhorn, hrsg. von Carl H. Buchner, Insel Verlag, Berlin 2023, 338 Seiten, 16,00 Euro.
Schlagwörter: Adrienne Monnier, Buchhandel, James Joyce, Mathias Iven, Paris, Sylvia Beach