In diesem turbulenten Jahr nach dem 20. Parteikongress der KP Chinas (KPCh) seit Oktober 2022 hat die Volksrepublik in den internationalen Beziehungen weiter an Gewicht gewonnen. Grundlage dafür ist, dass auf diesem Parteikongress ein gesamtgesellschaftliches Entwicklungskonzept verabschiedet wurde Das soll über die Fünfjahrpläne ab 2021, 2026, 2030 und 2035 mittelfristig und dann perspektivisch bis 2049, dem 100. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik, die „Modernisierung chinesischer Prägung“ bestimmen. Das Konzept soll künftig erheblich an Bedeutung zunehmen.
Kern ist, dass die politisch-makroökonomisch gesteuerte „sozialistische Marktwirtschaft“ durch eine geplante regionale Strukturentwicklung über Investitionen, Richtlinien und Gesetze vorangebracht wird. In diesem komplexen Prozess stehen vor allem im Mittelpunkt die Ernährungssicherheit und Minderung des Wohlstandsgefälles zwischen Stadt und Land sowie die Energieversorgungssicherheit.
Dementsprechend fand Ende Oktober 2023 im chinesischen Ferienparadies Sanya auf der tropischen Insel Hainan das 7. Weltforum für Landwirtschaftsverantwortliche aus 49 Ländern und 16 internationalen Organisationen statt unter dem Thema „Technologieeinsatz als Hauptantrieb für eine weltweit größere Nahrungsmittelproduktion“. Für Chinas 1,412 Milliarden-Bevölkerung heißt das, täglich 700.000 Tonnen Getreide, 98.000 Tonnen Speiseöl, 1,92 Millionen Tonnen Gemüse und 230.000 Tonnen Fleisch zu verbrauchen.
Mit diesen Herausforderungen sind auch für China die Inhalte der aktuellen 28. Welt-Klimakonferenz 2023 (COP28) in Dubai eng verknüpft. Denn die weltweite Sorge über die Landwirtschaftsentwicklung und die Ernährungssicherheit wächst vielfältig durch den globalen Temperaturanstieg. Dass der Klimawandel, insbesondere extreme Hitzewetterlagen, Trockenheit, Verknappung der Wasserressourcen die Nahrungsgüterproduktion bedroht, ist bekannt. Kaum jedoch, dass diese und deren Verbrauch zirka ein Drittel der globalen Treibhausgase(GreenHouseGas, GHG)-Emissionen ausmachen. Nicht zuletzt in China steht man vor der komplexen Frage, dass Nahrungsgüterproduktion und -verbrauch eng verknüpft werden müssen mit dem Ausstieg aus der Nutzung fossiler Brennstoffe. Auch auf China wirken sich die Kriege Russland-Ukraine und Israel-Palästina und die kriegsähnliche Lage im Nahen und Mittleren Osten aus. Die Ernährungssicherheit steht in diesen Ländern zwangsläufig an der Spitze ihrer Regierungsarbeit. Zumal diese Situation verbunden ist mit dem enormen Bevölkerungswachstum hier, in Südasien und afrikanischen Ländern bei gleichzeitiger Verringerung landwirtschaftlicher Nutzflächen und Zunahme von Extremwetterlagen. In Verknüpfung damit ist ebenso schwerwiegend, dass das Bildungsniveau eines Großteils der ländlichen Bevölkerung in Entwicklungsländern niedrig und deren finanzielle Ressourcen sehr begrenzt sind. Eine fortschrittliche Landwirtschaftsproduktion ist und bleibt deshalb langwierig.
Eine Frage ist, was kann China zur Lösung der Probleme beitragen? Am ehesten durch seine Beispielwirkung und eine gezielte Entwicklungsförderung nicht zuletzt über die „Seidenstraßen“-Initiative. In China leben 18 Prozent der Weltbevölkerung und es hat global das größte Erzeugersystem landwirtschaftlicher Produkte. Seine Historie im Umweltschutz ist aber kurz: Erstmalig verabschiedete die Regierung im März 1994 ein „Programm für das 21. Jahrhundert – das Weißbuch über die Bevölkerung, Umwelt und Entwicklung im 21. Jahrhundert“. Verbunden war das für zuständige Behörden, lokale Regierungen und Institutionen mit der Auflage, ihrerseits Aktionspläne zur Umsetzung dieser Strategie auszuarbeiten. Heutzutage geht es nun detailliert darum, den GHG-Ausstoß schrittweise zu vermindern durch politische Rahmensetzungen zur regional differenziert angepassten Verbesserung der landwirtschaftlichen Produktivität, durch die Reduzierung des Einsatzes chemischer Dünger und Pestizide, die besondere Förderung von Technik, die eine „grüne Landwirtschaft“ ermöglicht, die langfristig profitabler werden muss als die konventionelle. Durch Klima-, Umwelt-, Tier- und Gewässerschutz wird das im geografisch und klimatisch höchst unterschiedlichen, riesigen Reich der Mitte regional und örtlich nur schrittweise machbar sein. Zumal aktuell hinzukommt, dass generell der Straßentransport Chinas zu Prozent mit mittleren und schweren Diesel-LKW gerade auch auf dem Lande realisiert wird.
