26. Jahrgang | Nummer 21 | 9. Oktober 2023

Hans Fallada als Kritiker

von Mathias Iven

Seine Romane sind in vielen Bücherschränken zu finden und Figuren wie Johannes Pinneberg, Gustav Hackendahl oder auch Mäuseken Wackelohr kennen wohl die meisten von uns. Doch dass Hans Fallada sich auch das eine oder andere Mal zu Werken von Kollegen geäußert hat, war wohl bisher nur Insidern bekannt. Umso erfreulicher, dass sich die 32. Hans-Fallada-Tage dieses Themas angenommen haben – und dies gleich in zweifacher Hinsicht.

Am 21. Juli 2023 wurde im Scheunensaal des Carwitzer Hans-Fallada-Museums unter dem Titel „‚Wenn mich ein Buch wirklich reizt‘. Hans Fallada als Literaturkritiker“ nicht nur die aktuelle, noch bis zum Jahresende laufende Sonderausstellung eröffnet. Am selben Tag fand auch die Präsentation des gleichnamigen Buches statt. Es versammelt 41 literaturkritische Beiträge Falladas aus den Jahren 1931 bis 1934, darunter 15 Erstveröffentlichungen. Zu verdanken ist dieses herausragende editorische Highlight Michael Töteberg, dem Vorsitzenden der Fallada-Gesellschaft, und Sabine Koburger, Chefredakteurin der von der Fallada-Gesellschaft herausgegebenen Halbjahreszeitschrift „Salatgarten“. Die beiden Herausgeber haben aber nicht nur Falladas Arbeiten zusammengetragen, sie haben auch ein gutes Dutzend Fallada-Kenner eingeladen, die einzelnen Rezensionen zu kommentieren und in den zeit-, respektive literaturhistorischen Kontext einzuordnen.

In seiner Einleitung betont Michael Töteberg, dass Fallada uns mit seiner subjektiven Auswahl von Titeln zum einen unabsichtlich einen Querschnitt durch die zeitgenössische Gegenwartsliteratur zu Beginn der 1930-er Jahre hinterlassen hat und dass er zum anderen mit seinen teils sehr kurzen Texten das zum Ausdruck brachte, „was nach seiner Auffassung Literatur zu leisten hat“.

Der weitaus größte Teil von Falladas Besprechungen erschien in der von Ernst Heilborn herausgegebenen Monatsschrift Die Literatur beziehungsweise in Leopold Schwarzschilds Tage-Buch. Hinzu kamen Veröffentlichungen in der Vossischen Zeitung und in der B. Z. am Mittag. Dabei galt, laut Töteberg, für Fallada in jedem Fall der Vorsatz: „Er besprach keine Bücher von Autoren, die er persönlich gut kannte.“

Schauen wir uns die von Fallada rezensierten Titel an, dann finden wir zahlreiche noch heute bekannte Namen von Autoren wie Karel Čapek („Das Jahr des Gärtners“), Karl Foerster („Garten als Zauberschlüssel“), Sinclair Lewis („Falkenflug“), Aldous Huxley („Zwei oder drei Grazien“), Carl Zuckmayer („Die Affenhochzeit“) oder Erich Maria Remarque („Der Weg zurück“). Daneben stehen aber auch heute weitgehend vergessene Autoren wie Peter Martin Lampel oder August Gailit, Walter Poenicke oder Franz Spunda, Ludwig Winder oder Lotte Braun. Zu deren Buch „Madelon Sieben. Ein Roman aus dem Rheinland“ schrieb Fallada einen freundlich verpackten Verriss, in dem es hieß: „Solche Intrige, auf der die ganze Handlung eines so dickleibigen Romans aufgebaut ist, hat immer für den Leser etwas Peinliches.“ Claire Bergmann, 1898 in Berlin geboren und 1967 in einem kleinen Ort in der Nähe von Florenz gestorben, veröffentlichte 1932 ihren einzigen, später der Bücherverbrennung zum Opfer gefallenen Roman „Was wird aus deinen Kindern Pitt? Die Geschichte der Familie Deutsch“. In der Vossischen Zeitung urteilte Fallada mit Blick auf die sich verändernden politisch-gesellschaftlichen Verhältnisse, dass dieses „durchschnittlich geschriebene Buch haargenau dem Durchschnitt des deutschen Volkes von heute entspricht“, und er prophezeite, dass es „von vielen sehr geliebt werden“ würde – was sich leider nicht bewahrheiten sollte.

Zwölf Jahre lagen zwischen der im Juni 1934 für „Reclams Universum“ geschriebenen Besprechung zu Grete Garzarollis Buch „Filmkomparsin Maria Weidman“ und Falladas einziger nach dem Zweiten Weltkrieg veröffentlichten Kritik, die am 15. Januar 1946 im Berliner Rundfunk gesendet wurde. Sie befasste sich mit Johannes R. Bechers Roman „Abschied“, dem ersten Buch, wie Fallada hervorhob, „das unter dem Zeichen der Pressefreiheit, der erneuerten Demokratie einem deutschen Lesepublikum vorgelegt“ wurde.

Falladas literaturkritische Schriften zeigen uns den Autor nicht nur von einer anderen, äußerst spannungsreichen Seite. Es ist vor allem interessant zu sehen, was vor 90 Jahren in Deutschland gelesen wurde. Und so liefert dieser Band durchaus die eine oder andere Anregung zu einem Blick auf längst Vergessenes.

 

Sabine Koburger / Michael Töteberg (Hrsg.): „Wenn mich ein Buch wirklich reizt. Hans Fallada als Literaturkritiker“ [Hans-Fallada-Jahrbuch Nr. 9], Friedland 2023, 464 Seiten, 30,00 Euro.

Die erwähnte Ausstellung ist zu sehen im Hans-Fallada-Museum, Zum Bohnenwerder 2, 17258 Feldberger Seenlandschaft, OT Carwitz.