Und: In den Dimensionen Chinas spielen traditionelle und heutige Essgewohnheiten eine gewichtige Rolle nach mehrhundertjährig erduldeter Lebensmittelknappheit und Hungerkatastrophen für einen Großteil der Bevölkerung zugleich aber mehr als üppigen Ess- und Trinkgelagen in damaligen begüterten Kreisen. Heute bewegt sich der Nahrungsmittelverbrauch zwar auf einem einigermaßen hinnehmbaren Niveau, aber die Liebe zum Fleisch, zur Milch und Milchprodukten führt zu steigender Übergewichtigkeit in der Bevölkerung. 2020 gab es allein in den Restaurants der Städte über 34 Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle. Soziokulurelle Traditionen und jetzige Gegebenheiten sind nicht einfach aus der Welt zu bannen.
Die UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) konstatiert dazu übergreifend, dass aktuell die „versteckten Kosten“ der globalen Ernährungssysteme extrem hoch sind. Ungesunde Ernährung und eine umweltschädliche Landwirtschaft kosten rund zehn Billionen Dollar pro Jahr, das sind rund zehn Prozent des weltweiten Bruttoinlandprodukts. Dazu gehört, dass die „wahren globalen Kosten“ heutiger Ernährungssysteme umweltbedingt sind: Treibhausgasemissionen, der Einsatz von Pestiziden, übermäßiger Stickstoffeintrag bei der Bodenbearbeitung, hohe Tierbestände, ein nicht nachhaltiger Wasserverbrauch.
Klimapolitik ist stets langwierig und zugleich beinharte Interessen- und Machtpolitik. Chinas Führung hat ohne Umschweife umrissen, zunächst den Zenit der Emissionen in China bis 2030 hinnehmen zu müssen, um dann bis 2060 klimaneutral zu werden. Während des diesjährigen APEC-Gipfels in San Francisco trafen Mitte November Präsident Xi Jinping und US-Präsident Joe Biden zusammen. Chinas Presse wertete den Gipfel als „strategisch, historisch und richtungsweisend“ auf, als nach vorn weisende „San Francisco-Vision“. Für über 20 Bereiche wurden ein politisch-diplomatischer und kultureller Austausch sowie die Positionsbestimmung zur Bewältigung globaler Probleme und zur militärischen Sicherheit vereinbart. Das ist anzustreben, zumal mehr noch in der Klimapolitik für beide Weltmächte größter gemeinsamer Handlungsbedarf besteht.
So verursachen China (2022: 11,2 Milliarden Tonnen), die USA (5,275 Milliarden Tonnen) und Indien (2,62 Milliarden Tonnen) die Hälfte der globalen CO2–Emissionen. Die USA emittieren dabei pro Kopf mehr als das Doppelte im Vergleich zu China. Während des APEC-Gipfels wurde vereinbart, den Ausbau erneuerbarer Energien zu beschleunigen und die Kapazitäten dafür bis 2030 im Vergleich zu 2020 zu verdreifachen. Experten beider Seiten sollen nun gemeinsam Maßnahmen zur „Verbesserung des Klimaschutzes in den 2020er Jahren“ erarbeiten. Wertvoll ist ganz sicher, dass China und die USA ihre Beziehungen damit auf ein gewisses Maß an Normalität bringen wollen.
Jedoch: Washington forciert lediglich modifiziert seine altbekannte Eindämmungs(containment)-Hegemonialpolitik. Aktuelles Synonym dafür ist die 2021 ins Leben gerufene „Quad“-Gruppe, ein sicherheits- und militärpolitisch ausgerichteter informeller Zusammenschluss aus USA, Australien, Indien und Japan. Peking befürchtet, dass die USA hier eine Art indo-pazifische NATO etablieren wollen.
Eine Kernfrage bleibt deshalb umso mehr, ob die USA in der Taiwan-Frage an der Ein-China-Politik festhalten. Biden hat das beim Treffen mit Xi Jinping zugesichert.
Die vorsichtige Annäherung in klimapolitischen Fragen wird aber relativiert, weil Washington seinen Kurs gegenüber China nicht zuletzt mit Blick auf die US-Präsidentschaftswahlen im November 2024 als Wahlkampfmunition konfrontativ nutzt. Chinas Streben nach Stabilität und Entwicklung steht unvermindert vor großen Herausforderungen.
Schlagwörter: China, Ernährung, USA, Weltklima, Werner Birnstiel